Politik

Das Leben auf der Straße ist der letzte Schritt beim sozialen Abstieg von Menschen ohne Wohnung. Viele leben in Notunterkünften. (Foto: dpa/Marcus Brandt)

13.09.2024

Eine wachsende Gefahr

40 000 Menschen in Bayern sind wohnungslos – Fachleute warnen

Markus T. (Name geändert) stand mitten im Leben. Rund drei Jahrzehnte arbeitete der Oberbayer in der Gastronomie, führte lange ein Restaurant. Doch mit der Scheidung begann die Spirale nach unten. Plötzlich war das Geld knapp. Um zu sparen, kündigte er die Wohnung. „Die war für mich alleine viel zu groß. Und ich war sicher, rasch etwas Neues zu finden“ erinnert sich der gebürtige Münchner. Eine fatale Fehleinschätzung.

Er landete auf der Straße, T. verlor auch seine Arbeit. Jeden Vormittag duschte der Mann, der heute Mitte 50 ist, im Fitnesscenter. 19,90 Euro kostete ihn das Center im Monat – bei der Reinlichkeit wollte er nicht sparen. Jeder Tag hatte Struktur und Ordnung. Ein ums andere Mal ging er in den folgenden Jahren ins Wohnungsamt. Und jedes Mal sagte man ihm, dass es keine Wohnung für ihn gebe. „Für die Behörden war ich irgendwann bloß noch eine Nummer.“

Die Folgen der Wohnungslosigkeit sind vielfältig: Ohne Wohnsitz gibt es keine Adresse, an die der Arbeitgeber schreiben kann. Und auch eine Obdachlosenunterkunft im Briefkopf dürfte so manche Personalabteilung eher verschrecken. Markus T. ließ dennoch nicht locker, schrieb unzählige Bewerbungen für eine Wohnung und einen Job. Zugleich machte er eine Umschulung. Vor fünf Jahren zog er dann in ein Clearinghaus eines kirchlichen Trägers in Südbayern. Immerhin ein Dach über dem Kopf – doch kein wirklich eigenes Zuhause.

Explodierende Mieten

Kein Einzelfall. Seit dem Jahr 2022 erfasst das Bundesamt für Statistik die Zahl der Wohnungslosen. Demnach waren Ende Januar dieses Jahres fast 440.000 Frauen, Männer und Kinder in Notunterkünften, Clearinghäusern, Pensionen oder anderweitig untergebracht. 2023 waren es 372.000 Menschen, im Jahr zuvor gut 178.000. Der Großteil des Anstiegs geht auf eine bessere Datenerfassung zurück.

Eine weitere Ursache für die Zunahme sind die zuletzt nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge, insbesondere aus der Ukraine. Viele haben noch immer keine Wohnung gefunden. Die Zahl der Menschen mit deutschem Pass ohne eigenes Zuhause stieg bundesweit innerhalb von zwei Jahren von 55 000 auf 61.500 um 12 Prozent. Im Freistaat sind knapp 40.000 Menschen wohnungslos. Besonders groß ist die Not angesichts explodierender Mieten im Großraum München. My home is my castle? Für über 26.000 Männer, Frauen und Kinder in Südbayern gilt das nicht.

„Selbst ein Normalverdiener kann sich nicht mehr sicher wähnen. Denn wenn plötzlich eine Eigenbedarfskündigung kommt, kann auch für Menschen aus der Mitte der Gesellschaft eine drohende Wohnungslosigkeit ganz real werden“, sagt der Vorsitzende des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising, Hermann Sollfrank, der BSZ. Ohne Hilfsangebote von Kommunen und Trägern der Wohlfahrt würden viele Wohnungslose auf der Straße leben. Doch auch so ist die Zahl der Obdachlosen mit über 50.000 Menschen für ein wohlhabendes Land wie Deutschland erschreckend hoch. Für Sollfrank ist klar: „Wir brauchen mehr bezahlbaren Wohnraum.“ Wohnen dürfe kein Luxusgut werden.

Gefahr für die Demokratie

Die Präsidentin der Diakonie Bayern, Sabine Weingärtner, warnt, Wohnungslosigkeit könne zu einer Gefährdung der Demokratie werden. Die Zahl der Sozialwohnungen in Deutschland sinkt seit vielen Jahren: Gab es 2010 noch etwa 1,66 Millionen solcher Wohnungen für Menschen mit kleinen Einkommen, waren es im vergangenen Jahr nur mehr 1,07 Millionen. Im Freistaat halbierte sich deren Zahl zwischen 2003 und 2022 von rund 240.000 auf gut 133 100 beinahe. Immerhin: Im vergangenen Jahr stieg deren Zahl abweichend vom Bundestrend auf 134.800.

„Der Freistaat trägt mit zahlreichen Maßnahmen der Wohnraumförderung entscheidend dazu bei, das Angebot an preisgünstigem Wohnraum zu erhöhen“, sagt ein Sprecher des CSU-geführten bayerischen Bauministeriums der BSZ. Für dieses und das kommende Jahr stehe jeweils ein Rekordbetrag von rund 1,1 Milliarden Euro für die Wohnraumförderung in Bayern zu Verfügung.
Kritik gab es zuletzt an der von der Staatsregierung für den Wohnungsbau gegründete BayernHeim. Nur 33 Wohnungen hatte diese 2023 fertiggestellt. Allerdings hat die BayernHeim seit 2018 laut Bauministerium bereits 9222 Wohnungen auf den Weg gebracht. „Auch, wenn bis Ende 2025 nicht alle fertig gebaut sein werden, sieht es mit dem Ziel der 10.000 Wohnungen sehr gut aus“, so ein Sprecher.

"Der Freistaat muss deutlich mehr investieren"

Der Opposition gehen die Anstrengungen nicht weit genug. Jürgen Mistol, Wohnungsexperte der Grünen-Landtagsfraktion, fordert: CSU und Freie Wähler sollten „den geförderten Mietwohnungsbau endlich zur obersten Priorität machen“. Die Staatsregierung müsse Kommunen stärker beim Wohnungsbau unterstützen. Auch Sabine Gross (SPD) findet: „Der Freistaat muss deutlich mehr investieren.“

Bayerns Genossen und die Grünen loben den Bund. Tatsächlich fördert die Ampel den sozialen Wohnungsbau stärker als die Vorgängerregierungen. In diesem Jahr stellt sie den Ländern dafür knapp 3,2 Milliarden Euro zur Verfügung. Anton Rittel von den Freien Wählern hält die Maßnahmen des Bundes aber für „bei Weitem nicht ausreichend“.

Markus T. hat derweil eine geeignete Wohnung gefunden und den Mietvertrag unterschrieben. Er packt seine Umzugskartons. Doch für viele Menschen bleiben die eigenen vier Wände ein ferner Traum.
(Tobias Lill)

 

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