Politik

Schulen sind stark gefordert, wenn es um die Integration geht. (Foto: dpa/Monika Skolimowska)

10.05.2024

Integration: Was bedeutet das eigentlich?

Alle reden über die Zuwanderung, viele darüber, was hier schief läuft und wenige über tragfähige Lösungen

Was macht gute Integration aus, was muss der Staat hier leisten, was müssen Zugewanderte selbst tun? Und was bringen eigentlich Konzepte wie Leitkultur? Wir haben uns umgehört.

Die Sprache sprechen, Arbeit finden, soziale Kontakte zur deutschen Gesellschaft knüpfen, die hiesige Rechts- und Werteordnung teilen: Dass all dies zentral für die Integration ist, darüber herrscht weitgehend Konsens. Schwieriger wird es, wenn’s um die Umsetzung geht und um die Frage von Verantwortlichkeiten.

Bayerns Integrationsminister Joachim Herrmann (CSU) betont das Prinzip des „Fördern und Fordern“. Sprich: Zugewanderte müssten sich anstrengen, der Staat soll diese Anstrengung mit Angeboten wie etwa Sprachkursen unterstützen. Für den SPD-Abgeordneten Arif Tasdelen ist Integration „ein Prozess, in dessen Verlauf sich ein Mensch einer Gemeinschaft zugehörig fühlt, Akzeptanz erfährt und sich in die Gesellschaft einbringt“.

Dass Integration eine Gemeinschaftsaufgabe von Zugewanderten und Gesellschaft ist, finden die meisten richtig: Alexander Hold (Freie Wähler) sagt, dass sich sowohl der Staat als auch die neu ins Land Gekommenen bemühen müssen. „Initiative ist von beiden Seiten gefordert.“ Der Integrationsbeauftragte der bayerischen Staatsregierung, der CSU-Abgeordnete Karl Straub, findet es wichtig, bei allem Fordern „die Vielfalt zu respektieren und zu fördern“. Sprich: Zugewanderte müssten sich keineswegs völlig „assimilieren“. Straub betont: „Die Bewahrung der eigenen kulturellen Identität ist wichtig und ist bereichernd für unsere Gesellschaft.“ Solange sie nicht mit unserer Rechtsordnung in Konflikt gerate. Das ist auch der Grünen Gülseren Demirel wichtig: Integration bedeutet für sie „geeint in Vielfalt auf der Basis unserer Grundwerte“.

Wechselseitiger Prozess

Und der Integrationsbeauftragte Straub nennt Integration „einen wechselseitigen Prozess, der sowohl Anstrengungen von den Einwanderern als auch Unterstützung vom Staat erfordert“ – so sieht das auch die Grüne Demirel. So sollten alle, die dauerhaft hier bleiben wollen, Deutsch lernen und eine Arbeit finden. Der Staat sei für die Rahmenbedingungen zuständig: „Bildungsangebote, Sprachkurse, Integrationsprogramme und Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung.“

Am weitesten auseinander liegen Flüchtlingsrat und AfD: Martin Böhm, Vizechef der Landtags-AfD, wünscht sich maximale Anpassung der Zugewanderten: „Sich aktiv um Integration zu bemühen, liegt in der Verantwortung des Zuwanderers.“ Während der Bayerische Flüchtlingsrat glaubt: „Integration ist natürlich eine Bringleistung des Staates.“ Den Staat sieht die AfD aber nur im Fall von Fachkräften in der Pflicht: „Menschen, die der Staat aktiv als qualifizierte Fachkräfte anwirbt, sollen mit Integrations- und Sprachkursen unterstützt werden.“ Bei „illegalen Einwanderern“ bestehe dazu keine Veranlassung.

Nicht sehr konkret fallen die Antworten aus auf die schwierige Frage nach der Integration muslimischer Kinder, vor allem Buben. Zuletzt hatte eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen ergeben, dass eine Mehrheit der befragten muslimischen Schulkinder die Regeln des Koran wichtiger findet als deutsche Gesetze. Und immer wieder machen Klagen von Lehrerinnen die Runde, wonach muslimische Schüler sich weigern, die Gleichberechtigung von Frauen anzuerkennen. Auch die Rechte von Homosexuellen und Transpersonen sind hier zu nennen.

