Politik

Martin Böhm, stellvertretender Fraktionschef der AfD im Landtag. (Foto: dpa/Lino Mirgeler)

26.01.2024

„Ich wäre auch zu dem Treffen gegangen“

Martin Böhm, Vizechef der AfD-Landtagsfraktion, über Demos gegen rechts, sein Konzept zur Migrationspolitik und die Zukunft seines Fraktionskollegen Halemba

Martin Böhm (59) zählt zu den exponiertesten und umstrittensten AfD-Leuten in Bayern. So sorgt etwa Böhms Nähe zum Thüringer AfD-Frontmann Björn Höcke für Stirnrunzeln. Der aus Coburg stammende Böhm gehört dem Landtag seit 2018 an; er fungiert als stellvertretender Landes- und Landtagsfraktionschef und war neben Katrin Ebner-Steiner Spitzenkandidat bei der Landtagswahl. 
 

BSZ: Herr Böhm, am Wochenende haben Hunderttausende gegen rechts und die AfD demonstriert, die Zustimmungswerte für Ihre Partei sinken. Stimmt Sie das nachdenklich?
Martin Böhm: Im Bayerntrend von vergangener Woche haben wir zugelegt. Außerdem: Diejenigen, die da demonstrieren, sind nicht die 55 000, die mich gewählt haben oder die mich je wählen würden. Ich kümmere mich um meine Wähler und deren Sorgen und Nöte – davon gibt’s genug.

BSZ: Auslöser für die Demos war das Treffen von AfD-Leuten mit dem als rechtsextrem bekannten Martin Sellner. Wie stehen Sie zu diesem Treffen?
Böhm: Solche Treffen haben schon öfter stattgefunden, mit breiter Beteiligung der Werteunion. Dort findet ein Meinungsaustausch statt. Das wird von Mainstream-Medien skandalisiert. Aber was spricht bitte dagegen? Warum soll man nicht darüber sprechen, wie man im Rahmen unserer Gesetze Remigration – also die Abschiebung Ausreisepflichtiger – voranbringen kann?

BSZ: Die Aufregung hat sich nicht am Thema Abschiebung Ausreisepflichtiger entzündet. Sondern daran, wie Menschen mit deutschem Pass im großen Stil ausgewiesen werden können. Was per Gesetz nicht geht.
Böhm: Es ging bei dem Treffen auch darum, wie man im Vorfeld der Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts regulierend eingreifen kann. Ich halte es für falsch, dass man künftig bereits nach drei Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten kann. So wie das Staatsbürgerschaftsrecht gelockert wird, kann man es auch wieder verschärfen. Da stellt sich auch die Frage, ob die doppelte Staatsbürgerschaft weiter möglich sein soll. Man könnte sagen, das akzeptieren wir nicht mehr.

BSZ: Dennoch: Die Rücknahme der Staatsbürgerschaft ist rechtlich nicht möglich, die Ausweisung von Deutschen auch nicht. Man kann ja nur Regelungen für künftige Migrant*innen treffen.
Böhm: Vollkommen richtig. Allerdings befreit uns das nicht von der Sorge, nach der Abwahl der AmpelAbrisstruppe umgehend zu einer gesetzlichen Regelung zu finden, die das „Swingen“ zwischen Identitäten beendet und ein klares Bekenntnis zur deutschen Staatsbürgerschaft fordert. Idealerweise nach einer angemessenen Zeit, um unsere Sprache und Kultur kennenzulernen, zu akzeptieren und auch aktiv zu leben.

BSZ: Wenn das ein legitimes Treffen war, warum musste der Mitarbeiter von Frau Weidel, der dabei war, seinen Hut nehmen?
Böhm: Da müssen Sie Frau Weidel fragen. Wenn’s mein Mitarbeiter gewesen wäre, hätte ich jedenfalls erwartet, vorab informiert zu werden.

BSZ: Wären Sie auch hingegangen?
Böhm: Ja, klar. Ich bin zu solchen Kreisen nicht eingeladen, weil ich nicht so bekannt bin. Aber ich bin der Meinung, dass ein Gespräch nie schaden kann, auch dann nicht, wenn es sehr kontrovers ist.

BSZ: Wie würden Sie sich weltanschaulich einordnen?
Böhm: Ich stehe für gesunden Patriotismus kombiniert mit einem extrem konservativen Weltbild.

BSZ: Wie definieren Sie rechtsextrem?
Böhm: Rechtsextreme versuchen ihr Weltbild mit Gewalt durchzusetzen. Das hat nichts mit der AfD zu tun, wir sind Demokraten.

