Politik

Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz: Im September soll es Neuwahlen geben. (Foto: Alexey Vitvitsky/Sputnik/dpa)

20.05.2019

"Genug ist genug"

Das rechtskonservative Bündnis in Österreich ist 18 Monate nach dem Start am Ende. Grund ist ein Skandal-Video. Im September wird neu gewählt. Und auch Markus Söder findet klare Worte

Nach dem Bruch der rechtskonservativen Koalition in Österreich hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die rechtspopulistische FPÖ scharf attackiert. "Sebastian Kurz hat recht: genug ist genug", schrieb Söder am Sonntag auf seiner Facebook-Seite. "Seit Monaten fallen die Rechtspopulisten in Österreich durch massive Verfehlungen auf. Mit solchen Gruppen lässt sich nicht seriös arbeiten", erklärte der CSU-Vorsitzende. "Rechtspopulisten fehlt die charakterliche Eignung."

Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen kündigte am Sonntag nach einem Gespräch mit Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an, dass Anfang September ein neues Parlament gewählt werden soll. Das kündigte am Sonntag nach einem Gespräch mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an. Das Land brauche möglichst bald einen Neuaufbau des Vertrauens in die Politik, sagte Van der Bellen. Es gehe um das Wohl des Landes und das Ansehen Österreichs in der Welt.

Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache war am Samstag zurückgetreten. Auslöser war die Veröffentlichung eines Videos, das zeigt, wie Strache einer vermeintlichen russischen Oligarchin 2017 auf Ibiza öffentliche Aufträge in Aussicht stellte, wenn sie seiner Partei zum Wahlerfolg verhelfe.

Kurz sagte: "Die Neuwahlen waren kein Wunsch, sie waren eine Notwendigkeit." In den Monaten bis zur Wahl müsse ein Maximum an Stabilität hergestellt werden. Dazu werde er Gespräche mit allen Parteien führen, kündigte der Regierungschef an.

Die SPÖ fordert, dass in der Übergangsphase FPÖ-geführte Ministerien wie Verteidigung und Inneres mit unabhängigen Experten besetzt werden. Einen entsprechenden Appell richtete Parteichefin Pamela Rendi-Wagner am Sonntag an Bundespräsident Van der Bellen. Nur so könne "eine lückenlose und unabhängige Aufklärung" der im Video thematisierten möglichen Rechtsverstöße sichergestellt werden. Sie selber werde für die Sozialdemokraten im September als Spitzenkandidatin ins Rennen gehen, erklärte die 48-jährige Ärztin.

Der Kanzler hatte am Samstag gesagt, in den Gesprächen, die er mit der FPÖ geführt habe, habe er nicht den Eindruck gewonnen, dass die Partei zu grundlegenden Veränderungen bereit sei. Die FPÖ schade dem Reformprojekt seiner Regierung. "Sie schadet auch dem Ansehen unseres Landes", erklärte Kurz. "Genug ist genug", sagte er.

Kurz belässt FPÖ-Innenminister Kickl im Amt

Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) belässt Kurz dennoch vorerst im Amt. Bei einem Statement am Montag ging Kurz nicht weiter auf diesen Punkt ein. Stattdessen kritisierte er die FPÖ abermals und sprach von großer Unterstützung seines Kurses in der eigenen Partei. "Es gibt die 100-prozentige Unterstützung aller Mitglieder des Parteivorstandes für diesen inhaltlichen Kurs", sagte Kurz. Die FPÖ habe dagegen "einen falschen Zugang zur Politik".

Welche Auswirkungen der Skandal auf die Europawahl in einer Woche hat, ist offen. Umfragen zufolge konnte die konservative ÖVP, die der Europäischen Volkspartei (EVP) angehört, bisher auf Zugewinne hoffen. Nach Überzeugung von einigen Experten wird die Affäre den Rechtspopulisten bei der Europawahl schaden. "Die Wähler werden sich jetzt zweimal überlegen, ob sie solchen Leuten ihre Stimme geben", sagte etwa der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt dem Berliner "Tagesspiegel". Dies werde auch Konsequenzen für die AfD in Deutschland haben. Auch nach Ansicht des Chefs der Forschungsgruppe Wahlen, Matthias Jung, könnte der Strache-Skandal den Vormarsch der Rechtspopulisten in Europa bremsen. Dadurch würden bürgerliche Wähler in ihrer antipopulistischen Haltung gestärkt und eher zur Wahl gehen, sagte er ebenfalls dem "Tagesspiegel".

Die FPÖ hat Verkehrsminister Norbert Hofer am Sonntagabend in der Sitzung des FPÖ-Bundesparteipräsidiums einstimmig zum neuen Parteichef bestimmt. Bei der nächsten Sitzung des Bundesparteivorstandes, die nach der Europawahl stattfinden wird, solle diese Entscheidung formal bestätigt werden. FPÖ-Fraktionschef Johann Gudenus gab unterdessen seinen Austritt aus der FPÖ bekannt - "mit sofortiger Wirkung", wie er mitteilte. Ebenso werde er sein Nationalratsmandat niederlegen. Gudenus hatte in dem Video gedolmetscht.

