Wilhelm Ludwig begann 1947 eine Ausbildung an der Münchner Journalistenschule und lernte in einem Café Rosemarie Riedhofer kennen, deren Familie eine Druckerei besaß. So kam er nach Pfaffenhofen und übernahm dort die Redaktion des Ilmgau-Boten, des heutigen Pfaffenhofener Kuriers. Mit dem kleinen Ludwig Verlag spezialisierte er sich zudem auf Bücher mit bayerischem Bezug. 2012 starb Ludwig. Den größten Erfolg seines Buchverlags erlebte er nicht mehr und vermutlich wäre der Verlag vergessen, wenn er nicht heute zur weltgrößten Verlagsgruppe Penguin Random House gehörte, deren deutschsprachige Verlage in München angesiedelt sind.
Deren Pressestelle hat im Februar 2020 einen Eintrag bei Wikipedia angelegt, dem diese Verlagsgeschichte entnommen ist. Wikipedianer arbeiten eigentlich unentgeltlich und lehnen PR-Einträge ab, aber ohne sie zu verbieten, solange sie in der Versionsgeschichte mit einem verifizierten Konto des Unternehmens offengelegt sind. Ungewöhnlich ist dennoch, dass der Eintrag des Ludwig Verlags bis heute nur einen einzigen Autor hat: eben die Pressestelle. Das verdeutlicht das Problem der teilweise regen Mitarbeit von PR-Leuten bei Wikipedia, die einen Graubereich der Regeln für sich nutzen.
Ist Wikipedia Enzyklopädie oder PR? Vor 20 Jahren, am 16. März 2001, gründete der Amerikaner Jimmy Wales die deutschsprachige Wikipedia, zwei Monate davor war die englischsprachige online gegangen. Jeder kann mitschreiben. Darauf gründet der Erfolg der einzigen nichtkommerziellen Plattform unter den meist-abgerufenen Websites. Für Einträge gilt: keine originäre Recherche, neutraler Standpunkt und Tatsachen belegen.
Einerseits ist die PR des Ludwig Verlags harmlos und die Zahl der Aufrufe gering. Andererseits ist PR bei Wikipedia ein Geschäft: Im Januar berichtete der Spiegel, der DFB habe einer PR-Agentur für Änderungen am Eintrag des DFB-Geschäftsführers 15 000 Euro bezahlt; außerdem 1200 Euro monatlich für die „Pflege“ des Eintrags. Soll heißen: für das Entfernen etwaiger Kritik. Der PR-Mann wurde gesperrt. Betreuung von Wikipedia gehöre heute zu professioneller PR-Arbeit, sagt Leonhard Dobusch, Professor an der Universität in Innsbruck. Doch wenn PR überhand nehme, sei die Glaubwürdigkeit in Gefahr. Und Nutzern bleibt sie oft verborgen: Wer Wikipedia via Smartphone-App aufruft, kann den Anteil der Autorenschaft nicht erkennen, sofern man nicht auf die Browser-Version umschaltet.
Pavel Richter war Geschäftsführer des Vereins Wikimedia, der Spenden für Wikipedia sammelt und die Technik betreut. Er hat ein Buch geschrieben über die Wikipedia Story und belegt die Bedeutung für Unternehmen mit jährlichen Abrufzahlen der Dax-Konzerne: Der Eintrag von Volkswagen verzeichnet 716 065 Aufrufe, gefolgt von Lufthansa (637 059) und BMW (601 130). Adidas (426 796) und Siemens (371981) liegen auf Platz sechs und sieben. 16 der 30 Dax-Unternehmen verfügten über mindestens ein verifiziertes Konto.
Insgesamt existierten mehr als 12 000 dieser verifizierten Konten, so Richter. Der PR-Autorenanteil beträgt bei Siemens 1,5 Prozent, bei BMW und Audi ist keine Mitarbeit erkennbar; bei der Süddeutschen Zeitung liegt er bei 3,4, bei der Bayerischen Staatszeitung bei 23 Prozent. Die Mediengruppe Oberfranken schreibt mit mehreren verifizierten Konten und kommt auf 52 Prozent. Bei Einträgen, an denen wenige Autoren mitwirken, führen schon wenige Änderungen zu einem hohen Anteil.
Eigentlich ist es verpönt, über sich selbst zu schreiben
Richter schreibt: Wikipedia sei zwar offen für alle, doch sei es verpönt, in den Artikeln über die eigene Person selbst mitzuwirken. Die Korrektur faktischer Fehler oder die Aktualisierung von Unternehmenskennzahlen könnten durchaus von Pressestellen vorgenommen werden, sofern das transparent sei. Richter warnt aber zugleich: „Weitergehende Eingriffe sollten aber im Interesse der Enzyklopädie und auch des Unternehmens unterbleiben.“ PR-Leute halten sich nicht daran und begründen das mit fehlendem Interesse der Wikipedianer, die Einträge zu aktualisieren.
Wikipedianer Dirk Franke schreibt, es seien einfach zu viele Artikel angelegt, um die man sich nicht kümmern könne. Während viele Wikipedianer bezahltes Schreiben ablehnen, machen einige ein Geschäft daraus, indem sie sich Unternehmen anbieten. Als Franz Burda im Eintrag des Münchner Medienunternehmens 2018 als „bekennender Antisemit“ bezeichnet wurde, beauftragte die Pressestelle einen Wikipedianer, diese Stelle zu löschen. Der Hamburger PR-Berater Peter Wuttke ist Spezialist für solch heikle Aufträge und arbeitete eine ganze Woche daran. Er legte den Auftrag offen, ebenso wie Auträge von Edeka, O2, Südkurier und mehr als 60 weiteren Firmen. Er hätte die Unterstellung nicht gelöscht, wenn es Belege dafür geben würde, betont er.
Dobusch fordert, Wikipedia müsse das Tabu der Freiwilligkeit aufgeben und sich professionalisieren, um dem Erfolg und seiner damit gestiegenen Verantwortung gerecht zu werden. Finanziell sei das kein Problem. Richter lehnt das ab, weil die Mitarbeit der Freiwilligen leiden könnte.
Der größte Erfolg des Ludwig Verlags ist übrigens der 2015 veröffentlichte Bestseller Das geheime Leben der Bäume von Peter Wohlleben. An dessen Eintrag haben 75 Personen geschrieben; einer bemängelte den Stil einer Pressemitteilung. Tatsächlich kommen 63 Prozent von der Pressestelle von Penguin Random House, weil sie den Eintrag 2018 umfangreich überarbeitete: Änderungen nehme man bei Inaktualität vor, bei Fehlern und wenn die Wikipedia-Community einen Eintrag nicht pflege, betont Rebecca Klöber, die Leiterin der Pressestelle von Penguin Random House. Offenbar aber nicht nur dann: Die Pressestelle löschte einen Absatz über die Kritik eines Gegenbuchs und schrieb stattdessen, Wohlleben sei von eben jenem Buch unbeeindruckt. Stunden später machte jemand die Löschungen teilweise rückgängig. (Thomas Schuler)
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