Politik

Eine bezahlbare Wohnung ist immer schwerer zu finden. Der (Sozial-)Wohnungsbau wird zunehmend von Bürgern blockiert, die keine Zuzügler wollen – schon gar keine armen. (Foto: dpa)

24.08.2018

Die Wohlhabenden bleiben gern unter sich

Im Freistaat gibt es immer mehr Proteste gegen den Bau von Sozialwohnungen. Das könnte das Ziel von Kommunen und Freistaat gefährden, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen

Es ist eine ausgelassene Feier. Kinder knattern mit Bobbycars über den Asphalt, die Erwachsenen stoßen im Schatten mit Bier und Prosecco an. Auch Klaus-Michael Dengler strahlt. Als Chef der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gewofag, gleichzeitig die größte Münchens, ist er Gastgeber des Nachbarschaftsfests. Dengler deutet stolz auf die neu erbaute Wohnanlage. Dutzende Geringverdiener, Alleinerziehende, Studenten und anerkannte Flüchtlinge haben in den fast 50 preisgebundenen Wohnungen Ende 2017 ein neues Zuhause gefunden.

Allerdings war noch im Jahr zuvor keineswegs sicher, dass hier in der Münchner Lerchenau einmal würfelförmige Häuser aus Beton und Holz errichtet würden. Denn in der Nachbarschaft gab es Skepsis und Proteste. „Auch weil die Politiker im Viertel mitzogen, klappte am Ende dann doch alles gut“, sagt Dengler.

Die Gewofag hatte auf eine aufwendige Infokampagne gesetzt, die Bürger vor Ort in die Planungen eingebunden, sie hofiert. Bis heute wirbt man um deren Sympathie – karrte für das Fest extra ein Buffet sowie eine Bar an und engagierte einen DJ.

Auch in anderen Vierteln legten sich die städtischen Wohnbaugesellschaften bei den Anwohnern mächtig ins Zeug – zuletzt jedoch immer öfter nur mit mäßigem Erfolg. Dengler beobachtete in München „in den vergangenen zwei bis drei Jahren eine deutliche Zunahme örtlicher Proteste gegen sozialen Wohnungsbau“.

Sozial Schwache als Nachbarn? Bitte nicht!

2017 etwa scheiterte der Bau von vier Dutzend Wohnungen auf einer Wiese in München-Trudering. Weil der Stadtrat die sogenannte Unnützwiese 2005 als allgemeine Grünfläche ausgewiesen habe, dürfe dort nicht gebaut werden, hatten die Gegner unter anderem argumentiert. Eine Bürgerinitiative hatte mit einem Bürgerbegehren gedroht, um den Bau zu verhindern. Die Stadt stoppte am Ende die Pläne.

Dengler moderierte damals eine Infoveranstaltung. Die Stimmung sei „aufgeheizt und aggressiv“ gewesen. Er wurde gefragt, wie er die Nachbarschaft vor „seinen Mietern schützen will“. Mit Polizei, Security oder einem Zaun? Dengler wirkt immer noch aufgebracht. „Was ist das für ein Menschenbild?“, fragt er.

In Allach, am anderen Ende der Stadt, hat die Gewofag nach Protesten von Anwohnern die Zahl der geplanten Wohnungen um ein Drittel reduziert. Auch im Stadtteil Moosach musste man bereits 2017 die Pläne ändern. Beide Projekte sind Teil des städtischen „Wohnen für alle“-Programms. Das sieht außer dem Bau vieler Wohnungen für Einheimische einen Mindestanteil an anerkannten Flüchtlingen in den Wohnblocks vor. In München-Neuperlach hatten sich die Gegner eines Neubauprojekts gar an den Petitionsausschuss des Landtags gewandt. Nun baut die Gewofag dort 50 Sozialwohnungen weniger, die Fertigstellung verzögere sich deshalb massiv, sagt Dengler. Auch die künftigen Mieter der mehreren Hundert Gewofag-Wohnungen für Normalverdiener müssen dadurch länger auf ihren Einzug warten.

Viele Menschen wollten keine Sozialwohnungen in ihrem Viertel, hätten Angst vor Armen und Fremden, weiß Dengler. Die offiziell vorgebrachten Gründe seien jedoch oft „bau- und umweltrechtlicher Natur“, so der Gewofag-Chef.

Doch nicht nur seine Firma hat Probleme. In Ramersdorf musste die städtische GWG ein geplantes Quartier wegen Anwohner-Protesten um 38 Wohnungen verkleinern. Allein in München werden bei Projekten, deren Fertigstellung zwischen 2017 und 2019 geplant war, Wohnungen im niedrigen dreistelligen Bereich nicht gebaut.

In der aus allen Nähten platzenden bayerischen Landeshauptstadt sind seit 1995 die Mieten um etwa 80 Prozent angestiegen – 1200 Euro kalt im Monat für eine 80 Quadratmeter große Wohnung gelten bei Neuvermietungen als ausgesprochen preiswert. Gering- und auch Normalverdiener können da kaum noch mithalten. In diesem Jahr werden voraussichtlich 30 000 Anträge auf eine Sozialwohnung eingehen, schätzt die Stadt. Das wären gut zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Von den 15 000 Berechtigten haben bereits heute 11 600 Haushalte die höchste Dringlichkeitsstufe – doch jährlich werden nur gut 3000 Sozialwohnungen frei. Immerhin: Die Stadt will nun mehrere Tausend Sozialwohnungen neu bauen. Die Proteste könnten dieses Ziel jedoch gefährden.