Kein zusätzlicher Bedarf

SPD-Mann Tasdelen allerdings mag im Fall muslimischer Kinder gar kein Problem erkennen: „Ich persönlich sehe keinen zusätzlichen Integrationsbedarf muslimischer Kinder.“
Für die AfD gilt: Das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen. „Ob Integration gelingt, ist letztlich eine Frage der Dimension, erklärt AfD-Mann Böhm. Man habe eine „Massenzuwanderung gerade aus dem islamischen Kulturkreis zugelassen, ohne die Konsequenzen abzusehen oder gar steuern zu wollen“. Und die Lösung? Härte zeigen, sagt Böhm. „Auf Renitenz maximal restriktiv reagieren.“ Wie das im Fall von Schulkindern aussehen soll, lässt er offen. Der FW-Mann Hold erklärt, „dass abgeschottete und unsere Werte ablehnende Parallelstrukturen bei uns nicht geduldet werden“. Doch er bleibt ebenfalls die Antwort darauf schuldig, was ein „Nichtdulden“ bedeuten soll.

Die Grüne Demirel verweist auf die Bedeutung des Schulunterrichts. Etwa darauf, dass muslimische Mädchen am Schwimmunterricht teilnehmen müssen. Und sie hofft auf künftige „Forschungsberichte, Empfehlungen und Pilotversuche“ – sehr konkret ist das nicht. Auch der Migrationsforscher Hannes Schammann setzt auf die Kraft der Schule. „Wichtig für alle Kinder ist es, dass sie im Bildungssystem lernen, wie wichtig Demokratie ist.“

Wenn das Gespräch nichts nützt

Reden sei wichtig, hört man immer wieder. Doch niemand weiß eine Antwort auf die schwierige Frage, was zu tun ist, wenn das Gespräch nichts nützt. So betont der Integrationsbeauftragte Straub die Bedeutung von Eltern-Lehrer-Gesprächen oder Informationsveranstaltungen.

Auf derlei Integrationsangebote verweist auch Integrationsminister Herrmann. Und sagt: „Klar ist, dass wir von den Grundwerten unserer Verfassung nicht abweichen, sie sind verbindlich auch für Neubürger. Wer diese Grundwerte ablehnt oder gar bekämpft, muss unser Land wieder verlassen.“ Doch das ist freilich Theorie. Denn niemand kann des Landes verwiesen werden, weil er unsere Grundwerte ablehnt.

Doch welche Werte sind das überhaupt? Das Konzept der Leitkultur ist vor allem bei Konservativen en vogue. CSU und AfD können sich dafür begeistern. Joachim Herrmann nennt als zentrale Aspekte: „die deutsche Sprache und Kultur, Werte und Traditionen des christlichen Abendlandes und der jüdische Beitrag hierzu, die Menschenwürde, Grundrechte wie Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung, die Rechtsstaatlichkeit, Demokratie sowie Solidarität und Eigenverantwortung, aber auch das gewachsene Brauchtum Bayerns“. Der Minister betont: „Man kann nicht in die Beliebigkeit integrieren, sondern braucht klare (Wert-)Vorstellungen.“

Leitkultur als "Gegenbild zur Beliebigkeit des Multikulturalismus"

AfD-Mann Böhm beschreibt die Leitkultur als „Gegenbild zur Beliebigkeit des Multikulturalismus“. Und nennt konkret: „das Christentum, die wissenschaftlich-humanistische Tradition, deren antike Wurzeln in Renaissance und Aufklärung erneuert wurden, und das römische Recht, auf dem unser Rechtsstaat fußt“.

Und die größte Herausforderung? Der Flüchtlingsrat spricht vom fehlenden Augenmaß der Politik, wenn es um arbeitswillige Asylsuchende geht, teils mit Fachkraftstatus. Hier herrsche zu viel Bürokratie, mitunter sollten sogar dringend benötigte Altenpfleger abgeschoben werden. Die Grünen fordern, die alternde Gesellschaft „mit dem Potenzial der Einwanderinnen und Einwanderer und Geflüchteten zusammenzubringen“. Eine Begrenzung der Zuwanderung, von CSU oder AfD als wichtig erachtet, nennt die Grüne Demirel nicht, ebenso wenig wie der FW-Politiker Hold. Dabei ist es schwer, dem Integrationsminister Herrmann zu widersprechen. Er sagt: Die größte Herausforderung sei „die Endlichkeit der Ressourcen. Kein Land der Welt kann unbegrenzt Migrantinnen und Migranten aufnehmen und in die Gesellschaft integrieren.“

Eine Sicht, die der Integrationsbeauftragte Straub teilt: Er wünscht sich aber, „eine Balance zu finden zwischen der Notwendigkeit, illegale Migration zu begrenzen, und der Wahrung der Menschlichkeit und des Respekts für die Rechte der Migranten“.

Für die, die bereits da sind, gilt zweifellos: Es braucht Geduld. Migrationsforscher Schammann erklärt: „Es dauert Generationen, bis Fremde zu Einheimischen werden.“ Und gibt zu bedenken: „Alle wollen einfache Lösungen. Die aber wird es nicht geben. Wenn wir sie versprechen, sorgen wir für große Enttäuschung auf allen Seiten.“
(loh, ta, ts)

 

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