Für die FDP läuft es schlecht. 2023 flog sie aus dem Landtag, im Februar verpasste sie den Wiedereinzug in den Bundestag. Der Politologe Martin Hagen (43), Chef der Bayern-FDP, der selbst für den Bundestag kandidiert hatte, kündigte seinen Rückzug an. In der Politik will er aber bleiben. Hagen ist Politjunkie. Eine erneute Kandidatur für den Landtag oder Bundestag schließt er nicht aus.
BSZ: Herr Hagen, die Union, die im Bund, ebenso wie die FDP, stets auf stabile Staatsfinanzen gepocht hatte, ist aktuell im Schuldenrausch. Sind Sie überrascht?
Martin Hagen: Überrascht bin ich eigentlich nur darüber, wie schnell und in welchem Ausmaß die CDU/CSU das über Bord wirft, womit sie im Wahlkampf noch geworben hat. Dass in einem schwarz-roten Bündnis am Ende sozialdemokratische Politik rauskommt, war aber grundsätzlich erwartbar - das haben wir ja schon in früheren Großen Koalitionen erlebt.
BSZ: Die FDP hat diese Woche einen eigenen Vorschlag zur Finanzierung des Verteidigungsetats vorgelegt. Für die Union ist das nicht sehr attraktiv, es geht dabei um einen viel geringeren Betrag, und der 500-Milliarden-Topf für Infrastruktur fällt weg. Warum sollte die Union das in Erwägung ziehen?
Hagen: Wir wollen zusätzliche 200 Milliarden Euro für die Verteidigung bereit stellen. Bedingung soll sein, dass die regulären Verteidigungsausgaben aus dem normalen Haushalt finanziert werden. Alles, was zusätzlich nötig ist, kann dann aus diesem Sondervermögen genommen werden. Zu Ihrer Frage, warum die Union das in Erwägung ziehen sollte: Wenn es ihr darum geht, angesichts einer veränderten weltpolitischen Lage die deutsche und europäische Verteidigungsfähigkeit zu gewährleisten, dann wäre unser Vorschlag der richtige. Aber offenbar geht es ja eher darum, sich in eine Koalition mit der SPD einzukaufen und im Haushalt Spielräume für alles Möglichen zu schaffen.
"Union und SPD wollen hemmungslos Wahlgeschenke verteilen. Das ist keine nachhaltige Haushaltspolitik."
BSZ: Ihr Vorschlag würde gewaltige Einsparungen im regulären Haushalt erfordern. Es gäbe dann keine 500 Milliarden für die Infrastruktur. Wo soll gespart werden?
Hagen: Die 500 Milliarden Euro sind ja nicht Gegenstand einer konkreten Haushaltsplanung, sondern lediglich ein Wunschzettel von Union und SPD. Dieses Sondervermögen zu schaffen, würde dazu führen, dass Gelder aus dem regulären Haushalt, die momentan in Infrastrukturprojekte investiert werden, frei werden. Damit entfällt jeder Druck, zu sparen und zu priorisieren. Union und SPD könnten hemmungslos Wahlgeschenke verteilen. Das ist keine nachhaltige Haushaltspolitik. Damit bürden wir kommenden Generationen immense Lasten auf und heizen die Inflation an. Wir werden einen kräftigen Anstieg der Zinsen erleben und schlimmstenfalls irgendwann eine neue europäische Schuldenkrise. Deshalb lautet unser Vorschlag: Zusätzliches Geld für die Verteidigung ja, aber keine allgemeine Schuldenorgie.
BSZ: Hat sich die Union zu dem Vorschlag schon geäußert?
Hagen: Bis jetzt meines Wissens noch nicht.
BSZ: Welche Posten im Haushalt würden Sie gern einsparen? Im Wahlkampf war von Migration und Bürgergeld die Rede.
Hagen: Die irreguläre Migration kostet Bund, Länder und Gemeinden fast 50 Milliarden Euro im Jahr. Wir brauchen eine grundlegende Wende in der Flüchtlingspolitik. Da gehen einige Punkte aus dem Sondierungspapier von Union und SPD in die richtige Richtung. Ausreichend ist das aber noch nicht. Einsparpotenzial gibt es natürlich auch beim Bürgergeld. Das muss ein Sprungbrett in Arbeit sein, keine Hängematte für Leute, die keine Lust haben zu arbeiten. Daneben haben wir eine Reihe weiterer Ideen: Behörden abschaffen, Ministerien zusammenlegen, die gesamte Verwaltung verschlanken. Damit würden wir Spielräume schaffen, die es erlauben, auch ohne massive Neuverschuldung in die Infrastruktur zu investieren.
"Zum Zustrombegrenzungsgesetz: Es ist ja nicht primär die Aufgabe der FDP, einem Gesetzentwurf von Friedrich Merz zur Mehrheit zu verhelfen, über den dieser mit uns vorher überhaupt nicht geredet hat."
