Politik

Der Bundestag hat dem Finanzpaket für Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz zugestimmt. (Foto: dpa/Kay Nietfeld)

21.03.2025

Finanzpaket: Ein historischer Befreiungsschlag für Deutschland und Europa

Ex-Staatskanzleichef Rudolf Hanisch ist voller lob für das Finanzpaket für Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz

Am 18. März 2025 hat der Deutsche Bundestag eine historische Weichenstellung für die Zukunft unseres Landes und für Europa getroffen. Nach der Zustimmung des Bundesrates steht der Änderung der Verfassung durch das Finanzpaket für Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz nichts mehr im Wege. In kürzester Zeit wurde eine stabile Basis dafür geschaffen, die Sicherheit und die Wirtschaftskraft der Bundesrepublik nach Jahrzehnten des Stillstands so zu stärken, dass wir für die dramatischen Veränderungen der Weltordnung durch Russland, die USA und China gewappnet sind. Wladimir Putin will Macht und Grenzen der Sowjetunion wiederherstellen, Donald Trump Länder wie Kanada und Grönland annektieren und Xi Jinping Taiwan erobern. Nationaler Protektionismus mit Zöllen und Subventionen löst den freien und fairen Welthandel ab. Deutschland stellt sich jetzt dem neuen Imperialismus und Merkantilismus mit einem starken Signal entgegen.

80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist die Einheit des Westens zerbrochen. Donald Trump hat als Komplize von Wladimir Putin den demokratischen und rechtsstaatlichen Wertekonsens mit Europa aufgekündigt. Er hat den Präsidenten der Ukraine gedemütigt und aus dem Weißen Haus geworfen, weil der sich geweigert hat, vor dem russischen Aggressor bedingungslos zu kapitulieren. Der US-Präsident hat klargestellt, dass die Ukraine auf die von Russland widerrechtlich besetzten Gebiete verzichten muss, der Nato nicht beitreten darf und keine Sicherheitsgarantie erhalten wird.  Von Putin hat er das Narrativ übernommen, dass nicht der Täter, sondern das Opfer schuld am Krieg sei. Wie Hitler und Stalin mit ihrem Pakt Polen aufgeteilt haben, soll nunmehr die Ukraine ausgelöscht werden. Der gefährlichste Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten ist dabei, für seinen Deal mit dem Kriegsverbrecher Putin Europa zu zerstören. Die USA sind auf dem Weg zu einer postdemokratischen Diktatur. Es gilt das Recht des Stärkeren. Wer schwach ist und sich nicht selbst verteidigen kann, wird zum Verlierer.

Schon einmal sollte Europa eine Verteidigungsgemeinschaft werden

Dass Schwäche verwundbar macht, ist keine neue Erkenntnis. Franz Josef Strauß hat im Februar 1952 im Bundestag festgestellt, die Sicherheit der Bundesrepublik und der anderen europäischen Völker im Kalten Krieg beruhe „leider nur auf der amerikanischen Sicherheitsgarantie. … Wir können es auf die Dauer weder den europäischen Völkern noch den Amerikanern zumuten oder von ihnen erwarten, dass sie allein Opfer für unsere Verteidigung bringen.“ Und er wies auf das Risiko der Ungewissheit der Politik der jeweils folgenden amerikanischen Regierung hin, das sich jetzt verwirklicht hat. Strauß vertrat die Doktrin der Friedenswahrung durch Abschreckung, während er wie Kurt Schumacher Schwäche als Kriegsanziehung bezeichnete. Verteidigungspolitik war für ihn Friedenspolitik. „Um den Krieg zu verhindern, müssen wir so stark werden, dass ein Angriff Selbstmord wäre.“ Er kritisierte die Unterschätzung der hegemonialen Absichten der Sowjetunion und lehnte die pazifistischen Illusionen ab, der brutalen Machtpolitik des Kremls am besten ohne Waffen entgegenzutreten.

Der von Strauß unterstützte Plan einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft ist am 30. August 1954 in der französischen Nationalversammlung gescheitert. Konrad Adenauer hat das als die größte Niederlage für Deutschland in seiner Amtszeit bezeichnet. Nach dem Beitritt Deutschlands zur NATO am 9. Mai 1955 hat Strauß als Verteidigungsminister seine Vorstellungen für eine starke Landesverteidigung konsequent umgesetzt. Bei seinem Amtsantritt im Jahr 1956 hatte die Bundeswehr gerade mal 7.700 Soldaten, am Ende seiner Amtszeit waren es 300.000. Sie wurde zu einer der stärksten Armeen in der NATO. Die deutschen Militärausgaben beliefen sich auf vier Prozent der Wirtschaftsleistung. In seinem „Entwurf für Europa“ von 1966 betonte Strauß erneut die Notwendigkeit einer gemeinsamen Außen- und Verteidigungspolitik und sprach sich für die Entwicklung einer europäischen nuklearen Abschreckungskapazität aus. Sein Credo war, dass die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich entscheidend für eine sichere Zukunft Europas sein würde.

