Politik

Theater dürfen nur einen Bruchteil ihrer Plätze belegen – in Zügen und Flugzeugen aber wird längst wieder auf Volllast gefahren. (Foto: dpa/Britta Pedersen)

25.09.2020

Ist Bayern noch ein Kulturstaat?

Für Musik, Kunst und Theater gelten mit die strengsten Corona-Auflagen – mit ernsten Folgen

Es sieht nicht gut aus. