Politik

Die Einschulung erfolgt immer später. (Foto: dpa/Armin Weigel)

23.08.2019

Die Tücken der Wahlfreiheit

Überraschend viele Eltern wollen ihr Kind später einschulen lassen – die Kommunen stellt das vor Probleme

Es sollte eine Erleichterung für die Eltern werden. Doch nun wird die heuer erstmalig stattfindende Regelung der „Korridor-Kinder“ zum Problem für die Kommunen.

Was sind Korridor-Kinder? Darunter fallen alle Buben und Mädchen, die dieses Jahr zwischen dem 1. Juli und dem 30. September sechs Jahre alt werden. Normalerweise müssten sie ab Schuljahresbeginn am 10. September die Schulbank der ersten Klasse drücken. Doch soll hier die individuelle Einschätzung der Eltern gelten, ob die Kleinen nicht noch ein Jahr zurückgestellt werden.

Wer vor dem 1. Juli 2013 geboren wurde, der muss definitiv zur Schule gehen – es sei denn, eine von den Eltern zu beantragende psychologische Untersuchung kommt zu einem anderen Ergebnis. Für alle nach dem 30. September Geborenen gilt das Gegenteil, sie dürfen noch ein Jahr daheim bleiben – außer der Schulbesuch wird, ebenfalls nach einer Untersuchung, ausdrücklich gewünscht.

Doch die großzügige Regelung beim Zurückstellen hat ungeahnte Folgen. Berechnungen des Kultusministeriums aufgrund einer Anfrage der SPD-Landtagsabgeordneten Doris Rauscher ergaben, dass sich bayernweit 44 Prozent der Eltern von Korridor-Kindern für die spätere Einschulung entschieden haben. Für die rund 2400 Grundschulen in Bayern bedeutet das, dass 2800 erwartete Kinder nicht kommen werden und stattdessen in den bayernweit rund 7000 Kitas verbleiben. Die Zahl der Korridor- und anderer zurückgestellter Kinder stieg gegenüber dem Vorjahr um immerhin 9 Prozent.

Doch in den Kitas wird es noch aus einem anderen Grund enger. In diesem Jahr erhalten Eltern erstmals einen Beitragszuschuss von 100 Euro pro Monat und Kind während der gesamten Kindergartenzeit, nicht nur wie bisher im letzten Kindergartenjahr. Landesweit kommen somit Eltern von 375 000 Kindern in den Genuss dieser staatlichen Leistung.

Bis zu 70 Prozent der Kinder werden heuer zurückgestellt

Die Zahlen der Zurückgestellten sind regional sehr unterschiedlich. Besonders groß ist der Anteil der Korridor-Kinder im schwäbischen Dillingen – 70 Prozent, was 29 Kindern entspricht. Sie alle verbleiben nun für weitere zwölf Monate im Kindergarten. Die rund 19 000 Einwohner zählende Kommune musste einen neuen Kindergarten bauen, damit Eltern nicht gezwungen sind, ihren Nachwuchs in einen anderen Ort zu bringen.

Das macht Oberbürgermeister Frank Kunz (CSU) wütend. In Richtung Staatsregierung schimpfte er beim Baubeginn: „Es ist nicht kommunalfreundlich, wenn man Anfang Januar eine Entscheidung trifft, die dann im September greifen soll. Und die Kommunen sollen dann innerhalb eines halben Jahres einen Kindergarten auf die Wiese stellen.“

Mit seiner Kritik ist OB Kunz nicht allein, was man auch beim Bayerischen Städtetag festgestellt hat. In einzelnen Städten entscheiden sich bis zu 50 Prozent der Korridor-Kinder, daheim zu bleiben. „Neben steigenden Geburtenraten, Zuzug, Zuwanderung, Ausweitung der Beitragsentlastung und mehr Kindern mit Inklusionsbedarf sorgt der zum 1. August eingeführte Einschulungskorridor zu einer erheblichen Nachfragesteigerung bei den Kinderbetreuungsplätzen“, erläutert Bernd Buckenhofer, der Geschäftsführer des kommunalen Spitzenverbands.

Viele Städte hätten aufgrund des Korridors nun große Probleme bei der Bereitstellung von Betreuungsplätzen, weil als frei werdend eingeplante Plätze belegt bleiben. Außerdem werde dadurch „die Planungsunsicherheit im Bereich der Kindertagesbetreuung erhöht“, so Buckenhofer. Die Kommunen müssten frühzeitiger informiert werden, welche Kinder nicht schulpflichtig werden. Der Städtetag verlangt außerdem eine staatliche Förderung der baulichen Übergangslösungen, also von Miet-Containern und ähnlichem.

Für ein gewisses Durcheinander sorgte auch, dass die Eltern verhältnismäßig lange Zeit hatten, den jeweiligen Sprengelschulen Bescheid zu geben, ob ihr Kind kommt oder noch ein Jahr zurückgestellt wird – nämlich bis zum 3. Mai dieses Jahres.

Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (BLLV), freut sich zwar über die Entscheidung. Die Flexibilisierung der ersten Grundschuljahre habe man immer gefordert. Aber den Schulen sei zu wenig Zeit gelassen worden, sich professionell darauf vorzubereiten.

Für Kinder, bei denen erst im Verlauf der ersten Unterrichtsstunden klar wird, dass sie sich schwertun mit dem Stoff, gibt es schon länger eine Lösung: die flexible Grundschule. Sie ermöglicht es, die ersten beiden Schulklassen in drei statt in zwei Jahren zu absolvieren, ohne dass dies als Sitzenbleiben gilt. Im Gegenzug dürfen besonders Begabte aber auch von der ersten direkt in die dritte Klasse vorrücken.

Das bayerische Kultusministerium kann auf Nachfrage keine größeren Probleme erkennen. Man habe „die zahlenmäßigen Entwicklungen frühzeitig erhoben und sich mit dem Sozialministerium (das ist für die Kitas zuständig, Anm. d. Red.) abgestimmt. Vor Ort wurden die Kindertageseinrichtungen über die sich abzeichnenden Tendenzen informiert“, so eine Sprecherin von Ressortchef Michael Piazolo (FW).
Immerhin: Für das nächste Schuljahr wird das Anmeldeverfahren von April auf März vorverlegt und der 10. April als Fristende für die Elternentscheidung festgelegt. Somit könnten Schulen und Kindertageseinrichtungen künftig früher mit den Vorbereitungen für das neue Jahr beginnen, versichert das Ministerium. Dadurch bekämen alle Beteiligten mehr Planungssicherheit.
(André Paul)

Kommentare (1)

  1. Nicomo am 15.12.2019
    Man sollte auch daran denken, dass evtl. ( in meinem Fall ganz sicher) die grottenschlechte Betreuungssituation an Grundschulen auf dem Land dazu führt das Kind lieber noch ein Jahr im Kindergarten zu belassen, vor allem in den Ganztagsgruppen. Zumal der Unterschied in der Entwicklung zwischen im November bis März geborenen Kindern zu den Sommerkindern wirklich extrem ausfallen kann.
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