Politik

Vor allem junge Menschen informieren sich im Bundestagswahlkampf über Social Media. Die Nutzung von sozialen Netzwerken ist aber nur ein Faktor unter vielen. (Foto: dpa/Helena Dolderer)

07.02.2025

„Tiktok-Schock“: So wichtig ist Social Media im Wahlkampf tatsächlich

Und darauf setzen die Parteien bei Instagram, X, Youtube und Co.

Wahlkampf im Winter, was für eine Herausforderung. Wer hat schon Lust, frierend an Infoständen herumzustehen. Aus der Not eine Tugend gemacht hat die FDP in Bayern. Zu den originellsten Kampagnenaktionen zählen Wahlkampfstände auf Bayerns Skipisten, berichtet deren Sprecher Fabio Gruber.

Nicht nur wegen der niedrigen Temperaturen setzen daneben fast alle im Bundestag vertretenen Parteien in Bayern auf den Haustürwahlkampf – viele haben dafür eine eigene App entwickelt. So können gezielt Gegenden mit potenziellen Unterstützern angezeigt, bereits besuchte Haushalte erfasst werden und Wahlkampfhelferinnen und -helfer Punkte sammeln. Die Grünen setzen zusätzlich auf die von Vizekanzler Robert Habeck initiierten Küchentischgespräche bei interessierten Menschen in deren warmer Stube.

Wegen der winterlichen Temperaturen gewinnt der Social-Media-Wahlkampf verstärkt an Bedeutung. Zwar betonen alle Parteien, dass traditionelle Werbung wie Flyer, Plakate, Zeitungsanzeigen, TV- und Radio-Spots sowie die persönliche Ansprache im Wahlkampf nach wie vor eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. „In der heutigen Zeit sind aber die sozialen Medien wichtige Plattformen für den Meinungsaustausch“, heißt es von der CSU.

Die Christsozialen sind auf Instagram, Facebook, X, Youtube, Tiktok, Linked-In und Whatsapp präsent. Die Grünen nutzen zusätzlich Bluesky und Threads. Ein Sprecher versichert: „Wenn KI-Anwendungen für Veröffentlichungen eingesetzt werden, machen wir das transparent.“ Die SPD in Bayern setzt auf Facebook und Instagram, die Linke auf Instagram, Tiktok und Youtube, die FDP insbesondere auf Instagram, die AfD ist auf Tiktok am stärksten.

Wie viel die CSU für Social Media ausgibt, verrät sie nicht. Andere Parteien sind offener: Bei der FDP wird bis zu ein Drittel des Gesamt-Wahlkampfbudgets für Onlinewerbung bereitgestellt, bei den Grünen werden 65 Prozent des Medienbudgets für Social Media genutzt. Bei SPD und Linken sind es 10 Prozent des Gesamtbudgets. Die Grünen versuchen zusätzlich, dass Parteimitglieder oder User Inhalte teilen. „Reichweitenstarke Nutzer können uns dabei helfen, noch mehr Menschen grüne Botschaften sehen zu lassen“, heißt es aus der Münchner Parteizentrale. Die Linke hat sogar ein linkes Influencer-Netzwerk aufgebaut.

Die AfD investiert hingegen laut ihrem Dingolfinger Bundestagsabgeordneten Stephan Protschka kein Geld in Social Media. Tatsächlich hat es die Partei nicht nötig. „Die AfD hat frühzeitig die Potenziale von Tiktok erkannt und nutzt die Plattform insbesondere zur Ansprache junger Wahlberechtigter“, erklärt die Kommunikationswissenschaftlerin Anna Kümpel von der Uni München. Dies liege an einer guten Digitalstrategie, aber auch daran, dass die Algorithmen sozialer Medien besonders „anfällig“ für einfache, emotionale und oft auch radikale Positionen seien.

Seit dem „Tiktok-Schock“ bei der Europawahl haben die anderen Parteien allerdings reagiert. Damals war fast nur die AfD auf Tiktok besonders aktiv und erzielte eine erhebliche Reichweite – insbesondere unter jungen Wählern. 

Expertin: "Youtube wird völlig unterschätzt"

Jasmin Riedl von der Münchner Bundeswehruni, die den Bundestagswahlkampf auf Social Media in Echtzeit analysiert, sagt, dass jetzt bei Unterstützung die Linke sowie bei Reichweite die FDP enorm aufgeholt hätten. Völlig unterschätzt werde nach wie vor Youtube. „Manche Parteien haben noch gar nicht verstanden, dass man darüber Wahlkampf machen kann und enorm viele Menschen erreichen kann.“ Auf dieser Plattform liege die AfD uneinholbar vorn.

Obwohl Elon Musk die AfD auf auf X offen unterstützt, hat seine Plattform bisher nicht an Popularität eingebüßt. „Ein umfassender Rückzug ist trotz der Geschehnisse nicht zu sehen, scheint eher in weiter Ferne zu sein“, sagt Forscherin Riedl. Auch die Grünen sind X treu geblieben. Begründung: „Weil es in den sozialen Medien mehr Stimmen der Vernunft braucht.“ Dies werde aber regelmäßig neu bewertet. Auch bei der SPD nutzen Landesvorsitzende Ronja Endres und Spitzenkandidat Carsten Träger weiter die Plattform.

Das dominierende Thema auf X ist nach Auswertung von Riedl Migration und innere Sicherheit. Besonders die AfD kritisiert dort die Union – seit der Bundestagsdebatte über das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz noch stärker. 2021 waren die Grünen Hauptgegner der AfD. „Jetzt aber schaut die Partei viel stärker darauf, wo ihre potenzielle Wählerschaft hinwandern könnte.“ Beispielsweise wird in einem Tweet behauptet, die CDU würde Körperverletzungen, Sachbeschädigungen und linke Gewalt mitfinanzieren.

Welche Rolle spielen Social Media bei der Bundestagswahl? „Ein Gespräch hinterlässt bei potenziellen Wählerinnen und Wählern mehr Eindruck als ein Post im Internet“, glaubt Grünen-Sprecher Daniel Heißenstein. Kommunikationswissenschaftlerin Kümpel sieht das ebenso: „Ein einzelner erfolgreicher Post kann zwar kurzfristig Aufmerksamkeit erregen und Diskussionen anstoßen, dürfte jedoch nur in Ausnahmefällen zu einer nachhaltigen Veränderung der eigenen Meinung oder gar der Wahlentscheidung führen.“ Die Nutzung von sozialen Medien sei nur ein Faktor unter vielen: Sie prägen die Art des Wahlkampfs, aber nicht den Wahlausgang. „Eine hohe Anzahl von Followern in sozialen Medien lässt sich nicht in Wählerstimmen umrechnen.“

Sorgen bereitet allen Parteien die zunehmende Verrohung im Netz. „Kommentare mit Hass oder Desinformation werden von uns konsequent gelöscht“, sagt ein Sprecher der Bayern-SPD. Die Linke versucht je nach Kapazität, mit solchen Menschen in den Dialog zu gehen – angezeigt wurde bisher noch niemand. Die FDP zieht Konsequenzen, wenn die Grenze des Strafrechts überschritten wird. Die CSU schreibt, man werde „alles tun“, um sich gegen Destabilisierungsversuche zu wehren. Der Bundestagsabgeordnete Protschka blendet Hasskommentare einfach aus: „Ich habe die letzten acht Jahre nur drei Anzeigen gestellt“, sagt er. „Es bringt nichts, außer Schreibarbeit.“ (David Lohmann)
 

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