Schwangerschaftsabbruch: Noch immer ist das ein Tabuthema. Niemand redet gern darüber, und keiner Frau fällt es leicht, so einen Eingriff vornehmen zu lassen. Eine kleine Erleichterung für betroffene Frauen ist, dass Praxen jetzt dafür werben dürfen, dass sie Eingriffe vornehmen. Doch es braucht weitere Hilfen.
Eine Homepage gehört für Arztpraxen heute fast zum Standard, vor allem in Ballungszentren. Nicht so für den Münchner Mediziner Friedrich Stapf. Das hängt mit seinem Arbeitsbereich zusammen: Stapf betreibt nämlich eine Klinik für Schwangerschaftsabbrüche. Laut Paragraf 219a im Strafgesetzbuch darf er bisher zwar darüber informieren, dass er Abtreibungen durchführt – aber nicht, mit welcher Methode und bis zu welcher Woche. Erst vor wenigen Tagen hat sich der Bundestag für die Abschaffung dieses Werbeverbots ausgesprochen. Für den Gynäkologen ein Schritt in die richtige Richtung: Das erleichtere den betroffenen Frauen wenigstens die Suche nach Ärzt*innen und diesen wiederum ihre Arbeit, sagt er.
In Augsburg gibt es keine einzige Praxis, die Abbrüche durchführt
11 579 Schwangerschaftsabbrüche wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamts im vergangenen Jahr in Bayern registriert, in ganz Deutschland waren es gut 94 000, wobei knapp ein Drittel der Eingriffe medikamentös erfolgte. Während diese Zahlen noch ziemlich einfach zu finden sind, gestaltet sich die Suche nach Praxen, die Abtreibungen durchführen, deutlich schwieriger. Nach Angaben des bayerischen Gesundheitsministeriums gibt es dafür bayernweit 96 Kliniken und Praxen mit entsprechender Zulassung, gut die Hälfte davon in Oberbayern. Das teilte das Ministerium im vergangenen Oktober auf eine Anfrage der SPD mit.
Diese Angaben seien allerdings mit Vorsicht zu genießen, sagt Thoralf Fricke, Geschäftsführer des bayerischen Landesverbands von Pro Familia. Denn nicht alle Ärzt*innen, die die Zulassung dafür haben, nehmen tatsächlich Schwangerschaftsabbrüche vor. Und ein offizielles Verzeichnis mit Adressen und Ansprechpartnern? Fehlanzeige. Zwar existiert eine Liste der Bundesärztekammer, diese weist für Bayern allerdings nur neun Einrichtungen auf. Denn die Eintragung ist freiwillig, was viele scheuen – aus Angst, dadurch ins Visier von Abtreibungsgegnern zu geraten.
Außerdem machten etliche Krankenhäuser um das Thema Schwangerschaftsabbruch einen großen Bogen, ergänzt Simone Strohmayr, frauenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion. Sie führten Abtreibungen höchstens bei einer kriminologischen oder medizinischen Indikation durch – also nach einem Sexualdelikt oder dann, wenn das Leben oder die Gesundheit der betroffenen Schwangeren bedroht ist.
96 Prozent der Abbrüche in Deutschland erfolgten 2021 jedoch nach der sogenannten Beratungsregelung. Diese besagt, dass der Eingriff vor der 14. Schwangerschaftswoche zu erfolgen hat – und dass sich die Betroffene mindestens vier Tage davor in einer staatlich anerkannten Stelle beraten lassen muss. Eine Folge davon: Mehr als 80 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche werden in gynäkologischen Praxen durchgeführt. Für Strohmayr eine „verlogene Situation“. Denn eigentlich verpflichte das Schwangerschaftskonfliktgesetz die Bundesländer dazu, genügend Einrichtungen für Abbrüche vorzuhalten. „An staatlichen Kliniken muss dafür gesorgt sein“, fordert sie.
Dazu kommt, dass die Einrichtungen, in denen Abtreibungen möglich sind, sehr ungleich verteilt sind. In Ballungsräumen wie München und Nürnberg seien zwar ausreichend Praxen zu finden, sagt Thoralf Fricke. Auf dem Land sehe es jedoch anders aus. In ganz Niederbayern nehme gerade mal eine Praxis Abbrüche nach der Beratungsregelung vor, in Schwaben und in der Oberpfalz gebe es jeweils zwei, in denen Abtreibungen teilweise aber nur bis zur zehnten Schwangerschaftswoche möglich sind. Und in Augsburg, immerhin die drittgrößte Stadt Bayerns, sei überhaupt keine Einrichtung zu finden. Dass das Gesundheitsministerium angesichts solcher Zahlen von einem „ausreichenden Angebot“ spricht, ärgert den Pro-Familia-Geschäftsführer: „Das ist einfach Quatsch. Das ist eine Mangelverwaltung.“
Verschärft wird die Situation dadurch, dass immer weniger Ärzt*innen bereit sind, den Eingriff vorzunehmen. Das belegen Angaben des Statistischen Bundesamts. Gab es im Jahr 2003 bundesweit noch gut 2000 Praxen und Kliniken, so waren es Ende 2020 nur noch rund 1100 – ein Minus von 46 Prozent. Jüngere Mediziner*innen hätten keine besondere Motivation mehr, sich in diesem Bereich zu engagieren, sagt Friedrich Stapf. Was auch daran liege, dass Schwangerschaftsabbrüche im Medizinstudium bisher kaum vorkommen. Selbst angehende Gynäkolog*innen erlebten während ihrer fünfjährigen Facharztausbildung praktisch keine Frauen, die ungewollt schwanger seien – weil sich Kliniken vor diesem Thema drückten.
Ein Thema, das mittlerweile auch Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) aufgeschreckt hat: Kürzlich forderte sie, dass Schwangerschaftsabbrüche Bestandteil der Medizinausbildung werden müssten.
Was ganz in Stapfs Sinne ist. „Der Abbruch gehört nun mal zur Gynäkologie“, sagt er. 76 Jahre ist er mittlerweile alt. Während seiner Famulatur in Frauenkliniken Anfang der 1970er-Jahre habe er Dutzende von Frauen gesehen, die manchmal mehr tot als lebendig ins Krankenhaus eingeliefert wurden, nachdem irgendwer mit Drahtbügeln oder Stricknadeln in ihrem Unterleib herumhantiert hatte, erzählt er. Und er erinnert sich an sieben Frauen, die solche illegalen Abtreibungen mit ihrem Leben bezahlten. Auch deshalb führt er seine Klinik weiter, in der er pro Jahr 3000 bis 3500 Abbrüche vornimmt. Seine Forderung: „Wir bräuchten überall in größeren Städten Einrichtungen, die medikamentöse und operative Eingriffe anbieten.“ Die Aufhebung des Werbeverbots sei da nur ein erster Schritt.
Übrigens: Die neue Homepage für seine Münchner Praxis ist schon in Arbeit. (Brigitte Degelmann)
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