BSZ: Sie bezeichnen sich als Demokraten, stehen auch Herrn Höcke nahe. Von dem der Satz stammt, er sei dazu bereit, bei der Einwanderung mit „hundertprozentiger Kompromisslosigkeit“ zu agieren. Aber Demokratie lebt vom Kompromiss.
Böhm: Höckes Aussage teile ich. Er sagt damit, dass er Migration nach Deutschland wirklich auf diejenigen begrenzen will, die einen Asylgrund nach dem Grundgesetz haben, also politisch Verfolgte. Das sind 2 bis 3 Prozent. Und was heißt Kompromiss; wenn man nur 50 Prozent fordert, wird man nur 25 Prozent erreichen. Mit Minimalforderungen darf man nie in eine Diskussion gehen.

BSZ: Sie nennen 2 Prozent Asylberechtigte. Es gibt aber auch die Genfer Flüchtlingskonvention, die einen weitaus umfangreicheren Schutz gewährleistet. Das ist ebenfalls geltendes Recht.
Böhm: Wer schlussendlich Asyl erhält – die wenigsten sind das –, entscheidet das Bundesamt für Migration nach rechtsstaatlichen Maßstäben. Zudem, die Genfer Flüchtlingskonvention ist nicht in Stein gemeißelt und hat ihren damals guten Grund unter vollkommen anderen politischen Vorzeichen gehabt.

BSZ: Wie lautet Ihr Konzept zur Begrenzung der Migration?
Böhm: Das Wichtigste ist, dass keine neuen Menschen zu uns kommen, die kein Bleiberecht haben. Dazu gehören harte Grenzkontrollen. Und Pushbacks: Denn wir sind ja von sicheren Drittstaaten umgeben, das wäre im Grunde schon geregelt, aber diese Regeln werden nicht angewandt. Das andere: mit möglichst vielen Ländern Rückführungsabkommen schließen.

BSZ: Das ist immer wieder versucht worden.
Böhm: Offenbar nicht gründlich genug. Man muss auch über wirtschaftliche Sanktionen nachdenken. Großbritannien zum Beispiel weigert sich, Familienangehörige von Geschäftsleuten mit einreisen zu lassen, wenn diese Länder ihre nicht bleibeberechtigten Staatsbürger nicht zurücknehmen. Die Visapolitik wäre auch ein Druckmittel, es gibt viele Möglichkeiten.

BSZ: Alice Weidel hat die Idee einer Dexit-Abstimmung ins Spiel gebracht. Wie stehen Sie dazu?
Böhm: Das Grundziel ist ja nicht der Austritt aus der EU. Sondern, die EU so zu reformieren, dass sie wieder den Status einer europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hat. Deutschland mit seiner geballten Wirtschaftskraft muss Reformprozesse anstoßen, notfalls mit der Drohung, die EU ansonsten zu verlassen. Ohne Deutschland gäb’s doch gar keine EU mehr, wir zahlen so viel Geld in dieses System.

BSZ: Zur AfD im Landtag: Ihr Start war ungut. Der Abgeordnete Halemba wurde verhaftet, den Vorwurf, er habe ein SS-Schriftstück in seinem Besitz gehabt, streitet er selbst nicht ab. Wie kann so jemand Mitglied Ihrer Fraktion sein?
Böhm: Was sich jemand daheim an die Wand hängt, ist sein Privatvergnügen.

BSZ: Nein, das ist nicht privat. Er ist Abgeordneter.
Böhm: Wenn er noch die Gelegenheit dazu gehabt hätte, hätte er das wohl zerrissen.

BSZ: Das ändert nichts daran, dass er es hatte.Wie geht es jetzt weiter?
Böhm: Der Parteitag hat ihn aufgefordert, das Abgeordnetenmandat zurückzugeben, er muss dem aber nicht nachkommen. Die Fraktion ist übereingekommen, ihn in ihren Reihen zu behalten.

BSZ: Dass die AfD ohne Halemba ihren Status als Oppositionsführerin verlieren würde, dürfte auch eine Rolle spielen.
Böhm: Natürlich. Diese Möglichkeit wollen wir behalten.

BSZ: Ihre Aussage, es sei „charmant“, die Landtagspräsidentin zu beschädigen, indem man eine Verhaftung Halembas im Landtag provoziert, hat das Klima dann weiter vergiftet.
Böhm: Bei einem anderen Präsidenten oder einer anderen Präsidentin wäre so eine Idee vielleicht gar nicht hochgekommen. Frau Aigner sollte als Landtagspräsidentin halt ein gewisses Maß an politischer Neutralität einhalten. Das tut sie nicht.

BSZ: Sie haben zuvor bei vielen Gelegenheiten provoziert. Die Aktion beim Holocaust-Gedenktag 2019 hat niemand vergessen. Damals ist die AfD aus dem Plenarsaal marschiert, als die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, Charlotte Knobloch, gesprochen hat.
Böhm: Frau Knobloch hat uns beschimpft. Sie war zu Gast im Landtag und hat ihr Gastrecht missbraucht, indem sie auf uns als frisch gewählte Oppositionsfraktion eingeschlagen hat. Da sind einige wütend geworden – auch ich. Dass wir dann rausgegangen sind, war nicht abgesprochen. (Interview: Waltraud Taschner)

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