Wie die ÖVP auf bundespolitischer Ebene geht die sozialdemokratische SPÖ auf landes- und kommunalpolitischer Ebene auf Distanz zur FPÖ. Die einzige SPÖ-FPÖ-Koalition auf Landesebene soll nach Angaben von Burgenlands Ministerpräsident Hans Peter Doskozil (SPÖ) vorzeitig beendet werden. In Linz, Österreichs zweitgrößter Stadt, werde es vorzeitige Neuwahlen geben, kündigte SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner im Fernsehen an. In der dortigen Proporzregierung stellt die SPÖ den Bürgermeister, aber die FPÖ hat ein maßgebliches Gewicht.

Hat Böhmermann etwas mit dem Video zu tun?

Das Video wurde nach den Worten eines "Spiegel"-Redakteurs nicht gezielt kurz vor der Europawahl veröffentlicht. Die Aufnahmen seien nicht mit Absicht vor der Wahl Ende Mai platziert worden, sagte Wolf Wiedmann-Schmidt dem Sender n-tv. "Wir haben das Video im Laufe des Monats bekommen und ausgewertet. Und als wir uns dann sicher waren, dass es authentisch und echt ist, haben wir gesagt: Dann publizieren wir das Video." Woher das Material kommt, könne er aus Quellenschutzgründen nicht sagen, sagte Wiedmann-Schmidt weiter. Laut "Süddeutscher Zeitung", die das Video ebenfalls bekam, wurde das Material in einem verlassenen Hotel auf USB-Sticks übergeben.

Der Satiriker Jan Böhmermann hatte bereits im April bei der Verleihung des österreichischen TV-Preises Romy in einer Video-Botschaft detaillierte Andeutungen über den Inhalt des Videos gemacht - also noch bevor es der "Spiegel" hatte.

Bei dem wenige Monate vor der Nationalratswahl 2017 entstandenen Video geht es unter anderem um die Idee, die vermeintliche russische Investorin solle die auflagenstärkste Zeitung Österreichs, die "Kronen Zeitung", erwerben, die FPÖ publizistisch fördern und im Gegenzug öffentliche Aufträge erhalten.

Wie "Spiegel" und "Süddeutsche Zeitung" am Sonntag berichteten, belegen Tonaufnahmen, dass der zweite im Video sichtbare FPÖ-Politiker, Johann Gudenus, sich mehrfach mit dem Vertrauten der angeblichen Milliardärs-Nichte getroffen hat. Pikant seien die Mitschnitte eines Treffens von Gudenus im damaligen Wahlkampf Ende August 2017. Dabei sei es erneut um mögliche zweifelhafte Deals zwischen den beiden Seiten gegangen. Auch Gudenus war am Samstag als FPÖ-Fraktionschef zurückgetreten.

Russische Politiker wiesen am Sonntag eine Verbindung zu dem Fall zurück. "Es ist unmöglich, auf Grundlage der vorhandenen Aufzeichnungen eine Spur nach Russland zu dieser offensichtlich hässlichen Geschichte zu ziehen", sagte Senator Oleg Morosow der Nachrichtenagentur Ria Nowosti. "Es könnte sich um eine inszenierte Provokation handeln oder um eine Art Korruptionsgeschichte, hinter der nicht unbedingt ein Staat stehen muss." Russlands gute Beziehungen zu Österreich sollten nicht beeinträchtigt werden, sagte das Mitglied im Föderationsrat, das Oberhaus im russischen Parlament.

Der russische Gas-Oligarch, dessen angebliche Nichte als Lockvogel diente, hat nach eigenen Angaben keine Verwandte diesen Grades. Das berichtete die russische Ausgabe des Wirtschaftsmagazins "Forbes" online. Der Milliardär kündigte an, alles gesetzlich zulässige zu versuchen, um zu klären, wer hinter der nicht autorisierten Verwendung seines Namens gestanden habe.

Das Video löste europaweit Häme aus. Im Internet gab es vielfältige, auch spöttische Kommentare nach dem Rücktritt Straches. Das Satire-Portal "Der Postillon" meldete, Strache habe noch am Samstagabend einen mysteriösen Scheich namens "Foldi Fa-Arshe" getroffen. Dieser habe Strache angeboten, einfach alle Zeitungen aufzukaufen, die die Ibiza-Enthüllungen veröffentlicht hatten.
(dpa)

Akteure in der österreichischen Regierungskrise 
In der österreichischen Politik werden die Karten mit der Regierungskrise neu gemischt. Die wichtigsten Akteure in Kürze:

SEBASTIAN KURZ:
Der 32-jährige Bundeskanzler ist mit einem Experiment nach nur 18 Monaten krachend gescheitert: Ein Bündnis seiner ÖVP mit der FPÖ. Er wurde für die Koalition als jemand kritisiert, der den Rechtspopulisten das Tor zur Macht aufgestoßen hat. Mit der neuen Distanzierung von der FPÖ hofft er auf gute Chancen bei Neuwahlen. Kurz gilt als äußerst kontrolliert, als jemand, der kaum Fehler macht. Nun kämpft er dagegen an, dass die Krise sein Image des Sieger-Typs beschädigt. Er kann für sich verbuchen, dass die Koalition bisher viele Projekte wie Steuersenkungen und Abbau der Staatsschulden umgesetzt oder begonnen hat. Er wollte als Reform-Kanzler in die Geschichte eingehen, nicht als Kopf einer gescheiterten Koalition.