BSZ: Bei Ihnen klang es eben so, dass die FDP für eine ganz harte Zuwanderungspolitik steht. Tatsächlich ist das Zustrombegrenzungsgesetz im Bundestag vor allem auch an der FDP gescheitert. 16 FDPler waren nicht anwesend, zwei waren dagegen und fünf haben sich enthalten. Bei der Union haben nur zwölf nicht mitgestimmt.
Hagen: Das Zustrombegrenzungsgesetz wäre in der Sache richtig gewesen. Gescheitert ist es deshalb, weil die Union selber nicht geschlossen für ihr eigenes Gesetz gestimmt hat. Mit den zwölf fehlenden CDU-Simmen hätte es gereicht. Es ist ja nicht primär die Aufgabe der FDP, einem Gesetzentwurf von Friedrich Merz zur Mehrheit zu verhelfen, über den dieser mit uns vorher überhaupt nicht geredet hat. Insgesamt war das alles unglücklich.
BSZ: Aber warum gab es dieses Abstimmungsverhalten bei der FDP?
Hagen: Weil es Abgeordnete gab, die es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren konnten, dass ein Gesetz durch die Stimmen der AfD eine Mehrheit bekommt. Ich persönlich hätte die Abwägung anders getroffen – so wie die große Mehrheit der FDP-Abgeordneten es ja auch getan hat.
BSZ: Wird die FDP denn eigentlich noch gebraucht? Offensichtlich sind Ihre Werte wie solide Staatsfinanzen, schlanker Staat oder Eigenverantwortung gerade nicht en vogue.
Hagen: Die letzten zwei Wochen zeigen doch, wie notwendig die FDP ist. Kaum ist sie nicht mehr dabei, brechen alle finanzpolitischen Dämme. Keine Partei im Bundestag ist mehr bereit, darüber zu reden, wie man auf der Ausgabenseite sparen kann, wie man den Staat verschlanken kann. Es geht nur darum, wie man zulasten kommender Generationen mehr Schulden aufnimmt. Die liberale Stimme bleibt aber auch jenseits von wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen wichtig, Stichwort Bürgerrechte. Etwa wenn es um die Meinungsfreiheit geht. Von den Grünen bis zur Union wird eine stärkere Regulierung Sozialer Netzwerke gefordert. Eine gefährliche Entwicklung! Die Grenzen dessen, was man äußern darf, setzt nur das Strafrecht, nicht der Zeitgeist. Dafür müssen Liberale streiten.
BSZ: Wie fällt Ihre persönliche Fehleranalyse aus. Warum hat’s nicht geklappt mit dem Einzug in den Bundestag?
Hagen: Wir haben die Wahl nicht in den acht Wochen Wahlkampf verloren, sondern in den drei Jahren davor. Die FDP hat durch die Ampel stetig an Zuspruch und Akzeptanz bei ihrer Wählerschaft verloren und dann auch noch durch die Art und Weise, wie die Ampel beendet wurde, Sympathien verspielt - Stichwort D-Day.
"Ob sich Wolfgang Kubicki mit 73 Jahren wirklich nochmal den FDP-Bundesvorsitz antun will, weiß ich nicht."
BSZ: Was werden Sie jetzt tun?
Hagen: Ich werde im Juni nicht erneut als Landesvorsitzender antreten. Ich stand jetzt gut sieben Jahre lang in der ersten Reihe der bayerischen FDP – als Spitzenkandidat, Landtagsfraktionschef und Landesvorsitzender. Das hat Spaß gemacht, aber auch viel Kraft gekostet. Jetzt dürfen mal andere ans Ruder. Ich bleibe als Gemeinderat kommunalpolitisch aktiv und will mich da künftig noch intensiver einbringen. Beruflich bin ich seit einem Jahr Geschäftsführer der Denkfabrik R21 - auch in dieser Funktion werde ich weiterhin dazu beitragen, den liberalen, bürgerlichen Geist in Deutschland zu stärken.
BSZ: Haben Sie schon jemanden für Ihre Nachfolge im Auge?
Hagen: Es gibt Persönlichkeiten in der bayerischen FDP, denen ich das zutraue. Aber ich werde nicht als scheidender Vorsitzender versuchen, meine Nachfolge zu regeln. Darüber entscheidet die Partei.
BSZ: Können Sie sich eine Rückkehr in den Landtag oder eine erneute Kandidatur für den Bundestag vorstellen?
Hagen: Die Zukunft ist offen. Ich schließe nichts aus.
BSZ: Wer soll jetzt die FDP im Bund anführen? Wolfgang Kubicki?
Hagen: Wolfgang und ich schätzen einander sehr. Ob er sich mit 73 Jahren wirklich nochmal den FDP-Bundesvorsitz antun will, weiß ich nicht. Er sollte aber auf jeden Fall Teil des neuen Führungsteams sein. An dessen Spitze wünsche ich mir eine Person mit klarem liberalem Kompass, die in der Breite der Partei Akzeptanz findet.
(Interview: Waltraud Taschner)
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