Politik

Die Bundesländer wollen nicht länger zusehen, wie illegale Online-Casinos am Staat vorbei Gewinne kassieren – und daher selbst in den Online-Glücksspielmarkt einsteigen. (Foto: dpa/Carsten Rehder)

31.01.2020

Hat sich Deutschland verzockt?

Künftig darf auch hierzulande in Online-Casinos legal um Geld gespielt werden – Suchtexperten sind alarmiert

Julia Fischer (Name geändert) ist spielsüchtig. Angefangen hat alles vor zwei Jahren, als sie in Online-Casinos immer mehr Geld verzockte. „Meine Welt drehte sich nur noch ums Spielen und den Versuch, mit den Gewinnen meine Schulden zu bezahlen“, erzählt die 32-Jährige. Ihr Mann und ihre zwei Kinder wussten zu der Zeit nichts von ihrer Abhängigkeit. „Ich verstrickte mich immer mehr in Lügen und habe Dinge verkauft, um an Geld zu kommen.“ Rückblickend sagt sie, sie habe total die Realität verloren. Und sehr viel Geld.

Bundesweit sind über eine halbe Million Menschen spielsüchtig, in Bayern sind es laut Gesundheitsministerium rund 70 000. Viele haben durch ihre Abhängigkeit sich und ihre Familie in den Ruin gestürzt. Bundesweit haben 18 Prozent der Spielsüchtigen, die in Beratung sind, über 25 000 Euro Schulden, sieben Prozent sogar über 50 000 Euro – mehr als bei jeder anderen Sucht. Selbst Kokainabhängige stehen im Schnitt mit weniger Geld in der Kreide. Hilfe suchen die meisten erst, wenn der Strom abgestellt wird.

Ein Grund für die hohen Schulden ist der Boom der Online-Casinos. Laut einer Umfrage unter Betroffenen in Bayern sind 22 Prozent online-glücksspielsüchtig. 2017 lag diese Zahl noch bei 17 Prozent. Dabei sind Blackjack, Roulette oder Pokern um Geld in Deutschland eigentlich verboten.

Dennoch meldeten die Glücksspielaufsichtsbehörden zuletzt 1158 illegale Online-Anbieter, von denen die meisten immer noch aktiv sind. Bayern gelang es nach Angaben des Innenministeriums zwischen 2014 und 2019 nur, gegen rund drei Dutzend Anbieter vorzugehen. Von 17 Zahlungsdienstleistern wie Paypal konnten bundesweit nur sieben überzeugt werden, Überweisungen auf illegale Online-Casinos zu stoppen. Spieler, die illegale Angebote nutzen, haben bisher nichts zu befürchten.

Warum die Aufsichtsbehörden die illegalen Angebote weitgehend dulden, hat zwei Gründe. Zum einen sitzen die Online-Casinos oft in Ländern wie Malta, wo sie wegen der laxen Vorgaben in der Regel legale Glücksspiellizenzen besitzen. Ihre Spiele nicht in der gesamten Europäischen Union anbieten zu dürfen, verstoße gegen das Europarecht, argumentieren sie. Das Bundesverwaltungsgericht sah das zwar 2017 anders, wegen der Rechtsunsicherheit scheuen aber viele Behörden einen Rechtsstreit.

Zum anderen hat Schleswig-Holstein 2012 einigen Online-Casinos Lizenzen erteilt. Glücksspiel ist Ländersache. Obwohl die Konzessionen nur für dieses Bundesland gelten, haben die Anbieter das als Einladung verstanden, um bundesweit um Spieler zu werben.

50 000 Euro Spielschulden und mehr

Deutschland ist zwar beim legalen Glücksspielmarkt europäischer Spitzenreiter. Doch zuletzt gingen die Umsätze der staatlichen Lotterien und Spielbanken zurück – nicht zuletzt wegen der illegalen Angebote. Diese erwirtschafteten ein Viertel des Umsatzes von rund 14 Milliarden Euro pro Jahr. Das wollten sich die Bundesländer nicht länger gefallen lassen und haben sich auf eine Reform des Glücksspielstaatsvertrags geeinigt. Der Entwurf befindet sich derzeit in der Verbändeanhörung und soll am 5. März beschlossen werden. In Kraft treten soll das Gesetz im Juli 2021.

