Politik

Bisher trat das BSW nur am Aschermittwoch in Bayern auf, einen eigenen Landesverband gibt es bisher noch nicht. (Foto: dpa/Lukas Barth)

08.11.2024

Ein schwieriges Terrain für Wagenknecht und Co

Am 16. November will das BSW in Bayern einen Landesverband gründen – womit will die Partei im Freistaat punkten?

Es ist bislang eine wohl beispiellose Erfolgsgeschichte: Nur wenige Monate nach seiner Gründung hat sich das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in gleich drei Landesparlamente katapultiert – selbst den Grünen gelang dies nach ihrer Parteigründung 1980 nicht. Und auch die AfD brauchte deutlich länger, bis sie in mehrere Landtage einzog. Das von Sahra Wagenknecht gegründete BSW füllt offensichtlich eine Lücke im aktuellen Parteiensystem. „Wagenknecht ist zur Erfolgsmarke geworden“, konstatiert jüngst die konservative FAZ.

Während Wagenknechts alte Heimat, die Linke, zur Regionalpartei werden dürfte, hofft das BSW, bundespolitisch zum Machtfaktor zu werden. Vermutlich im kommenden Frühjahr wird ein neuer Bundestag gewählt. Angesichts der Berliner Chaostage und des Bruchs der Ampelregierung ist jedoch auch ein deutlich früherer Termin im Bereich des Möglichen.

In Umfragen liegt das BSW deutschlandweit bei bis zu 8 Prozent. Für den Einzug in den Bundestag benötigt eine Partei allerdings kampagnenfähige Landesverbände. Doch ausgerechnet im bevölkerungsreichen Bayern ließ sich das BSW bislang viel Zeit beim Aufbau eines solchen. Dies soll sich nun ändern: Am 16. November will die Partei in Ingolstadt einen bayerischen Landesverband gründen. „Wir haben gute Chancen, uns im Freistaat als wichtige politische Kraft zu etablieren“, sagt Klaus Ernst, Vizevorsitzender der BSW-Gruppe im Bundestag, der Staatszeitung. Der Schweinfurter Abgeordnete und frühere Linken-Chef ist einer der maßgeblichen Köpfe beim BSW Bayern.

Über 5 Prozent in Bayern?

Er hält es für realistisch, dass das BSW bei der nächsten Bundestagswahl mehr als 5 Prozent der Stimmen erreichen kann. „Wir sprechen alle Bürger an“, sagt Ernst. Neben SPD-, Linken- und AfD-Wählern wolle man auch CSU-Anhänger gewinnen. „Wir wollen uns hier als bessere Alternative zur CSU positionieren“, sagt auch Manfred Seel der BSZ. Er ist das einzige bayerische Mitglied des BSW-Bundesvorstands.

Das BSW setzt im Freistaat auf dieselben programmatischen Punkte wie im Rest der Republik: eine im Vergleich zu Linken, SPD und Grünen strenge Migrationspolitik, eine linke Sozialpolitik und eine andere Politik gegenüber Moskau und Kiew. Unter dem Begriff Friedenspolitik steht die Partei für ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine; in Ostdeutschland konnte die Wagenknecht-Partei mit dieser Forderung punkten.

Ernst hält es für einen Fehler, keine russische Energie zu kaufen. „So macht die Ampel die Wirtschaft kaputt“, warnt er. Von der AfD, aus der ähnliche Töne kommen, will man sich allerdings abgrenzen. „Wir stellen Menschenrechte und das Asylrecht nicht infrage“, so Ernst. Es gebe „unter Zuwanderern jedoch eine hohe Kriminalität“. Darunter litten auch viele Migrant*innen, die hier bereits lange leben. Wer schwere Straftaten begehe, müsse abgeschoben werden, ebenso Menschen, für die laut Dublin-Abkommen eigentlich ein anderer Staat zuständig wäre.

Rund 100 Mitglieder hat die Partei bislang im Freistaat. Zuletzt waren nach Parteiangaben jedoch bereits über 2000 Mitgliedsanträge eingegangen. „Das Wachstum soll in einem vernünftigen Tempo voranschreiten“, sagt Ernst.

Bei der Europawahl holte die Partei in Bayern 3,8 Prozent. Der renommierte Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter schließt nicht aus, dass das BSW auch in Bayern auf über 5 Prozent der Stimmen kommen kann. Für viel größer hält das Potenzial der Partei zum jetzigen Zeitpunkt allerdings nicht. „Das BSW hat es in Bayern schwerer als anderswo“, sagt der Passauer Experte der Staatszeitung. Das Thema Migration, mit dem die Partei im Osten punkten konnte, werde im Freistaat von den Christsozialen und auch FW-Chef Hubert Aiwanger gut abgedeckt. Und kulturpolitisch sei die CSU traditionell konservativ, biete dem Wagenknecht-Lager also anders als im Osten keine offene Flanke.

