Rund 1000 Eier, zentnerweise Zucker, Mehl und Butter: Das wandert im Münchner Sozialunternehmen Kuchentratsch normalerweise jede Woche in die Rührschüsseln, um sich später in Cupcakes oder fluffigen Schokoladenkuchen zu verwandeln. Doch wegen der Corona-Pandemie stehen die Küchenmaschinen und Backöfen seit zwölf Wochen still. Kuchentratsch verkauft kein Gebäck aus einer anonymen Fabrik, sondern „Oma-Kuchen“: Leckereien, die knapp 50 Rentner nach eigenen Rezepten in der Backstube des kleinen Start-ups zaubern, auf Minijob-Basis.
Damit bessern sie nicht nur ihre Haushaltskasse auf, sondern kommen unter Menschen, können Kontakte knüpfen. Zwar dürften sie theoretisch auch während der Corona-Krise zur Backform greifen. Aber, sagt Theresa Offenbeck von Kuchentratsch, „mit einem Durchschnittsalter von 71 Jahren gehören unsere Senioren der Risikogruppe an“. Um sie nicht zu gefährden, entschloss sich das Unternehmen schweren Herzens, den Backstubenbetrieb einzustellen.
Mit fatalen Folgen. „Von jetzt auf gleich hatten wir null Einnahmen“, beschreibt Offenbeck die Lage. Die Fixkosten, etwa für die Miete, laufen jedoch weiter. Bisher hält man sich noch einigermaßen über Wasser, mit dem Onlineverkauf von Gutscheinen und Backbüchern mit Kuchentratsch-Rezepten. Und dank der staatlichen Corona-Soforthilfe, die zwar schnell und unbürokratisch kam, allerdings nur einen kleinen Teil der Ausgaben deckt. Einige Mitarbeiter*innen sind bereits in Kurzarbeit. „Uns trifft die Krise sehr hart“, sagt Theresa Offenbeck. „Wenn das so weitergeht, halten wir vielleicht noch bis Ende Juni durch.“
Kuchentratsch ist nicht das einzige Sozialunternehmen, das durch die Corona-Pandemie an den Rand des Abgrunds gedrängt wird. Bei einer Umfrage des Social Entrepreneurship Netzwerks Deutschland (SEND) gaben 46 der befragten Firmen und Organisationen an, dass sie unter den derzeitigen Umständen höchstens noch sechs Monate durchhalten können. Schon in normalen Zeiten hätten Sozialunternehmer in Deutschland keinen einfachen Stand, sagt Raphael Brandmiller von der SEND-Regionalgruppe Bayern. Was unter anderem daran liegt, dass hier – im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Ländern – nicht einmal eine Definition, geschweige denn eine eigene Rechtsform für sie existiert.
Noch immer ist es für den deutschen Gesetzgeber offenbar schwer vorstellbar, dass es tatsächlich Betriebe und Organisationen gibt, die wirtschaftliches Denken und gesellschaftliche Aufgaben zusammenbringen wollen.
Dass sie damit durch die meisten Raster rutschen, bekommen sie vor allem in der jetzigen Krise leidvoll zu spüren. In kaum einem Förder- und Hilfsprogramm ist ihre besondere Situation berücksichtigt. Denn die, sagt Brandmiller, seien nach wie vor „an den klassischen gewinnorientierten Unternehmen oder an Wohlfahrtsunternehmen ausgerichtet“. Nur knapp ein Drittel der SEND-Mitglieder habe auf die staatlichen Corona-Soforthilfen zurückgreifen können. Bei KfW-Darlehen kamen gar nur 3,2 Prozent zum Zuge. Für diese seien nämlich bestimmte Bonitäts- und Gewinnzahlen Voraussetzung, sagt der SEND-Vertreter: „Und klassische Gewinne macht ein Sozialunternehmen nicht.“
So ist es auch beim Curatorium Altern gestalten aus Hartenstein im Nürnberger Land, eine gemeinnützige GmbH, die sich für mehr Vielfalt und Lebensqualität im Alter einsetzt. Zum Beispiel mit Kulturprojekten wie Sinfonie-Konzerte für Senior*innen oder Filmnachmittage für Hochbetagte und Menschen mit Demenz. Aber da, sagt Mitgründerin Sabine Distler, „macht uns Corona gerade einen Riesenstrich durch die Rechnung“. Wegen der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen liegen nahezu alle Vorhaben brach – und mit ihnen die Fördermittel, die daran gebunden sind. Wochenlang war nicht einmal klar, ob das Curatorium, für das immerhin drei Festangestellte sowie etliche Honorarkräfte tätig sind, überhaupt Anspruch auf die Corona-Soforthilfe hat. Mitte April stellte Sabine Distler schließlich den entsprechenden Antrag. Doch außer einer Eingangsbestätigung hat sie bislang nichts erhalten. „Wir hängen in der Luft“, sagt sie. Eine Mitarbeiterin werde deshalb jetzt in Kurzarbeit gehen. Zum Glück habe man inzwischen ganz gute Verbindungen zu Fördermittelgebern, sodass sich das Unternehmen wohl noch einige Zeit über Wasser halten könne: „Wenn es uns vor einem Jahr erwischt hätte, wären wir wahrscheinlich schon weg.“
Für den sozialen Bereich gibt’s viel weniger Geld als für Wirtschaftsunternehmen
Was ihr und anderen Sozialunternehmer*innen helfen würde? Da muss Sabine Distler nicht lange überlegen. Sie schlägt einen Rettungsschirm vor. Schließlich erfüllten Sozialunternehmen wichtige gesellschaftliche Aufgaben. Viele seien an Schnittstellen zwischen Gewinnorientierung und Wohlfahrt tätig – „und gerade da beginnt Innovation“. Raphael Brandmiller hat ähnliche Ideen.
Im bayerischen Wirtschaftsministerium hingegen verweist man auf die Soforthilfen, auf die nicht nur Wirtschaftsunternehmen Anspruch hätten, sondern auch Non-Profit-Körperschaften, die unternehmerisch tätig sind. Außerdem, ergänzt das Sozialministerium, sei ja vor einem Monat das bayerische Sonderprogramm Soziales verabschiedet worden, um beispielsweise Jugendherbergen, Schullandheime und zahlreiche kleinere Träger zu unterstützen – mit rund 31 Millionen Euro.
Damit stehe für den sozialen Bereich jedoch viel weniger Geld zur Verfügung als für Wirtschaftsunternehmen, moniert Doris Rauscher, sozialpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion. Darüber hinaus seien die Kriterien, wer hier berücksichtigt werde und wer nicht, relativ undurchsichtig. „Ich würde mir wünschen, dass sich das Sozialministerium hier stärker engagiert“, sagt Rauscher.
Beim Curatorium Altern gestalten lässt man sich trotz allem nicht entmutigen. Statt Kulturveranstaltungen für Senior*innen zu organisieren, versorgt man beispielsweise Pflegeeinrichtungen und Angehörige täglich mit speziellen TV-Tipps, etwa für Menschen mit Demenz. „Wir geben unser Wissen auf andere Art weiter“, sagt Sabine Distler. Und auch die Kuchentratsch-Mitarbeiter*innen haben noch lange nicht aufgegeben. Dort setzt man jetzt auf Backmischungen aus den bewährten Rezepten. Die ersten beiden Mixturen – für Schokoladen- und für Zitronenkuchen – werden ab nächsten Montag online angeboten. „Wir hoffen, dass wir dadurch die Backstube erhalten können“, sagt Theresa Offenbeck. (Brigitte Degelmann)
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