Anderswo im Freistaat gibt es ähnliche Probleme. Dem Verband bayerischer Wohnungsunternehmen (VdW) zufolge sind Proteste gegen die Errichtung von Sozialwohnungen zwar nicht neu. „Aber deren Häufigkeit und Dimension hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen“, sagt dessen Direktor Hans Maier. In dem Verband sind viele kommunale und staatliche Wohnbaugesellschaften sowie Genossenschaften organisiert. Syrgenstein, Dinkelsbühl, Gmund am Tegernsee, Erlangen und Münsing am Starnberger See: In zahlreichen bayerischen Orten gab es in jüngerer Vergangenheit teils massive Proteste gegen den Bau von Sozialwohnungen. Dabei fehlen allein im Freistaat bis zu mehrere Hunderttausend Sozialwohnungen. Kommunen haben ihre Anstrengungen zuletzt spürbar verstärkt. Auch das Land will in den kommenden Jahren 10 000 preisgünstige Wohnungen bauen.

Auch der Bau kirchlicher Wohnungen stockt

Außerhalb Bayerns müssen sich ebenfalls immer mehr Kommunen mit Protesten gegen Sozialwohnungen auseinandersetzen. Christian Lieberknecht, Geschäftsführer des GdW Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, erklärt: „Manche Anwohner haben Angst, dass so verstärkt Menschen in sozialen Schwierigkeiten in ihre Nachbarschaft ziehen und sich damit das Quartier verändert.“ Es gebe „auch Unternehmen, die wegen massiver Proteste sagen: Das schaffen wir nicht.“ Am Ende fehlen dann bezahlbare Wohnungen.

Die Gründe für die Proteste sind vielschichtig. VdW-Chef Maier sagt: „Manche haben Angst vor Wertverlust.“ Viele hätten „Angst, dass die Wohnungen von Flüchtlingen bezogen werden“. Doch auch wenn kein einziger Flüchtling einzieht, gebe es oftmals massiven Widerstand. In den vergangenen Jahren „habe der Zusammenhalt der Stadtgesellschaft abgenommen“, so Maier. Mitunter fürchten Anwohner schlicht um die Landschaft oder die Wiese, die als Bolzplatz benutzt wird. Andere stören sich an der Verdichtung.

Laut GdW und VdW sind von den Protesten längst nicht nur der soziale Wohnungsbau, sondern auch der Bau anderer preisgünstiger Wohnungen, etwa der von kommunalen, genossenschaftlichen oder kirchlichen Wohnungen betroffen. Zuletzt gab es mehrere Bürgerbegehren gegen Sozialwohnungen.

Mancherorts wird nun deutlich weniger gebaut als vorgesehen. In München-Allach etwa plant die Stadt nun bereits deutlich weniger Sozialwohnungen. Aber die örtliche Bürgerinitiative, die eine Mail-Anfrage unbeantwortet ließ, will auch das nicht hinnehmen und hat eine Petition beim Landtag eingereicht. Auf ihrer Webseite sind Protestbilder von Anwohnern zu sehen, die Schilder in die Luft recken mit Slogans wie „Bitte rettet unsere Wiese“ oder „Grün für Alle statt Beton und Feinstaub“.  Wer sich in der Gegend umhört, merkt allerdings schnell: Nicht alle Anwohner sind gegen das Projekt. Eine 77-Jährige sagt, sie habe „schon Angst gehabt“. Deshalb habe sie die Bürgerinitiative unterstützt. Aber nachdem die Stadt den Anwohnern entgegengekommen ist, sagt sie: „Irgendwo müssen ja auch die Armen leben.“ Ein anderer Anwohner befürchtet hingegen, dass, wenn „solche Menschen kommen, es im Viertel mit der Ruhe vorbei ist“.

Doch wohin sollen die Menschen, die nur schwer eine Wohnung finden, sonst? Da ist die Familie Noorasamai. Er sei „wirklich froh“, dass er in der Lerchenau leben dürfe, sagt Vater Abdullah beim Gewofag-Sommerfest. Er lebt seit vielen Jahren in München. Auch seine Frau Nadid, mit Baby im Arm, ist zufrieden.

Für Klaus Ernst, Vize der Linken-Bundestagsfraktion, zeigt die Zunahme an Protesten gegen Sozialwohnungen „das große Problem unserer Gesellschaft“. Die Menschen, die Geld hätten, wollten sich von denen abheben, die nichts hätten. In letzter Konsequenz würde das zu einer Art Ghettobildung in den Städten führen. Damit sich der arrivierte Teil der Gesellschaft nicht gestört fühlt, müssen die Armen irgendwo weit draußen bleiben – die ohnedies zunehmende Kluft von Arm und Reich würde weiter verschärft. (Tobias Lill)

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