Bleibt die Sozialpolitik. „Zumindest noch sind die sozialen Probleme im Freistaat überschaubar, weil Bayern bislang wirtschaftlich gut dasteht“, sagt der als CSU-nah geltende Oberreuter. Auch andere Expert*innen stufen das Potenzial des BSW im Vergleich zu anderen Bundesländern als geringer ein. „Meines Erachtens muss die CSU keine Angst vor der Gründung des bayerischen BSW haben“, sagt die Politologin Ursula Münch.

Die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing ist überzeugt: „Sowohl die Europawahl als auch die Landtagswahlen in Ostdeutschland haben gezeigt, dass das BSW eher den Parteien links der politischen Mitte Konkurrenz macht.“ Tatsächlich gelang es dem BSW, vor allem bei Linken- und SPD-Anhängern zu punkten. Doch auch der AfD konnte die Wagenknecht-Partei mit ihrem links-nationalen Kurs Stimmen abnehmen. Überdies gelang es ihr, viele Nichtwähler, die sonst womöglich die teils rechtsextreme Partei gewählt hätten, zu gewinnen. Relativ wenige Stimmen konnte sich das Wagenknecht-Lager dagegen von der CDU und den Grünen holen.

Münch verweist auch darauf, dass Wagenknecht in Ostdeutschland mit ihrer Positionierung gegenüber Russland und der westlichen Unterstützung für die Ukraine großen Anklang fand. „Dieses Thema verfängt in Bayern deutlich weniger als in Sachsen, Thüringen oder Brandenburg“, so die Politologin. Abschreckend für bayerische Wähler dürften ihr zufolge die aktuellen Differenzen zwischen Wagenknecht und dem thüringischen Landesverband sein. Dies widerspreche „der Selbstinszenierung des BSW ganz anders zu sein, als die staatstragenden Parteien“.

Klar ist: Sollten in Bayern noch mehr Industriearbeitsplätze, etwa in der Autoindustrie, verloren gehen, hat das BSW womöglich größeres Potenzial. Anders als SPD, Grünen und Linken gelang es ihr zuletzt, im Osten auch bei Arbeitern zu punkten. Doch wie groß ist die Angst in der CSU? Der Parteivorstand ließ eine Anfrage unbeantwortet. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Max Straubinger nimmt das BSW aber „durchaus wie auch andere politische Wettbewerber ernst.“ Man werde sich argumentativ mit dem BSW auseinandersetzen. „Wir müssen die Bürger aufklären, dass das BSW auf der linken Seite dasselbe Format ist, wie die AfD auf der rechten Seite“, sagt er.

Zuletzt argumentierten Gegner des BSW, das BSW sei eine extremistische Partei. Als Belege dienen wahlweise die linke Wirtschaftspolitik, der angedachte Nato-Ausstieg und die Forderung, der Ukraine keine Waffen mehr zu liefern. Doch letztlich ist selbst ein Austritt aus der Militärallianz vom Grundgesetz gedeckt – ob er ohne einen schlagkräftigen Ersatz etwa in Form eines Bündnisses mit anderen Atommächten wie Frankreich oder Großbritannien klug wäre, steht auf einem anderen Blatt.

Kein Extremismusverdacht

Die Politologin Münch sagt jedenfalls: „Im Augenblick sehe ich keine Anhaltspunkte dafür, dass das BSW extremistisch ist.“ Allerdings stehe das Führungsverständnis der Parteivorsitzenden „in einem Spannungsverhältnis zu den Grundsätzen der innerparteilichen Demokratie“. Münch prognostiziert: „Das wird aber kein Thema für den Verfassungsschutz werden, sondern es wirft die Frage auf, wie lange die Parteigliederungen bereit sind, ihrer Namensgeberin bedingungslos zu folgen.“

„Die Partei ist auf Wagenknecht zugeschnitten“, weiß auch Oberreuter. Die frühere Linke sei eine „Pluralismus-Gegnerin“, was man insbesondere an der Struktur ihrer eigenen Partei merke. Berichten zufolge sollen Wagenknecht und ihr innerster Zirkel mitunter Einfluss darauf genommen haben, wer Mitglied in der Partei werden darf. Klar ist: Ihr Einfluss auf die Partei ist ungewöhnlich hoch. Dies zeigt auch ihr Interventionsversuch auf den Kurs des Thüringer Landesverbands bei den Koalitionsgesprächen mit Union und SPD.

Wie groß der Einfluss Wagenknechts auf den bayerischen Verband am Ende sein wird, bleibt abzuwarten, ebenso, welche Priorität die 55-Jährige dem Freistaat einräumen wird. Im Februar hatte das BSW sich beim politischen Aschermittwoch in Passau mit einer eigenen Veranstaltung präsentiert. Vor dem Gasthaus bildeten sich lange Schlangen. Damals war Wagenknecht extra nach Niederbayern gereist. Bei der Gründung des Landesverbands in Ingolstadt wird sie Klaus Ernst zufolge dagegen nicht erwartet. (Tobias Lill)
 

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