Politik

Schüler haben an 75 Tagen im Jahr Ferien – sie brauchen die Ruhephasen, sagen Experten. (Foto: dpa/Patrick Pleul)

03.05.2019

Ferien wie in Bullerbü

Haben Kinder zu viele schulfreie Tage?

Familien mit schulpflichtigen Kindern sind dieses Hin und Her gewöhnt. Auf der einen Seite all die Schulaufgaben, Klausuren und Prüfungen, die in die knapp bemessene Schulzeit gepresst werden. Auf der anderen Seite aber die viele freie Zeit der Kinder, deren Planung nicht selten ebenfalls in eine kleine Tortur ausartet. 75 Tage schulfreie Werktage haben die Kinder, durchschnittlich, nur 29 Tage Urlaub aber der berufstätige Erwachsene. Man braucht keine Eins in Mathe, um zu sehen, dass das nicht gut zusammenpasst.

Und dennoch: Ganz selbstverständlich wird an dieser Schulferienregelung festgehalten, die nur in Astrid Lindgrens Bullerbü richtig gut funktioniert. Denn in den Bullerbü-Ferien sind immer ein paar entspannte Erwachsene zu Hause, die Mittagessen kochen und bei Bedarf Pflaster und Trost parat haben. Kinder haben Geschwister und Nachbarn zum Spielen und viel Platz zum Toben. Abenteuerferien daheim – man kann schließlich nicht immerzu verreisen.

Klar, bestimmt haben auch hierzulande viele Kinder ganz wunderbare, unvergessliche Ferientage. Wahrscheinlich ist aber auch, dass sich viele andere Kinder einsam über Stunden ans Smartphone flüchten, während die gestressten Eltern ins Büro verschwinden. Weil die Familie nicht genug Geld hat, das Kind ins Lerncamp oder in die Sprachferien zu schicken. Oder weil rüstige Großeltern fehlen, die ein paar Tage auf den Nachwuchs aufpassen können. Immerhin: Gemeinden und Träger der freien Jugendhilfe bieten mitunter Ferienbetreuung an. Und mit etwas Glück geht das Kind sogar ganz gern mal in den Hort.

Aber all das bleibt Stückwerk. Das ist unbefriedigend. Dazu kommt: Auch die Lernleistung leidet nachweislich unter den Ferien, wie Klaus Zierer, Professor für Schulpädagogik in Augsburg, bestätigt. Kein Wunder also, dass immer mal wieder jemand auf die Idee kommt, die Schulferien zu verkürzen. Aktuell stehen einmal wieder die Pfingstferien Im Fokus. Die gibt es so nur in Bayern und Baden-Württemberg.

Zuletzt entstand der Eindruck, ausgerechnet Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV) wolle die Pfingstferien abschaffen. Ihre Kritik: Heuer folgen Pfingst- und Sommerferien so dicht aufeinander, dass es in den kommenden Tagen für Schüler und Lehrer besonders eng wird. Eine Menge Schulaufgaben und Klausuren müssen vor Notenschluss noch geschrieben und korrigiert werden. Der liegt aus organisatorischen Gründen meist vor den Pfingsferien. Stehen die Zeugnisse dann aber einigermaßen verbindlich fest, ist besonderes Engagement von Schüler- und Lehrerseite gefragt. Denn wer auf Noten setzt, muss sich nicht wundern, wenn nach Notenschluss der Antrieb in den Keller sinkt.

Auch Langeweilein den Ferien hat einen gewissen Bildungswert

Fleischmann stieß mit ihrem Vorstoß auf jede Menge Unverständnis. Gerade die Pfingstferien sind, wie Henrike Paede, stellvertretende Vorsitzende des Bayerischen Elternverbandes erklärt, bei den Eltern sehr beliebt zum Verreisen. Verständlich, schließlich ist man an Pfingsten in der Mittelmeerregion weder großer Hitze, noch drängenden Menschenmassen ausgesetzt, die Preise sind moderater und: Kommt man zurück, stehen die großen Ferien noch bevor.

Dabei zielte Fleischmann, wie sie erklärt, ohnehin nicht auf eine neue Taktung der Ferien ab. Sondern vielmehr auf eine Veränderung des Leistungsverständnisses an Schulen. Auch Sebastian Jung, Gewerkschaftssekretär der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Bayern, erklärt: Eine Reform der Schulferienregelung löse die Probleme des bayerischen Schulsystems nicht. Anstatt über eine Veränderung der Ferienzeiten zu diskutieren, fordert Jung ein System Schule, das sich nicht „derart zentral auf Noten“ konzentriere.

An den Ferien selbst wird sich also so schnell nichts ändern. Übrigens nicht nur hierzulande: Im europäischen Ausland folgt die Ferienregelung einem ähnlichen Muster wie in Deutschland. Und das ist, Anachronismus hin oder her, auch ganz gut so. Denn der Traum von Bullerbü ist zwar vor allem Fantasie. Er stellt die Kinder aber immerhin dahin, wo sie in einer Gesellschaft hingehören: ins Zentrum.

Nicht um Pauken geht es nämlich in den Ferien, sondern um ganzheitliche Bildung. „Ferien stellen wichtige Zäsuren dar, die einen ausgewogenen Ablauf von Arbeits- und Ruhephasen garantieren“, so ein Sprecher des bayerischen Kultusministeriums.

Auch der Schulpädagoge Zierer warnt davor, Leistungssteigerung zum Ziel von Ferien zu erklären. Sonst müsse man auch den freien Samstag wieder abschaffen. Denn nachweislich vergessen Kinder und Jugendliche auch übers Wochenende einen Teil des Schulstoffes. In den Ferien aber geht es, so der Pädagoge, um etwas völlig anderes: „Um Zeit für Freunde, für Familie, für Hobbys.“ Auch Langeweile hat aus dieser Perspektive einen Bildungswert. Der Schüler, der nichts mit sich anzufangen weiß, findet vielleicht über kurz oder lang selbst eine Antwort auf die Frage, was er mit sich und seiner Zeit machen kann.

Entscheidend ist darum nicht die Dauer der Ferien. Sondern die Frage, wie Kinder in den Ferien dabei unterstützt werden können, ihre Zeit gut zu nutzen. Möglich, dass die Schule auch dazu einen Beitrag leisten kann. Zierers launige Empfehlung für die langweiligen Tage, die nach den stressigen Schulwochen der nächsten Zeit mit Sicherheit kommen werden: Schafkopfen! Die Idee kommt nicht von ungefähr. Bereits im vergangenen Jahr hat der Pädagoge dafür geworben, Schafkopfturniere an Schulen einzuführen.

Anders gesagt: Nicht für die Schule, für die Ferien lernen wir.
(Monika Goetsch)

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