Beim Achtelfinalspiel der Europameisterschaft zwischen der Türkei und Österreich letzte Woche schauten Millionen Fußballfans in die Röhre – oder eben nicht. Denn egal wohin sie ab 21 Uhr im Free-TV zappten: Es lief kein Fußball. Der Telekom-Sender Magenta-TV hatte sich die Übertragungsrechte für ein Achtelfinalspiel exklusiv gesichert. Warum ausgerechnet für dieses? „Zu einzelnen Vertragsabschlüssen können aufgrund der vereinbarten Vertraulichkeit keine Angaben gemacht werden“, schreibt das ZDF der Staatszeitung.
In sozialen Medien sorgte der kostenpflichtige Livestream für Empörung. In einem Land mit drei Millionen Menschen türkischer Abstammung just dieses Spiel nicht im Free-TV zu zeigen, sei „beschämend“, twitterte Grünen-Politiker Özcan Mutlu. Kurz nach Anpfiff übertrug Magenta TV das Spiel dann doch kostenlos auf Youtube. Aber nicht wegen der Wut im Netz, sondern weil der Ansturm von über 100 000 Usern auf die Abos in der kurzen Zeit nicht mehr zu bewältigen war. Beim nächsten Mal dürfte die Telekom besser vorbereitet sein.
Das Beispiel zeigt wieder einmal, wie lukrativ Übertragungsrechte geworden sind. Verkauft werden sie vom europäischen Fußballverband UEFA, sie machen bei dieser EM den Löwenanteil der Einnahmen aus. Fachleute schätzen den Gewinn auf 1,7 Milliarden Euro. Die UEFA selbst schreibt nur, der Betrag dürfte höher sein als bei der EM 2020. Damals waren es 1,14 Milliarden Euro. Grundlage ist ein Vertrag mit der Telekom. Sie hatte sich 2019 die kompletten Medienrechte für die EM in Deutschland gesichert. ARD und ZDF haben nur Sublizenzen für 34 der 51 Spiele erhalten, RTL zwölf Spiele.
„Welche Sportereignisse im Sinne der gesellschaftlichen Teilhabe frei zugänglich sein müssen, ist eine politische Fragestellung“, heißt es aus Mainz. Tatsächlich hätte der Gesetzgeber auf Bundesebene die Möglichkeit, bei mehr EM- oder WM-Spielen eine Übertragung im Free-TV vorzuschreiben. Aktuell sieht der Medienstaatsvertrag der Länder vor, dass Spiele mit deutscher Beteiligung sowie das Eröffnungsspiel, die Halbfinalspiele und das Endspiel frei übertragen werden müssen. Wer im Bundestag nachfragt, bekommt die Antwort: Das reicht.
Der sportpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Philipp Hartewig, hält die Aufregung um das Achtelfinale sogar für „etwas überzogen“, weil schon lange bekannt war, dass es für dieses Spiel ein Abo braucht. Die SPD hat zwar mehr Verständnis für den Frust der Fans. Wenn nur fünf von 51 Spielen kostenpflichtig seien, sei dies aber „vertretbar“, versichert deren Abgeordnete Sabine Poschmann. Ihrer Meinung nach hat der Männerfußball bei Länderspielen kein Problem mit mangelnder Präsenz im Free-TV – im Gegensatz zum Frauenfußball und anderen Sportarten.
Sündteure "Fußballisierung"
So sieht das auch der Medienwissenschaftler Michael Schaffrath von der TU München. „Unsere Sportwelt besteht nicht nur aus Fußball“, sagt er. Es gebe in Deutschland über 240 Sportarten. ARD und ZDF würden über diese zwar im Rahmen des Grundversorgungsauftrags mehr berichten als andere Sender. „Aber die Fußballisierung der Sportberichterstattung muss Grenzen haben.“ Vor allem wegen der immensen Kosten der Bundesliga-Übertragungsrechte.
Die CSU im Bayerischen Landtag mahnt zur Mäßigung. „Das Budget der öffentlich-rechtlichen Anstalten für weitere Fußballlizenzen sollte eher verringert werden“, sagt deren medienpolitischer Sprecher Alex Dorow. An den im Medienstaatsvertrag geregelten Spielen von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung solle aber nicht gerüttelt werden. So sieht das auch Maximilian Deisenhofer, der für die Grünen im Landtag sitzt: „ARD und ZDF sollten nicht noch mehr Geld in Sportrechte investieren.“
Zu jeweils anderen Schlüssen kommen AfD und Freie Wähler. Der Abgeordnete Benjamin Nolte (AfD) fordert, die „Verschwendung der Zwangsgebühren“ beim Fußball für die habgierige UEFA zu stoppen – selbst wenn dadurch weniger Spiele im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu sehen sind. Rainer Ludwig (Freie Wähler) mahnt zwar zum verantwortungsvollen Umgang mit Beitragsmitteln. „Das Abschließen mehrerer Abos, um ein Großereignis wie die Fußball-EM vollständig verfolgen zu können, ist jedoch unzumutbar.“
Kritiker wenden bei solchen Argumenten oft ein, Fußballfans könnten sich die Spiele ja in den Fanzonen oder in der Kneipe anschauen. Allerdings ist Public Viewing mit erheblichen Kosten verbunden. Neben Technik und Sicherheitspersonal fallen Gema-Gebühren an. Und natürlich verlangt auch die UEFA bei größeren Veranstaltungen eine Lizenzgebühr. Verstöße kosten bis zu 50 000 Euro. Immer mehr Wirtshäuser verzichten daher darauf – selbst bei der Heim-EM. (David Lohmann)
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