Hans Ehard kannte man kaum, und niemand hatte ihn bei der Wahl des ersten Ministerpräsidenten 1946 auf dem Zettel. Der CSU-Politiker galt als farblos und war ein Kompromisskandidat, wie der Historiker Thomas Schlemmer schreibt. CSU-Abgeordnete hatten im Landtag die Mehrheit errungen und Parteichef Josef Müller wollte Ministerpräsident werden. Doch viele lehnten ihn ab und Müller scheiterte, wie Schlemmer notiert.
So kam der Franke Ehard an die Macht. Im Gegensatz zum Sozialdemokraten Wilhelm Hoegner, der im Nationalsozialismus in die Schweiz emigrierte, war Ehards Karriere aus heutiger Sicht problematisch. Er war Richter im Nationalsozialismus, Mitglied in der Bayerischen Volkspartei, aber auch im NS-Richterbund. Wenig ist bekannt über seine Urteile am Erbgerichtshof München. Im Kabinett von Hoegner, den die Amerikaner im September 1945 eingesetzt hatten, hatte er das Justizministerium aufgebaut. Er blieb trotz seines Richterdienstes in der NS-Zeit einflussreich, wie viele.
Die Porträts von Hoegner und Ehard im Sammelband Die Bayerischen Ministerpräsidenten 1918–2018 der Herausgeber Rainald Becker und Christof Botzenhart zeigen zwei beeindruckende Karrieren der Nachkriegszeit. Hoegner ging Ehard als Ministerpräsident voraus und folgte ihm im Amt nach, bevor wiederum Ehard diesen ablöste. Beide wechselten sich 30 Jahre lang ab, mal als Ministerpräsident, dann als Vize oder Minister, um dann wieder an die Spitze zu gelangen. Heute undenkbar.
Affären? Wo sind die?
Allerdings muss Ehards Wahl 1946 dramatischer verlaufen sein als geschildert. Das ergibt sich aus der Autobiografie von Josef Müller, die Schlemmer offenbar nicht als Quelle verwendete. Denn die Wahl von Müller war ihm selbst zufolge in der Fraktion beschlossen und es gab keinen Gegenkandidaten. Doch der einflussreiche und klerikale CSU-Politiker Alois Hundhammer hatte aus Abneigung gegen den liberalen Müller seiner Fraktion heimlich Ehards Wahl empfohlen. Ehard stand jedoch gar nicht zur Abstimmung. So hatte Müller eigentlich die Mehrheit, wenn man die ungültigen Stimmen für Ehard abzog. Aber die Wahlleitung ignorierte das, wie Müller monierte. Er habe keine Möglichkeit gesehen, sich zu beschweren, weil damals noch kein Gericht existiert habe, an das er sich wenden konnte. Ehard gewann im zweiten Wahlgang. Im Sammelband kommt das nicht vor. Vielleicht war zu wenig Platz dafür. Vielleicht fehlt der Sinn für dramatisches Erzählen, ein Mangel bei einigen Porträts.
Immerhin 23 Beiträge porträtieren neben Kurt Eisner, der sich nach der Revolution 1918 selbst ernannte, und einer Reihe von fast vergessenen Ministerpräsidenten aus Weimarer Republik und NS-Zeit Fritz Schäffer, der nach 1945 nur kurz amtierte, weil ihn die Amerikaner ablehnten, und der es später ins Amt des Bundesfinanzministers schaffte. Außerdem gewürdigt sind: Hanns Seidel, Alfons Goppel, Max Streibl, Franz Josef Strauß, Edmund Stoiber, Günther Beckstein und Horst Seehofer. Es sind Biografien, die helfen, die bayerische Geschichte zu verstehen. Jedoch immer dort, wo sich Autoren scheuen, innerparteiliche Auseinandersetzungen und den Kampf um die Macht in Details zu erzählen, bleibt der Sammelband hinter den Möglichkeiten zurück.
Entstanden ist ein Buch wie eine glatt polierte und hübsch geschmückte Ahnengalerie, um es künftig Gästen der Staatskanzlei als Geschenk mit auf den Weg zu geben – als Erinnerung, wem die Demokratie und ihre Erfolge zu verdanken sind.
