Politik

16.06.2023

Es lebe die Bratwurst!

Das Würzburger Hafenfest sollte fleischfrei werden – daraus ist nichts geworden, der Ärger war zu groß

Schlossfestspiele ohne Tomaten: Aufschrei unter Musikfans.“ „Empörung über erzieherische Maßnahmen: Bluval Festival kuchenfrei.“ Solche Überschriften sind undenkbar – zum einen, weil jedem sofort einfällt, dass man statt Tomate-Mozzarella auch Antipasti aus gefüllten Champignons, Paprika oder eingelegten Zwiebelchen und statt Marmorkuchen ein Bananensplit essen könnte; zum anderen, weil wohl kein Veranstalter jemals die Notwendigkeit empfinden würde, den Verzicht auf Tomaten oder Kuchen bekannt zu geben.

Ganz anders sah es beim bevorstehenden Hafensommer in Würzburg aus. Dort verkündete die zuständige Stelle des Kultur- und Tourismusreferats kürzlich, dass man bei dem Kulturfestival dieses Jahr auf Fleisch verzichten wolle, was zu einem Aufruhr führte, der sogar den Stadtrat aktivierte. Dort sprach man – konkret die Fraktionen von CSU, FDP und Freier Wählergemeinschaft – von einer „edukativen Sortimentsbeschränkung“, der man sich nicht hingeben wolle.

Unvorstellbar, dass sich jemand erzieherisch gemaßregelt fühlte, wenn es keine Tomaten gäbe. Beschwerden dieser Art kennt man eigentlich nur von zweierlei Arten Lebens- beziehungsweise Genussmittel: Fleisch und Alkohol. Immerhin stand Letzterer nicht auf der Kippe beim Hafensommer. Das Fleisch – mithin auch Fisch, dessen Verzicht dem Bayern im Allgemeinen und auch dem Franken im Speziellen aber wohl nicht derart missfallen würde – sollte aus Klimaschutzgründen weichen. Würzburg soll bis 2045 klimaneutral sein und jeder Fachbereich ist aufgerufen, dazu einen Beitrag zu leisten.

Aufatmen: Der Veggiezwang ist passé

Im Kultur- und Tourismusreferat und dem untergeordneten Fachbereich für Kultur ersann man deshalb die Idee, das Festival im Juli vegetarisch laufen zu lassen. Schließlich dürfte mittlerweile bekannt sein, dass die Produktion von verzehrbarem totem Tier gigantische Mengen Kohlendioxid verbraucht. Man hätte also die Bratwurstsemmel der sauberen Luft geopfert.

Das war jedoch nicht erwünscht. Kreativ wurde man vor allem in konservativen Kreisen. Im Antrag an den Stadtrat hoffte man natürlich auf eine Mehrheit für den Verkauf von Fleisch. Für den unglücklichen Fall, dass der Initiative kein Erfolg beschieden sei, hatte man jedoch auch eine Lösung parat: Es folgte ein zweiter Antrag für die Genehmigung des Geschäftsbetriebs für mobile Würstl-Gastronomie direkt vor dem Festivalgelände. So sollten sich fleischeslüsterne Besucher*innen doch noch auf den letzten Metern mit Fleisch und Wurst und ganz eventuell auch Fisch versorgen können.

Zum Glück muss sich nun doch niemand einen Bauchladen voller Wurstsemmeln umschnallen. Die Behörde lenkte ein und die Ausschreibung für die Gastronomie erfolgt ohne Einschränkungen auf das Grundmaterial des Essens – allerdings mit Fokus auf regionale und biologische Produkte.

Das Fraktionskooperativ der Fleischfans sah schon weitere Institutionen in Gefahr: „In der Folge sind auch entsprechende Vorgaben bei Kiliani oder in der städtischen Kantine zu erwarten. Dies wird abgelehnt“, hieß es in der Vorlage.

Der Hype um vegetarisches Essen ist mittlerweile verflogen. Die Causa wurde schon Mitte Mai mehr oder minder partnerschaftlich beigelegt. Im zuständigen Fachbereich spricht man auch nicht mehr gerne über die Angelegenheit, wie ein Insider verrät. Die Vorfreude gilt nun wieder ganz der Musik und der sonstigen Kultur.

Was nun genau passiert wäre, wenn man ein Konzert ohne Steak hätte anhören müssen? Überlegenswert bleibt nach wie vor, wie man auf die Abwesenheit von Tomaten, Kuchen, Kartoffeln oder Gurkensalat reagiert hätte. Sofern man überhaupt davon weiß! In vielen bayerischen Biergärten gibt es beispielsweise keine Nudeln. Oder keinen Kaffee. Oder keine Cola. Allesamt Lebensmittel, die für den einen oder die andere zu den lebenserhaltenden Maßnahmen zählen. Ist das auch Bevormundung? Eine edukative Beschränkung? Rein lebensmitteltechnisch eher nicht. Kohlenhydrate kann man sich auch über Brezen, Zucker über Apfelsaft, Koffein über Spezi holen. Genauso, wie man sich Eiweiß über Eier, Soja oder Linsen holen könnte, und das Bratfett klebt sicherlich auch an der Veggie-Wurst.

Vielleicht liegt es auch gar nicht am vegetarischen Essen als solchem. Gurkensalat ist meist sogar vegan, eher selten wird darum gebeten, ihn mit einer Prise Leberwurst doch bitte essbar zu machen. Vielleicht liegt es an der Symbolkraft des Fleisches, das nicht nur Träger von Eiweiß, Fett oder Vitamin B12, sondern auch Sinnbild einer Gewohnheit, vielleicht sogar einer ganzen Gesellschaftsstruktur ist, die in den letzten Jahren erstmals echten Widerspruch erfahren hat und die noch nicht bereit ist, sich diesem zu stellen. Oder es einfach satt hat, dauernd bevormundet zu werden. (Bianca Haslbeck)
 

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