Geplant ist der Aufbau einer zentralen Glücksspielbehörde, die Anbietern von Online-Casinos, Online-Poker oder virtuellen Automatenspielen Lizenzen erteilt. Auch Sportwettenanbieter, die zwar aggressiv und prominent werben, aber rechtlich in einer Grauzone agieren, sollen dauerhafte Genehmigungen erhalten.

Damit sich Spieler trotz der Liberalisierung nicht in den Ruin treiben, soll es künftig unmöglich sein, mehr als 1000 Euro pro Monat zu verzocken. Um das zu gewährleisten, müssen Online-Anbieter alle Einzahlungen einer zentralen Limitdatei melden. Übersteigt ein Spieler diese Grenze, soll das Geld zurücküberwiesen werden. Um Spielsüchtige von allen Angeboten abzuschneiden, wird eine bundesweite Sperrdatei aufgebaut. Außerdem müssen Anbieter nachweisen, dass sie künstliche Intelligenz nutzen, um potenziell spielsüchtige Menschen frühzeitig zu erkennen.

Die Bayerische Staatskanzlei lobt den Entwurf als „guten Kompromiss“ zwischen den vielfältigen Länderinteressen. So würde dem Schwarzmarkt ein Riegel vorgeschoben und gleichzeitig der Spielerschutz verbessert, sagt ein Sprecher.

Die Landesstelle Glücksspielsucht (LSG) in Bayern, die vom Gesundheitsministerium finanziert wird, sieht hingegen die geplante Marktöffnung kritisch. Dort befürchtet man, dass der Schwarzmarkt trotz der legalen Angebote nicht kleiner wird. „Es droht dann die Gefahr, dass Personen nach Erreichen der 1000-Euro-Grenze dort weiterspielen“, sagt ein Sprecher. Außerdem sei die dreimonatige Mindestsperrdauer für Süchtige zu kurz und die Ausgestaltung des Früherkennungssystems nicht konkret genug. Vor allem aber ist laut LSG die Verlustgrenze von monatlich 1000 Euro viel zu hoch angesetzt. Das durchschnittliche Nettogehalt in Deutschland liegt bei 1890 Euro im Monat.

Im Bayerischen Landtag sind die Meinungen durchwachsen. Die FDP lobt die Reform als „Durchbruch“, sieht lediglich bei einzelnen Punkten wie dem Datenschutz noch Verbesserungsbedarf. Auch die Grünen freuen sich über die Einigung, weil sich der Schwarzmarkt nur durch attraktive legale Angebote bekämpfen ließe. Künftig sollten aber die Einnahmen verstärkt in Prävention und Hilfen für Suchtkranke fließen. Die AfD hält die Neuregelung zwar für „überfällig“, die Maßnahmen zum Spielerschutz aber für „unzureichend“. Die Fraktion fordert ein Registrierungssystem, das Online- und Offline-Spiele umfasst, damit nicht einfach in Spielhallen weitergespielt werden kann.

Dass der Gesetzentwurf aber zumindest in die richtige Richtung geht, zeigt die Aufregung der Branche auf Malta. „Das Spiellimit ist ein Riesenproblem“, sagt ein Online-Glücksspiel-Consultant, der seinen Namen nicht in der BSZ lesen will. Selbst Hartz-IV-Empfänger würden im Monat gerne mal 1500 Euro verspielen. „Bei einem Limit von 1000 Euro macht man mit dem im Best Case nur einen Hunderter im Monat Gewinn.“ Er rät seinen Kunden, ihren Sitz auf die Karibikinsel Curaçao zu verlegen. „Dort kann man die EU-Gesetzgebung einfach umgehen.“ (David Lohmann)

Kommentare (1)

  1. Roulette_gegner am 03.02.2020
    selbst 1000 Euro je Monat Einsatz sind noch viel zu viel...
    nach 7 Wochen Spielfrei wurden mal wieder innerhalb 2 Stunden spontan 900 Euro verzockt - das treibt den Schuldenberg immer höher. Wenigstens die Banken freuen sich über den Dispo Zins..
    Mein Vorschlag wäre pro Tag ein Limit von 50 Euro.
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