Politik

Englischunterricht an der Sankt-Anna-Grundschule in Augsburg. (Foto: dpa)

06.04.2018

Englisch lernen, ganz nebenbei

Seit zweieinhalb Jahren gibt es den Modellversuch zweisprachige Grundschule – eine Ausweitung wäre schön

Wenn Barbara Kortus „Let’s switch“ sagt, wissen die Kinder der ersten Klasse Bescheid. Im Kunstunterricht an der Josef-Dosch-Volksschule in Gauting werden dann „daffodils“ gemalt, Osterglocken. Oder „snowdrops“, Schneeglöckchen. Das ist kein Englischunterricht im strengen Sinn. Barbara Kortus fragt die Wörter nicht ab. In der neuen Sprache üben sich die Kinder eher nebenbei. Und doch lernen sie Englisch, mit respektablen Ergebnissen. Seit zweieinhalb Jahren haben bayerische Kinder an 21 Grundschulen die Möglichkeit, Unterricht nicht nur in deutscher, sondern auch in englischer Sprache zu bekommen.

21 Grundschulen: Das ist nicht viel. Und doch ist der Modellversuch bezeichnend für einen Trend. Zwei Erfahrungen haben sich durchgesetzt: Fremdsprachenkenntnisse sind für beruflichen Erfolg unverzichtbar. Und: Eine neue Sprache lernt man vor allem dann leicht, wenn man sie häufig und intuitiv anwendet. Immer mehr Schüler werden darum nicht nur an Grundschulen, sondern auch an Realschulen, Fachoberschulen und Gymnasien bilingual unterrichtet. Anders als im herkömmlichen Englischunterricht pauken sie hier nicht Grammatik und Vokabeln. Die Fremdsprache wird einfach angewandt. In Geografie, in Geschichte, in Mathematik, Kunst oder beim Sport.

Laut Kultusministerium fördert bilingualer Unterricht die Kommunikation in der Fremdsprache, „eine sehr wichtige Schlüsselqualifikation in unserer globalisierten Welt“, so eine Sprecherin. Fachunterricht in einer Fremdsprache könne zur Internationalisierung der Schulen beitragen und die Bedeutung des Englischen als Verkehrssprache in der Wirtschaft vor Augen führen. Außerdem bereite zweisprachiger Unterricht in Sachfächern auf die Anforderungen eines Hochschulstudiums vor. Denn auch in vielen Studiengängen wird auf Englisch gelehrt.

Die Modellversuche sind auf vier Jahre befristet, die Erfahrungen schon jetzt gut. Professor Heiner Böttger von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt hat die Leistungen der Schüler nach den ersten beiden Schuljahren ausgewertet. Das Ergebnis ist bestechend: Am Ende der zweiten Klasse können die Kinder so gut Englisch wie sonst nach der vierten. Und das, obwohl sie zwei Jahre jünger sind. Böttger hat auch geprüft, ob die Schüler durch diesen Lernerfolg in anderen Fächern, etwa in Mathematik, zurückliegen. Dies ist, so Böttger, nicht der Fall. Eine Untersuchung der Leistungen im Fach Deutsch steht zwar noch an, der Forscher geht aber davon aus: Auch hier werden sich keine Defizite zeigen.

Ohnehin legen Studien laut Böttger seit Jahren nahe, dass Kinder, die bilingual unterrichtet werden, eine „kognitive Überlegenheit“ entwickeln. Denn es erfordert mehr Konzentration, dem Stoff in einer Fremdsprache zu folgen. Das Gehirn der Kinder ist besonders herausgefordert, die gesteigerte Anstrengung führt zu einer größeren „Verarbeitungstiefe“. Und: Vom Lernen in zwei Sprachen profitieren nicht nur Schüler, die ohnehin stärker von zu Hause gefördert werden, sondern auch Kinder aus bildungsferneren Familien.

Probleme sieht der Wissenschaftler voraus, wenn die Schüler des Modellversuchs nach der vierten Klasse die Schulform wechseln. Der Erfolg des bilingualen Unterrichts könnte leicht verpuffen, wenn ein guter Anschluss verpasst wird. Derzeit versucht er darum, Partnerschulen für die Grundschulen zu gewinnen. Auch Mittelschulen fragt er an. Die sind nämlich, so Böttger, durchaus an bilingualem Unterricht interessiert.

Auch an einigen Gymnasien und Realschulen gibt es bilingualen Unterricht

An manchen Gymnasien und vielen Realschulen wiederum wird längst bilingual unterrichtet. Ernst Endt, pensionierter Realschullehrer aus Eichstätt, Lehrbeauftragter und Vorkämpfer für bilingualen Unterricht, erinnert sich: Vor 30 Jahren unterrichtete er ein paar besonders motivierte Schüler auf Englisch in Geografie, am Nachmittag. Inzwischen wird der fremdsprachliche Sachunterricht ab der siebten Klasse bereits an über hundert von insgesamt 350 Realschulen angeboten. „Realschüler haben ein solides Fundament an Allgemeinwissen, die Schulen setzen aber auch auf eine klare praxisorientierte Ausbildung“, sagt Endt. „Da kommt der bilinguale Sachunterricht ins Spiel. Denn egal welchen Beruf die Schüler später ergreifen – sie werden immer Fremdsprachen benötigen.“ Klar: Bilingualer Unterricht ist ohne einen gewissen Einsatz nicht zu haben. „Schüler wie Lehrkräfte müssen sich ins Zeug legen“, sagt Endt. Darum wäre es problematisch, bilingualen Unterricht zu verordnen. Nicht alle Schüler bringen das nötige fachliche und zeitliche Engagement mit. Das gilt auch für die Unterrichtenden. Erfolgreich ist das Modell nur, wenn die Lehrer mit Leidenschaft bei der Sache sind.

Aber auch Geld spielt eine entscheidende Rolle. Der bildungspolitische Sprecher der Landtags-SPD, Martin Güll, etwa plädiert für bilingualen Unterricht an allen Schulformen. Doch damit dies nicht nur im Rahmen kleiner Modellversuche, sondern bayernweit angeboten werden kann, ist viel Geld nötig. „Meistens haben wir kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem“, so Güll.

Barbara Kortus unterrichtet nun schon zum zweiten Mal eine erste Klasse phasenweise auf Englisch. Es macht ihr noch mehr Freude als zu Anfang. Nur eines fehlt ihr: Zeit. In den anderen Klassen, glaubt sie, kommen die Schüler ein bisschen schneller voran. Eine Wochenstunde mehr für daffodils und snowdrops: Das wäre entspannter.
(Monika Goetsch)

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