Die bayerische Wirtschaft setzt auf Minikernkraftwerke, die Staatsregierung baut ihre Nuklearforschung massiv aus und die politischen Gegner des Atomausstiegs setzten nicht nur im Wahlkampf auf moderne Kernkraft- oder sogar Fusionskraftwerke. Doch nicht alles ist realisierbar, bei vielem handelt es sich um eine für die Steuerzahler teure Wette auf die Zukunft.
Der Münchner Energietechnikkonzern Siemens Energy hat Ende Februar eine Vereinbarung mit dem britischen Industriekonzern Rolls-Royce getroffen, um gemeinsam Minikernkraftwerke zu entwickeln. Diese sogenannten Small Modular Reactors (SMR) sind klein und können durch ihre Modularbauweise dort errichtet werden, wo ein hoher Strombedarf besteht. Techgiganten wie Amazon und Google investieren bereits in SMR-Projekte, um den wachsenden Strombedarf ihrer energieintensiven Rechenzentren und KI-Anwendungen zu decken. „Wir erleben derzeit eine weltweite Renaissance der Nuklearenergie“, sagt Vorstandsmitglied Karim Amin von Siemens Energy. Immer mehr Länder setzen auf Nukleartechnik, um emissionsfreien Strom zu produzieren.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie wollte auf Nachfrage keine Einschätzung abgeben, wie wichtig SMR für die deutsche Wirtschaft sind und wann mit einer Umsetzung zu rechnen ist. Industrie und private Haushalte benötigen aber auch bei Dunkelheit oder in windstillen Zeiten ausreichend Strom. Deutschland importiert Atomstrom also weiterhin aus Nachbarländern, darunter Frankreich oder Tschechien.
Aus Sicht des Nuklearforschers Christian Reiter von der Technischen Universität München (TUM) könnte hierzulande bereits Anfang der 2030er-Jahre der erste SMR gebaut werden. „Solche Reaktoren wären auch in Deutschland, basierend auf dem noch gültigen Regelwerk, verhältnismäßig schnell zu realisieren – eine entsprechende Änderung des Atomgesetzes vorausgesetzt.“
Der Bau von SMR mit einer Leistung von 50 bis 300 Megawatt ist technisch umsetzbar. Denn mit Atom-U-Booten oder Flugzeugträgern gibt es bereits kompakte Spaltungsreaktoren. Dennoch befinden sich weltweit fast alle SMR noch in der Planungs-, Genehmigungs- oder Demonstrationsphase. Lediglich das schwimmende Kernkraftwerk „Akademik Lomonossow“ in Russland mit SMR-Technologie liefert Strom und Wärme in abgelegene Regionen. Von einer seriellen und damit günstigen Herstellung ist man also ohne Subventionen noch weit entfernt. Eine Stadt wie München würde ungefähr fünf solcher Reaktoren benötigen.
Die Freien Wähler in Bayern unterstützen zwar angesichts der geopolitischen Lage den Ausbau der bayerischen Technologiekompetenz. „Aber ob SMR eines Tages auch in Bayern zur kommerziellen Stromerzeugung eingesetzt werden können, bleibt abzuwarten“, sagt deren energiepolitischer Sprecher im Landtag, Josef Lausch. Er verweist auf die hohen Kosten, rechtliche Unsicherheiten, die bislang ungelöste Endlagerfrage und den mangelnden gesellschaftlichen Konsens. Seine Fraktion setze daher vor allem auf Wind, Solar, Biomasse und zusätzliche Gaskraftwerke für die Versorgungssicherheit.
Die SPD im Landtag ist bei dem Thema noch skeptischer. „Was weder Herr Merz noch Herr Söder gerne erwähnen: Was sagen die betroffenen Bürger, wenn plötzlich in ihrer Nachbarschaft kleine Atomkraftwerke gebaut werden sollen?“, fragt der Landtagsabgeordnete Florian von Brunn. SMR seien genauso gefährlich und teuer wie ihre großen Pendants.