Das Geschäftsmodell der Friedensdividende

Doch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 hat Deutschland seine eigene Verteidigungsfähigkeit sträflich vernachlässigt. Das deutsche Geschäftsmodell beruhte seither auf den Erträgen der Friedensdividende: Die nationale Sicherheit wurde durch die USA finanziert, Russland sorgte für billige Energie und der chinesische Markt für hohe Gewinne. So konnte Deutschland 2009 eine rigide Schuldenbremse einführen, 2011 den Ausstieg aus der Kernkraft beschließen und im gleichen Jahr die Wehrpflicht aussetzen. Was der erste Bundesverteidigungsminister der CSU aufgebaut hatte, baute der zweite wieder ab. Die Militärausgaben sanken 2014 auf 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Warnsignale wie Putins 10-jähriger Tschetschenienkrieg seit 1999, seine Intervention in Georgien 2008 und im Donbass 2014 und sogar seine Annexion der Krim 2014 wurden überhört. Die chinesische Offensive „Made in China“ 2015 zur Ablösung ausländischer Technologie bis 2025 und die von Donald Trump 2016 geforderte Erhöhung des Verteidigungsbeitrags auf drei Prozent wurden ebenso missachtet wie der zunehmende Verfall der Infrastruktur, den der Bundesrechnungshof immer wieder moniert hat. Erst mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 kam es zu einem Wandel in der deutschen Sicherheitspolitik. Ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ließ den deutschen NATO-Beitrag im vergangenen Jahr erstmals wieder auf zwei Prozent ansteigen. Doch noch immer handelte Bundeskanzler Olaf Scholz zögerlich, wenn es um die Bereitstellung schwerer Waffen und weitreichender Raketen für die Ukraine ging.

What ever it takes

Die Ereignisse vom 28. Februar 2025 im Weißen Haus, als Donald Trump seinen Bruch mit Europa deutlich machte, führten zu einem ebenso raschen wie radikalen Wandel der deutschen Sicherheitspolitik. Obwohl die Bundestagswahl nur wenige Tage zurücklag und die Bildung einer neuen Regierung noch nicht begonnen hatte, einigten sich die möglichen Koalitionspartner Union und SPD am 3. März 2025 auf ein Finanzpaket für die Sicherheit des Landes, wie es die Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gesehen hat. Für den Aufbau der Bundeswehr wurde eine Ausnahme von der Schuldenbremse ohne Obergrenze vereinbart, soweit die Aufwendungen ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigen. Damit gilt auch hier der Grundsatz, dass der Bedarf die Mittel bestimmt, den Mario Draghi in der Euro-Krise geprägt hat: What ever it takes.  Auf Druck der Grünen, deren Zustimmung für die Zwei-Drittel-Mehrheit im alten Bundestag erforderlich war, wurden Investitionen für den Zivil- und Bevölkerungsschutz, die Cybersicherheit, die Nachrichtendienste und die Unterstützung für völkerrechtswidrig angegriffene Staaten einbezogen.

Mit dieser Finanzgarantie und einer Wiedereinführung der Wehrpflicht, einer Teilhabe an einem europäischen Atomschirm und an einer europäischen Armee kann Deutschland einen essentiellen Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit Europas leisten, wie es einst Franz Josef Strauß gefordert hatte. Dazu gibt es keine Alternative. Moskau wird die Bündnistreue der USA austesten, nachdem Donald Trump schon in seiner ersten Amtszeit angedroht hatte, die NATO zu verlassen. Sollte Putin in der Ukraine siegen oder einen Diktatfrieden erreichen, müsste Deutschland Millionen von Flüchtlingen aufnehmen und mit einem russischen Angriff auf das Baltikum und Polen rechnen. Militärexperten schätzen, dass dies in drei bis fünf Jahren der Fall sein könnte. Moskau plant, bis 2030 erheblich aufzurüsten. Wie Frankreichs Präsident Macron feststellt, soll Putins Armee von derzeit 1,2 auf 1,5 Millionen Soldaten aufwachsen, die Zahl der Panzer von 4.000 auf 7.000 ansteigen und die der Kampfjets von 300 auf 1.500. Europa hat jetzt etwa 1,5 Millionen aktive Soldaten, über 6.000 Kampfpanzer und 1.700 Kampfjets. Nur bei der Zahl der Atomsprengköpfe ist Russland mit rund 6.000 gegenüber rund 600 von Frankreich und Großbritannien eindeutig überlegen. Maßgebend für die Verteidigung werden vor allem Drohnen, Luftabwehr und Satellitenaufklärung sein. Jetzt muss Europa eine europäische Verteidigungsgemeinschaft werden, die neben der EU auch Großbritannien umfasst. Die Zerstörung der alten Weltordnung durch Donald Trump ist für den alten Kontinent nicht nur eine fundamentale Bedrohung seiner Zukunft, sondern auch eine Chance, endlich erwachsen zu werden. Der zweite Versuch, eine europäische Verteidigungsgemeinschaft zu schaffen, darf nicht wieder wie 1954 scheitern. Sonst scheitert Europa.

