Wenn Dominik Alexander das Gebäude betritt, schart sich sofort eine Gruppe Kinder um ihn. Mädchen, Jungs – alle ringen um seine Aufmerksamkeit. Dabei ist der 28-Jährige kein Star. Nur Lehrer. Allerdings der einzige an seiner Grundschule im Landkreis Landshut. Und schon allein das macht ihn zu einer Sensation. „Besonders Erstklässler suchen meine Nähe oder streiten sich um den Sitzplatz neben mir“, erzählt Alexander. Eine Erfahrung, die viele Lehrer machen. Denn Männer genießen in Bayerns Klassenzimmer Exotenstatus.
Mehr als 70 Prozent der rund 121 000 Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen in Bayern sind weiblich. An den Grundschulen beträgt der Frauenanteil sogar fast 90 Prozent. Die vielfach geforderte Pädagogik der Vielfalt? Wunschdenken. „Oft sind der Rektor und der Hausmeister die einzigen Männer an der Schule“, sagt Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV).
Da auch in Krippen und Kindergärten vor allem Frauen arbeiten, bekommen es Mädchen und Jungs bis zur Pubertät meist kaum mit Männern zu tun. Und vor allen Buben sind die Verlierer dieses Ungleichgewichts. Ihnen fehlen Identifikationsfiguren und Ansprechpartner in Situationen, in denen sie sich ungern an eine Frau wenden – etwa im Sexualkundeunterricht. „Aber auch dann, wenn sie einfach nur den Wunsch nach einem Gegenüber des gleichen Geschlechts haben“, sagt der Bildungsforscher Christoph Fantini, der in Bremen das Projekt „Männer an die Grundschule“ leitet.
Außerdem verfestige der Mangel von Männern im Unterricht stereotype Rollenbilder nach dem Motto: Arbeit mit jungen Kindern? Ist nichts für Männer. „Wenn ein Junge schon früh sieht, dass Unterrichten in der Primarstufe offenbar Frauensache ist, wird er sich später kaum für den Job entscheiden“, sagt Fleischmann.
Ein Kreislauf, den es zu durchbrechen gilt. „Die Frauen reißen sich die Haxen aus und leisten tolle Arbeit. Aber die Diversität der Geschlechter sollte sich auch im Lehrkörper wiederfinden“, fordert Fleischmann. Und auch das Kultusministerium betont, es liege im pädagogischen Interesse, einen höheren Männeranteil anzustreben. Darum beteilige sich die Staatsregierung beispielweise an „Boys’ Days“ und initiiere Schülerwettbewerbe zur Bewusstmachung von Rollenklischees. Doch um mehr Männer an die Grundschulen zu holen, brauche es weit mehr als Ermutigungen, meinen die Bildungsgewerkschaften. Denn der Job an den Grundschulen habe nicht nur ein Imageproblem, er wird auch noch schlecht bezahlt.
Warum verdienen Lehrer an Grundschulen weniger?
„Verkehrserziehung, Sexualerziehung, Erbrochenes aufwischen, weinende Kinder trösten – junge Menschen bekommen bei diesen Gedanken keine positiven Vibrations, sondern denken gleich mal an die Frühpensionierung“, sagt Fleischmann. Im öffentlichen Bewusstsein käme viel zu kurz, dass dieser Beruf unglaublich befriedigend, schön und relevant sei. „Solange die Primarstufe aber als Kuschel-Schule mit ein bisschen Malen, Singen und Lesen verbunden wird, ist der Job für Männer uninteressant.“
Dabei wird gerade in den ersten Jahren die Grundlage für den Schulerfolg gelegt. „Was hier versäumt wird, ist später kaum mehr aufzufangen“, erklärt Fleischmann. Es brauche mehr Wertschätzung, und die müsse sich auch in der Bezahlung niederschlagen, sagt Fleischmann. Bislang aber liegt in Bayern das Einstiegsgehalt 500 Euro pro Monat unter dem der Kollegen an weiterführenden Schulen. „Das verleitet Männer dazu, sich gegen die Primarstufe zu entscheiden.“
Der BLLV und auch die Gewerkschaft Erziehung und Bildung (GEW) fordern, die Besoldungsgruppe von A12 auf A13 zu heben – Schleswig-Holstein, Brandenburg, Berlin und Sachsen haben dies bereits beschlossen oder umgesetzt. „Es kann nicht sein, dass die Kolleginnen an den Grund- und Mittelschulen eine höhere Zahl an Unterrichtsstunden leisten und dafür weniger bezahlt bekommen. Wir fordern gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit“, so Martina Borgendale, stellvertretende Vorsitzende der GEW Bayern.
Auch die Freien Wähler haben im Wahlkampf die Eingangsbesoldung A 13 für Grund- und Mittelschullehrkräfte gefordert. „Hier stehen die Freien Wähler im Wort, zumal sie ab jetzt auch den Kultusminister stellen“, betont Borgendale. Im Ministerium bleibt man indes vage. In den vergangenen Jahren seien für Lehrkräfte und Schulleitungen an Grund- und Mittelschulen bereits Besoldungserhöhungen und neue Beförderungsmöglichkeiten erreicht worden, heißt es auf BSZ-Nachfrage. „Diesen Weg der kontinuierlichen Verbesserungen“ will Kultusminister Michael Piazolo weiterverfolgen.
Patrick Reif hat sich für die Grundschule entschieden. „Zum Experten für die einzelnen Kinder zu werden, ihre Entwicklung zu begleiten, das ist etwas ganz Besonderes – und kein Kinderkram“, sagt der 28-Jährige, der im mittelfränkischen Ansbach unterrichtet. Zuletzt war er der einzige Lehrer im 50-köpfigen Kollegium an einer Schule in Dachau. „Auf Briefen an die Lehrerschaft stand dann: ‚Liebe Kolleginnen, lieber Patrick’“, erzählt Reif. Genauso gewöhnungsbedürftig sei gewesen, dass man ihm von Tag eins an sehr viel zugetraut habe. „Und das nur, weil ich ein Mann bin – dabei könnte ich auch ein mieser Lehrer sein.“
Logischerweise würden Jungs ihre Interessen bei Männern meist besser abgebildet finden, meint Reif. „Aber Ich rede mit ihnen nicht nur über Raketen, Autos und die Feuerwehr, sondern kämpfe dafür, dass Rollenmodelle aufgelockert werden. Ich lobe Buben, wenn sie über ihre Gefühle reden, und Mädchen, wenn sie Fußballspielen.“ Allerdings hatten in Dachau die Schüler mit Migrationshintergrund deutlich mehr Respekt vor ihm. „Gerade, wenn ihnen im Elternhaus nicht vermittelt wurde, dass Frauen genauso viel wert sind wie Männer, konnte ich besser als meine Kolleginnen gegenlenken“, sagt Reif.
Auch Dominik Alexander merkt, dass Jungs froh sind, mit ihren Problemen zu ihm kommen zu können. „Manche holen sich sogar Liebestipps ab.“ Reif erklärt: „Manche Jungs und Mädchen können sich mit mir identifizieren, andere sind von einer Kollegin begeistert. Schön ist, wenn sie einfach mehrere Rollenvorbilder zur Orientierung haben.“
(Ruth van Doornik)
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