NORBERT HOFER:
Er ist der neue starke Mann der FPÖ. Der nach einem schweren Paragleiter-Unfall gehbehinderte Politiker gilt als das eher sanfte Gesicht der Freiheitlichen. Zugleich ist der 48-Jährige seit vielen Jahren einer der Chefideologen. Im Kabinett Kurz wurde er Verkehrsminister und setzte sich für eine Erhöhung des Tempolimits von 130 auf 140 Stundenkilometer auf zwei Autobahn-Teststrecken in Österreich ein. Bekannt wurde Hofer als FPÖ-Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten. Er unterlag 2016 im zweiten Wahlgang dem Grünen-nahen Alexander Van der Bellen mit 31 000 Stimmen.

HERBERT KICKL:
Der Triathlet ist das Hirn der FPÖ. Als Generalsekretär organisierte er höchst erfolgreiche Wahlkämpfe. Die Kritik an der Zuwanderung packte er in Slogans wie "Daham statt Islam". Als Innenminister im Kabinett Kurz setzte er um, was er seinen Anhängern versprochen hatte: einen rigiden Anti-Migration-Kurs. Die Asylzentren ließ der 50-Jährige demonstrativ in "Ausreisezentren" umbenennen. Er polarisiert. Seine Fans schätzen ihn, seine Kritiker halten ihn für brandgefährlich.

HEINZ-CHRISTIAN STRACHE:
Sein auch von ihm selbst als "peinlich" bezeichnetes Verhalten im Skandal-Video zeigt eine der Seiten des langjährigen FPÖ-Chefs: eine gewisse Unbedarftheit. In der FPÖ war er trotzdem unumstritten. Er hat die 2005 am Boden liegende Partei zu zahlreichen Wahlerfolgen geführt. Dem 49 Jahre alten gelernten Zahntechniker wurde eine zeitweilige Nähe zur Neonazi-Szene zugeschrieben. In den vergangenen Jahren hat er deutlich gegen Antisemitismus Stellung bezogen. Auch die EU-Kritik der FPÖ wurde unter ihm abgemildert - eine Voraussetzung für das ÖVP-FPÖ-Bündnis.

PAMELA RENDI-WAGNER:

Die 48-jährige Medizinerin könnte die Gewinnerin der Krise sein. Sie ist seit November 2018 die erste Frau an der Spitze von Österreichs Sozialdemokraten. Die ehemalige Gesundheitsministerin wirkt nicht immer wie eine Vollblut-Politikerin, ihr fehlt bisher die große Ausstrahlung. In den ersten Monaten ihrer Amtszeit war sie als Oppositionsführerin bemüht, aber letztlich blass. Bisher prallte ihre Kritik über die von der ÖVP-FPÖ-Koalition zu verantwortende "soziale Kälte" an der Regierung ab. Künftig ist die SPÖ aber im Machtpoker wieder voll dabei.

PETER PILZ:
Als äußerst erfahrener Nationalratsabgeordneter und politischer Querkopf zieht der 65-Jährige einen Joker der Opposition: Er will bei der nächsten Nationalratssitzung einen Misstrauensantrag gegen den Kanzler stellen. Er spekuliert, dass die FPÖ mitmacht. Damit wäre Kurz gestürzt. Ein neuer Regierungschef müsste die Geschäfte bis zu den Neuwahlen im September führen. Kurz müsste als einfacher Abgeordneter ohne Kanzler-Bonus den Wahlkampf bestreiten. Bei diesem Gedanken freut sich Pilz fast schon diebisch.
(dpa)

Der Text wurde aktualisiert: FPÖ-Innenminister Herbert Kickl bleibt im Amt

Kommentare (1)

  1. Eigene Nase am 20.05.2019
    Unsere Herrschaften sollten es endlich mal lassen ständig auf die Anderen zu zeigen, die haben alle in den eigenen Reihen genug Dreck am Stecken. Man kann es beinahe täglich lesen, wie deutsche Kommunalpolitiker in Korruptionsskandale verwickelt sind.

    Zum Thema Populismus kann ich nur sagen, dass sind die alle egal ob links, rechts oder die vermeintliche Mitte. Die meisten Rechten aus meiner Jugend, sind auf Jedenfall alle in der CSU untergekommen.

    Die österreichische Justiz wird wird wissen, wie sie mit dieser Geschichte umzugehen hat, da braucht es auch keinerlei Belehrungen aus Deutschland.
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