Infrastruktur und Klimaneutralität

Neben dem Finanzpaket für Verteidigung und Sicherheit, das nur von den Parteien am rechten und linken Rand abgelehnt wird, steht ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro, das über zwölf Jahre Investitionen in die Infrastruktur schaffen soll. Länder und Kommunen werden mit einem Anteil von 100 Milliarden Euro an diesem Sondervermögen und einer Lockerung der bisher für sie strikten Schuldenbremse unterstützt. Auch hier geht es um einen Abschied von der Friedensdividende, von der die Bundesrepublik über die letzten Jahrzehnte als großes Industrie- und Exportland mehr profitiert hat als andere Länder. Der freie und faire Welthandel ist jetzt einem globalen Handelskrieg gewichen, den Amerika mit Zöllen und China mit Subventionen führt. Es ist unabdingbar, durch eine umfassende Sanierung und Modernisierung der maroden Infrastruktur wieder eine feste Basis für wirtschaftliches Wachstum zu schaffen. Den Grünen sind dabei zwei wesentliche Verbesserungen zu verdanken. Zum einen ist der Klimaschutz, den Union und SPD zuvor nicht erwähnt haben, mit einem Anteil von 100 Milliarden Euro jetzt Bestandteil des Investitionspakets. Das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 wird in das Grundgesetz aufgenommen. Zum andern haben die Grünen die Beschränkung des Sondervermögens auf zusätzliche Investitionen durchgesetzt. Somit ist ausgeschlossen, dass die künftige Bundesregierung laufende Ausgaben oder bereits vorgesehene Investitionen in das Sondervermögen verschiebt und dadurch Spielraum für Mehrausgaben bekommt.

Dem Finanzrahmen müssen jetzt rasche und effektive Reformen folgen

Das mutige Finanzpaket ist dem Zusammenwirken der Parteien der demokratischen Mitte zu verdanken. Im Übergang zwischen alter rot-grüner und neuer schwarz-roter Bundesregierung haben sie die finanzielle Grundlage dafür geschaffen, dass Deutschland sich in der größten sicherheits- und wirtschaftspolitischen Herausforderung nach dem Kalten Krieg behaupten kann. Natürlich bergen hohe Schulden hohe Risiken, wenn sie nicht zu entsprechendem Wirtschaftswachstum führen. Doch ein „weiter so“ wäre für die Zukunft des Landes fatal. Dass AfD und Linke die Verfassungsänderung schon aus Sympathie für den Kreml ablehnen, war zu erwarten. Die FDP misst der Schuldenbremse unabhängig von den jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen absolute Priorität bei. Das Grundgesetz kennt freilich ein Ewigkeitsgarantie nur für die fundamentalen Werte unserer Verfassung wie die Grundsätze der Menschenwürde, der Demokratie, des Rechts- und Sozialstaats und des Föderalismus.

Entscheidend für das Zustandekommen des Finanzpakets war die staatspolitische Verantwortung der Partei, die Markus Söder als „Gefahr für die Demokratie“ bezeichnet hatte. Die Grünen haben das Finanzpaket nicht nur ermöglicht, sondern deutlich verbessert, wie Vertreter von CDU und SPD einmütig bekundet haben. Mit der Ausweitung der Investitionen auf den Klimaschutz haben sie ein erstaunliches Defizit der ursprünglichen Vereinbarung beseitigt. Was die FDP noch als „ideologiegetriebenen Klimaschutz“ abqualifiziert hat, ist nichts anderes als die Konsequenz aus der historischen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 zur Wahrung der Freiheitsrechte jüngerer Generationen. Das Gericht hat klargestellt, dass der Klimaschutz nach Artikel 20 a Grundgesetz Verfassungsrang genießt.  Dieses Staatsziel wird jetzt durch das Gebot der Klimaneutralität bis 2045 konkretisiert. Nicht weniger bedeutsam ist die Einfügung durch die Grünen, dass Schulden nur für „zusätzliche“ Investitionen gemacht werden dürfen. Diese Einschränkung wird von führenden Ökonomen als Voraussetzung für die erforderlichen Wachstumsimpulse bezeichnet. Sie werden vom Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft mit einem zusätzlichen Prozent pro Jahr angesetzt, vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin sogar mit zwei Prozent. Es wird entscheidend darauf ankommen, wie effektiv der Finanzrahmen genutzt wird und ob es zu notwendigen Reformen im Sinne der Initiative für einen handlungsfähigen Staat kommt. Die Koalitionsvereinbarung von Union und SPD wird darüber einen ersten Aufschluss geben.
(Rudolf Hanisch)

 (Der Beitrag stammt vom Autor der Bücher „Silicon Valley Bayern“ und „CSU in der Krise“. Er war 2005 bis 2009 Vorstandsvize der BayernLB und zuvor unter Ministerpräsident Edmund Stoiber Chef der Staatskanzlei.)

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