Politik

Immer mehr Einser-Abis – wie kann das sein? (Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand)

04.10.2024

Inflation der guten Noten

Immer mehr Einsen in der Schule: Wie kommt denn das?

Die Noten an Schulen und in vielen Hochschulstudiengängen in den vergangenen 25 Jahren sind deutlich besser geworden. Das ist in Bayern nicht anders als in der restlichen Bundesrepublik. Wie gibt es das? Sind alle klüger geworden? Leider nicht. Dass die guten Noten kaum auf die tatsächliche Leistungsfähigkeit schließen lassen, zeigen Vergleichsstudien wie Pisa und Klagen aus der Wirtschaft über das Niveau der Absolvent*innen.

1999 betrug die durchschnittliche Abiturnote in Bayern noch 2,41, in diesem Jahr lag sie bei 2,25. In den vergangenen zehn Jahren blieb dieser Schnitt relativ konstant, doch die Zahl der Abschlüsse mit 1,0 schnellte stetig weiter nach oben: allein von 2012 bis heute von 1,4 Prozent der Abiturient*innen auf 2,7 Prozent. Das hat mehrere Gründe: Seit dem Wechsel zum inzwischen wieder abgeschafften achtstufigen Gymnasium 2011 wird viel mehr Wert auf mündliche Noten gelegt – diese sind tendenziell besser als schriftliche Leistungsbewertungen. Dazu haben sich die Bundesländer beim Abitur stärker angenähert.

Salopp formuliert: Das als schwer geltende bayerische Abitur wurde ein bisschen leichter gemacht. Mittlerweile teilen sich die Länder Aufgaben für die Abiturprüfungen in Mathematik, Deutsch, Englisch und Französisch, 2026 folgen Biologie, Chemie und Physik. Laut Michael Schwägerl, dem Präsidenten des Bayerischen Philologenverbands, kommt hinzu, dass die angehenden Abiturient*innen inzwischen viel stärker darauf achten, wie sie möglichst viele Punkte erreichen. Durch mehr Lernen, aber auch durch die gezielte Wahl von vermeintlich leichteren Fächern. Es gebe aber auch Lehrkräfte, die ihren Schützlingen nicht das erhoffte 1,0-Abitur verbauen wollten, räumt Schwägerl ein.

Für die Hochschulen gibt es keine zentrale Statistik, wohl aber Studien, die in etlichen Fächern immer bessere Zensuren nachweisen. Etwa in Biologie, Betriebswirtschaftslehre oder Mathematik. Eine Vier gleicht heutzutage in vielen akademischen Studiengängen aus Sicht der Studierenden fast einer Hinrichtung, die normale Streuung der Noten reicht von eins bis drei. Ausnahmen bilden Fächer wie Jura und andere Studiengänge, deren Prüflinge ein zentral gestelltes Staatsexamen bewältigen müssen.

Gleichzeitig werden allerorten Defizite wahrgenommen. Oliver Kunkel vom Bayerischen Elternverband, der selbst Lehrer ist, spricht von immer weiter abnehmender Konzentrationsfähigkeit und Durchhaltewillen der Kinder und Jugendlichen seit Einführung der Smartphones. Besonders stark betroffen ist seiner Beobachtung nach die Leistungsfähigkeit der Buben, die offenbar über eine geringere Impulskontrolle verfügen als Mädchen. Auch dass mittlerweile fast ein Drittel jedes Jahrgangs das Gymnasium besucht, hat aus Sicht vieler Eltern und Lehrkräfte zu einer Verschlechterung des allgemeinen Niveaus geführt. Wissenschaftlich belegt ist das aber nicht. Tatsächlich nahm die Quote der Schüler*innen, die es bis zum Abitur schaffen, in den vergangenen Jahren sogar zu.

Was ist 1,0 noch wert, wenn es praktisch nachgeworfen wird?

Immer wieder beklagt werden an Schulen und Hochschulen auch die stetig schlechter werdende Grammatik und zurückgehende sprachliche Fähigkeiten. Schulpädagogik-Expertin Jutta Mägdefrau von der Universität Passau rät ihren Studierenden angesichts dieser Mängel inzwischen sogar, ihre Texte vor der Abgabe mit Unterstützung von künstlicher Intelligenz zu korrigieren. Die Kulturtechnik Handschrift beherrschten junge Menschen auch nur noch rudimentär. „Wir sehen das bei den vierstündigen Staatsexamina im Lehramt“, sagt Mägdefrau. „Das ist für die Korrektoren kaum mehr lesbar und die Studenten kriegen Krampfanfälle in der Hand.“

Warum also noch Noten geben, wenn sie den wahren Leistungsstand ohnehin nicht wiedergeben? Im Kultusministerium sieht man keinen weiteren Handlungsbedarf. Auch viele Fachleute wollen nicht auf Noten verzichten. Volkswirt Axel Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft sieht darin eine „recht einfach verständliche Form eines Feedbacks zum Leistungsstand“ und eine erste Information für potenzielle Arbeitgeber. Dass einige Studiengänge besonders gute Noten vergeben, sei bei den Studierenden und in der Wirtschaft bekannt. Auch Jutta Mägdefrau würde nichts an der Notengebung verändern wollen. Sie wünscht sich nur besseres Feedback, nach welchen Kriterien eine Note vergeben wurde. Dafür müsse das Lehrpersonal besser geschult werden. Nur so könnten sich die jungen Menschen verbessern.

Philologenverbandschef Schwägerl fordert mehr Leistungsbereitschaft in der Gesellschaft. Dafür braucht es aus seiner Sicht aber auch wieder eine stärkere Differenzierung der Noten: „Wenn alle 1,0 haben, ist 1,0 nichts wert.“
(Thorsten Stark)

 

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