Das Endlagerproblem bleibt ungelöst
Hinzu kommt: „Mit jeder weiteren kerntechnischen Anlage steigt das Risiko, dass es in einer davon zu einem Unfall kommt“, warnt der Bund Naturschutz. Da SMR ineffizienter seien als normale Atomkraftwerke, würden sie sogar bis zu 30 Mal mehr Atommüll produzieren. „Alle Jahre wieder kommt die Sensationsmeldung: Endlich sei ein Durchbruch bei der Kernfusion erzielt worden“, klagt ein Sprecher. Von einem richtigen Durchbruch sei die Forschung jedoch noch weit entfernt.
Die TUM forscht seit über 70 Jahren an Nuklearenergie. Insgesamt gibt es in Deutschland sechs Forschungsreaktoren – der größte davon in Garching bei München. Anfang Februar beschloss das bayerische Kabinett, den Bereich Kernfusion und neuartige Kerntechnologien um sechs neue Lehrstühle, 20 Nachwuchsforschergruppen sowie zusätzliche Studien- und Graduiertenangebote zu erweitern. Zudem wird ein hochschulübergreifender Studiengang Nuclear Fusion Technologies eingerichtet. „Deutschland ist aus der Kernenergie ausgestiegen, Bayern steigt neu ein – in die Kerntechnologien von morgen!“, frohlockte Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU). Ziel sei ein bayerisches Demonstrationskraftwerk.
Das grün geführte Bundesumweltministerium, zuständig auch für nukleare Sicherheit, zweifelt am Erfolg dieses Vorhabens. Bei Fusionskraftwerken wird Wasserstoff so extrem erhitzt, dass seine Atomkerne miteinander verschmelzen und dabei enorme Energie freisetzen. Auch nach jahrzehntelanger Forschung und vielen Steuergeldern sei man dabei nicht über die Grundlagenforschung hinausgekommen. „Eine Experimentieranlage, die mittels Kernfusion insgesamt mehr Energie aus Fusion produziert, als zu ihrem energetischen Eigenbedarf erforderlich wäre, liegt noch in ferner Zukunft“, sagt ein Sprecher von Ministerin Steffi Lemke (Grüne). Dies gelte umso mehr für ein Demonstrationskraftwerk.
Neben SMR und Fusionskraftwerken setzte die Union in ihrem Wahlprogramm auch auf Kernkraftwerke der vierten und fünften Generation. Atomkraftwerke der vierten Generation sollen die Brennstoffnutzung effizienter gestalten und weniger radioaktiven Abfall produzieren. Das erste seiner Art eröffnete 2024 in China. Gerne hätte man von der CDU erfahren, was Atomkraftwerke der fünften Generation sind, denn selbst Fachleute fragen sich, was damit gemeint sein könnte. Doch wegen der Sondierungsgespräche mit der SPD will man sich dazu im Berliner Konrad-Adenauer-Haus nicht äußern.
Selbst die AfD, die Atomkraft vollumfänglich unterstützt, lässt den Begriff der fünften Generation aus. „Wir stehen klar für die Förderung der Grundlagenforschung und die Unterstützung von Forschungsreaktoren, betonen jedoch gleichzeitig, dass zunächst die niedrig hängenden Früchte geerntet werden müssen“, erklärt der AfD-Landtagsabgeordnete Florian Köhler. Dies bedeutet in erster Linie die schnellstmögliche Wiederinbetriebnahme der bestehenden Kernkraftwerke und zweitens den Einstieg in die Entwicklung von Kraftwerken der vierten Generation.
Doch die Wiederinbetriebnahme ist umstritten. Energieverfahrenstechniker Jürgen Karl von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, der zum Thema Reaktorsicherheit promoviert hat, sagte kürzlich, ein Reaktordruckbehälter halte 30 bis 40 Jahre. „Alle Reaktoren, die in Deutschland stehen, sind am Ende oder schon über ihrer eigentlichen Lebensdauer.“ Natürlich müsse nichts passieren, aber wenn etwas passiere, sei die Lage nicht mehr kontrollierbar. (David Lohmann)
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