Politik

Fußgänger freuen sich über langsamere Autos, doch deren Fahrer*innen sind genervt: Sie müssen viel öfter als früher anderen den Vorrang lassen. (Foto: dpa/A. Arnold)

30.08.2024

Grüne Welle: Schön wär’s!

Das Auto hat in den Städten seinen Sonderstatus verloren

Möglichst flüssig durch die Stadt zu kommen – das ist der Wunsch aller Autofahrer*innen und dann noch gut für die Umwelt. Denn ständiges Bremsen und Anfahren an Ampeln sorgt nicht nur für Frust, sondern auch für erhöhten Schadstoffausstoß. Doch trotz immer intelligenter werdender Ampelanlagen sieht man mit dem Auto oft rot – auch dort, wo eigentlich eine grüne Welle programmiert ist.

Die Gründe: Wo Bedarfsampeln für Fußgänger*innen und Radverkehr stehen, müssen Autos immer wieder warten, wenn die Schalter gedrückt werden. Für Beeinträchtigungen des Autoverkehrs sorgen auch in zweiter Reihe parkende Lieferwagen. Hinzu kommt, dass oft so viel Verkehr herrscht, dass eine grüne Welle nicht mehr funktionieren kann. Laut Fachleuten liegt die Grenze bei einer Auslastung von rund 80 Prozent des jeweiligen Straßenabschnitts. Sind mehr Autos auf der Strecke, kostet schon das Anfahren wertvolle Sekunden.

In der Regel kann immer nur in einer Fahrtrichtung eine grüne Welle geschaltet werden: dort, wo der meiste Verkehr hinfährt. Wer zu der Zeit etwa in der Gegenrichtung unterwegs ist, muss dann häufiger stehen. Der Eindruck vieler Menschen ist aber, dass sie jedes Mal vor einer roten Ampel stehen, wenn sie sich an die Regeln halten. Ein subjektiver Eindruck? Nicht nur Stadtverwaltungen und Wissenschaft verweisen auf die vielen Einflüsse, die eine grüne Welle beeinträchtigen können. Auch beim ADAC erklärt man sich die häufigen Stopps mit der Komplexität der Verkehrssysteme.

Ausnahmen gibt es immer

Ausnahmen gibt es immer: In der Münchner Leopoldstraße etwa, in der zum Teil Tempo 30 gilt, kommt man stadteinwärts in verkehrsarmen Zeiten bei Tempo 50 tatsächlich locker über die Ampeln, während man bei vorschriftsmäßiger Geschwindigkeit immer wieder halten muss. Womöglich wurde da vergessen, die Schaltung auf das reduzierte Tempo umzustellen. Ob es sich jetzt noch lohnt, die Schaltung zu ändern? Nach einer Klage eines Anwohners hat das Verwaltungsgericht München nämlich das Tempo-30-Limit wieder aufgehoben.

Der Hauptgrund fürs häufige Anhalten: In praktisch allen Städten wird dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) inzwischen Vorrang eingeräumt, wie auch eine Umfrage unter den fünf größten Städten Bayerns ergibt. Heißt: Wenn ein Bus oder eine Tram auf die Kreuzung zusteuern, schalten die Ampeln der anderen Richtungen auf rot. Die dahinterliegende Hoffnung: Wenn der ÖPNV pünktlich ist, nutzen ihn mehr Leute.

Und die Luft ist sauberer. Franziska Hartmann vom Mobilitätsreferat der Stadt München verweist auf den Luftreinhalteplan der Stadt, der sich auf zahlreiche Messungen stützt. Der Ausbau des ÖPNV gilt darin als wichtigste Maßnahme zur Verbesserung der Luftqualität – weit vor einer Schadstoffeinsparung durch eine bessere Koordinierung des Autoverkehrs, die freilich auch ein Baustein ist.

Der ADAC hält Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen für kontraproduktiv

Klar ist: Das Verkehrsmittel Nummer eins genießt keinen Sonderstatus mehr. „Das Auto wurde in den letzten Jahrzehnten priorisiert, sodass viele Maßnahmen für das Auto umgesetzt wurden“, teilen Tanja Niels und Natalie Steinmetz vom Lehrstuhl für Verkehrstechnik der Technischen Universität München auf Anfrage mit. Zu den autofreundlichen Regeln zähle auch die grüne Welle auf den meisten Hauptverkehrsrouten großer Städte im deutschsprachigen Raum. Die Wissenschaftlerinnen plädieren dafür „nicht noch mehr Autoverkehr in die Städte zu locken“.

Das fordern auch die Zuständigen der Verkehrsreferate, mal mehr, mal weniger verklausuliert. In Nürnberg betont der städtische Verkehrsexperte Frank Jülich, dass sich der Anteil des Autoverkehrs seit der Pandemie und der Einführung des Deutschlandtickets im Stadtgebiet deutlich reduziert habe. In Augsburg warnt das Mobilitäts- und Tiefbauamt sogar vor einem zu gut laufenden Kfz-Verkehr: Erfahrungsgemäß werde mit der Zeit die Verkehrsdichte wieder so hoch, dass es neue Staus mit noch höherer Emissionen gebe. Auch in Ingolstadt, einer der Städte mit dem höchsten Autodichte, ist man zurückhaltend. Laut Stadtsprecherin Sabine Gooss muss sich die Verkehrsplanung auch fragen: „Können den Bürgern Flächen zur Erholung zurückgegeben werden, die vor über 50 Jahren dem motorisierten Fahrverkehr zugeteilt wurden?“

Erstaunliche Töne, die einen nachvollziehen lassen, wieso das FPD-Präsidium die Benachteiligung des Autos beklagte. Doch selbst der ADAC Südbayern sieht in den Städten die Notwendigkeit, etwas gegen Staus, Flächenknappheit und Luftverschmutzung zu tun. Direkte Kritik an der Priorisierung des ÖPNV gibt es daher nicht. „Dabei dürfen aber die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen und der Wirtschaft nicht eingeschränkt werden“, sagt Sprecher Daniel Geradtz. Nur Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen hält der ADAC für falsch. Denn dann weiche der Verkehr in die Wohngebiete aus.
(Thorsten Stark)

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