Es dominiert die chronologische Aufzählung von Lebensdaten und politischen Erfolgen mit dem Amt als Höhepunkt. Hindernisse und Skandale sind eher kleingeredet, wenn auch nicht völlig ausgeblendet. Max Streibl ist eben nicht nur über die Amigo-Affäre und seine Uneinsichtigkeit gestürzt, sondern (was ungenannt bleibt) auch über seine unbelegten Proteste und Vorwürfe gegen unliebsame Berichterstattung und eine Intervention bei einem befreundeten Verleger, die zum völlig unbegründeten Rauswurf eines Journalisten führte. Ein Gericht beurteilte den Rauswurf später als ungerechtfertigt.
Der Erzählstil ist nüchtern analytisch und eher abstrakt als konkret. Es hat durchaus Stärken, wenn der Politologe und CSU-Kenner Heinrich Oberreuter die Selbstmontage und den schrittweisen Abstieg des überambitionierten Edmund Stoiber schildert. Mitunter behindern Passivkonstruktionen Verständlichkeit und Lesegenuss, ebenso unnötige Klischees wie: Das Amt war ihm „nicht in die Wiege gelegt“; er „machte die Rechnung ohne den Wirt“.
Andererseits ist die Vorsicht vielleicht verständlich, da die Autoren nicht nur aus Universitäten und Forschung kommen, sondern auch aus staatlichen Behörden und der CSU-Parteistiftung. Es ist weitgehend Geschichte von oben, belegt durch Akten. Und wie auch umgehen mit dem Machtkampf zwischen Seehofer und Söder, wenn einer der Herausgeber, Christof Botzenhart, aktuell in der Staatskanzlei von Söder arbeitet? Wie umgehen mit Kritik und Erfolgen der Opposition, wenn dieser Herausgeber als 3. Bürgermeister in Bad Tölz der Partei verbunden ist, die das schöne Bayern erfunden hat und in der Regel die Ministerpräsidenten stellt? Da ist es vermutlich schon mutig, dass der Machtkampf überhaupt erwähnt ist.
Der Regensburger Verlag Pustet betont auf Nachfrage die Unabhängigkeit der Herausgeber. Das Buch sei keine Idee der Staatskanzlei und nicht mit staatlichen Geldern finanziert. Wäre da nicht das Porträt von Franz Josef Strauß, man käme vielleicht gar nicht auf die Idee, an der Unabhängigkeit zu zweifeln. Besonders fällt dies auf bei seiner Verstrickung in die Skandale um die Spiegel-Affäre, die als gut dokumentiert und gesichert gilt. Doch Horst Möller, der ehemalige Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, spricht FJS deutlicher als je zuvor von Skandalen und seiner Schuld frei und beschreibt ihn als Opfer einer Kampagne. Das ist nicht völlig falsch, aber insgesamt zu einseitig.
Früher hätte sich das in dieser Deutlichkeit nicht einmal die Hanns-Seidel-Stiftung getraut, aus Angst, nicht ernst genommen zu werden. Dass Strauß das Parlament belog? Und persönliche Vorteile ziehen wollte dank seines Amtes? Möller redet das klein, obwohl es in Veröffentlichungen und mit Dokumenten belegt ist, etwa in den Akten der Bau-Union, die auf einem Flohmarkt auftauchten. Er hatte Strauß bereits 2015 in einer Biografie verteidigt.
CSU-nahe Autoren
Der ehemalige SZ-Redakteur Michael Stiller kritisierte dies in einer Buchbesprechung schon damals in der Bayerischen Staatszeitung als zu einseitig. Jetzt bietet Möller den ehemaligen SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel als Kronzeugen auf, der ihn in einer Buchbesprechung bestätigt habe. Doch Vogel stimmte ihm keineswegs uneingeschränkt zu, sondern zitierte ihn lediglich und schrieb: „Ich kann mir dazu selber kein abschließendes Urteil bilden.“ Nachzulesen hier.
Ministerpräsident Markus Söder ist das Buch offenbar wichtig. Er schreibt im Geleitwort: „Die Geschichte des Freistaats Bayern ist untrennbar verbunden mit dem Wirken der Ministerpräsidenten.“ Im April soll das Buch in seinem Beisein in der Staatskanzlei vorgestellt werden. Vermutlich ist die Heiligsprechung von FJS ganz in seinem Sinne. (Thomas Schuler)
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