Es ist nur eine kleine Menschentraube, die vor einer Corvette steht. Der Verkäufer lässt das Verdeck des extra flach designten Sportwagens unter einem lauten „Wow“-Ausruf eines Zuschauers herunterfahren. Ein anderer Benzin-Junkie filmt das Spektakel. Auch mehrere andere schnelle Flitzer und einige andere dicke Karossen wie ein Maserati ernten an diesem Samstagnachmittag teils bewundernde Blicke der Passanten. Es sind Szenen, wie sie in der Motorworld in München-Freimann Alltag sind – doch für das Umfeld eines Grünen-Parteitags dürften sie eher ungewöhnlich sein.
Auch wenn in der Motorworld neben Spritschluckern auch viele E-Autos zu besichtigen sind – als Hotspot der Grünen galt die riesige Auto- und Event-Location bislang nicht. Schließlich steht die Ökopartei wie kaum eine andere Gruppierung für Klimaschutz – und die ist ohne eine Verkehrswende hin zu mehr Bahn und ÖPNV nicht zu machen. Dennoch trat Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck am Samstagnachmittag ausgerechnet im Dampfdom in der Motorworld auf.
"Genau richtig hier"
Trotz der aus Sicht mancher Grünen-Anhänger gewöhnungsbedürften Location ist bereits am Mittag eine riesige Schlange am Einlass – dabei spricht Habeck erst um 15 Uhr. 1700 Menschen passen in die Halle. Gut 20 Minuten vor Beginn ruft ein stämmiger Security in die Menge, dass die Halle voll sei und niemand mehr hinein dürfe. Die Partei reagiert und öffnet ein paar Nebenräume und richtet eine Übertragung vor der Halle ein. Am Ende schätzten ein Parteisprecher sowie eine Polizistin, dass knapp 2500 Menschen Habecks Rede zugehört hätten.
Münchens zweiter Bürgermeister Dominik Krause (Grüne) sagte zu Beginn über der Location. „Vielleicht sind wir genau richtig hier.“ Schließlich wollten die Grünen „Industriepolitik für die Zukunft machen". Die Partei glaube an eine grüne Zukunft der Automobilindustrie – mit Elektromobilität und ausreichend Ladestationen. Ganz nebenbei verkündet Krause noch einen neuen Mitgliederrekord der Münchner Grünen: 5400 Menschen an der Isar gehören mittlerweile der Ökopartei an. Für ihn ist klar, dass Habeck der richtige Kanzlerkandidat ist. Die Partei stehe hinter ihm, anders bei der Union. Jeder wisse, wenn CSU-Chef Markus Söder in Wahrheit für den geeigneten Kandidaten halte.
Als schließlich Habeck unter lautem Applaus und Dauerjubel die Halle betritt, hält es kaum noch jemanden auf den Stühlen. Selbst Benjamin Kaufmann steht auf. Wegen eines Sportunfalls ist er aktuell auf Krücken angewiesen. Bereits zwei Stunden vor Beginn war das Grünen-Mitglied da, um den einstigen Kinderbuchautor auch ja gut zu sehen. Wegen seiner Verletzung darf der 22-jährige Bundeswehrsoldat weit vorne sitzen. Der Mann aus dem Hohen Norden sei der richtige Mann an der Spitze des Wahlkampfs. „Ich hoffe, dass er allen sagt, wofür wir Grüne stehen.“
Und Habeck liefert. Er betont, dass die Grünen anders als viele andere Parteien konsequent für die Bewahrung der Freiheit stünden. Er kritisiert Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) scharf dafür, dass dieser der Ukraine weitere drei Milliarden Euro an Militärhilfen verweigere. „Am Ende werden wir einen hohen Preis dafür bezahlen“, rief Habeck dem Publikum zu. Er glaubt nicht, dass sich Putin mit der Eroberung der Ukraine zufrieden gibt.
Die Legende von der schwäbischen Hausfrau
Der Politiker gestikuliert oft wild, bleibt ihm Ton jedoch ruhig und höflich. Inhaltlich kritisiert er vor allem die Union scharf. Mehrfach warnt der Bundeswirtschaftsminister in seiner Rede vor den Folgen wirtschaftsliberaler Politik, fordert eine Reform der Schuldenbremse. Die von Unionspolitikern oft beschworene schwäbische Hausfrau mache im Alltag ja nur deshalb keine neue Schulden, weil sie bereits ein Haus habe. „Doch das Haus Deutschland ist marode.“ Die Infrastruktur sei in einem katastrophalem Zustand. „Die Pünktlichkeit der Bahn ist nur mehr ein schlechter Witz.“ Der Staat müsse jetzt in die Zukunft des Landes investieren.
Mit Blick auf den jüngsten Rechtsruck der Union sagt Habeck: „Wir dürfen nicht glauben, dass wir Populismus mit seinen eigenen Mitteln schlagen können.“ Deutschland dürfe in der Flüchtlingspolitik nicht agieren wie Ungarn. Der Bundeswirtschaftsminister betont wie sehr der aus seiner Sicht zunehmende Rassismus dem Land schade. „Die Ergebnisse der AfD sind jetzt schon eine Bremse für unsere Wirtschaft“, sagt Habeck, der Anzughose und schwarzen Pullover trägt. Für ihn ist klar: „Sollte die AfD noch stärker werden, wäre das der Sargnagel für die deutsche Wirtschaft.“
Habeck attackiert auch X-Boss Elon Musk und andere US-amerikanische Tech-Mogule. „Wenige ultra-reiche Männer haben nicht darüber zu entscheiden, wie Deutschland regiert wird“, ruft Habeck dem Publikum zu und erntet viel Nicken. Musk, dem auch der E-Auto-Gigant Tesla gehört, hatte zuletzt nicht nur Donald Trump unterstützt, sondern auch massiv für die Wahl der AfD geworben. Europa und Deutschland müssen dem Bundeswirtschaftsminister zufolge dringend ihre Software-Industrie stärken.
Gefährlicher Wahlkampf
Tatsächlich kommen derzeit fast alle beliebten Sozialen Netzwerke aus Übersee. „Wer die Technik hat, hat die Macht“, bringt es der Grünen-Spitzenkandidat auf den Punkt. Radikale Kräfte schnitten jüngst bei Wahlen wie etwa in Rumänien mehrfach nicht zuletzt aufgrund des Einsatzes von Troll-Armeen und mit Hetze gespickten Social-Media-Kampagnen exzellent ab.
Der Wahlkampf ist auch hierzulande nicht zuletzt wegen diverser Social-Media-Kampagnen in den vergangenen Jahren rauer geworden. Keine Partei wird einer Auswertung des Bundeskriminalamts zufolge so viel attackiert wie die Grünen – meist nur verbal. Doch auch die physische Gewalt gegen Mandatsträger und Wahlkämpfer nimmt laut Zahlen des Bundeskriminalamts zu – Hauptopfer sind neben der AfD die Grünen.
Im Europa- sowie im Landtagswahlkampf bekamen die Grünen den Hass massiv zu spüren. 2023 schmiss ein Mann einen Stein in Richtung der Grünen-Spitzenpolitiker Katharina Schulze und Ludwig Hartmann. Ein besonderes Hassobjekt für manche Gegner der Bundesregierung ist Robert Habeck – auch und gerade in Bayern.
Der Wirtschaftsminister sagt dennoch, er sei immer wieder gerne in Bayern zu Besuch. Einmal habe ihn eine bayerische Parteikollegin im Dirndl abgeholt. Und im Festzelt in Landshut seien noch viel mehr Menschen mit Tracht gewesen. „Wir haben dann sachlich gesellschaftspolitisch diskutiert.“ Tradition und progressive Positionen würden in Bayern sehr wohl gut zusammenpassen.
Früher hat Habeck auch auf dem am Marienplatz gesprochen. Alle seien „klitschnass“ geworden, erinnert er sich selbst. Der Platz war voll. Warum also diesmal in einer Halle. Aus Sicherheitsgründen habe man sich gegen eine Veranstaltung draußen entschieden heißt es bei den Grünen. Und die Hallen im Zentrum seien zu klein gewesen – daher ging es in die Motorworld. (Tobias Lill)
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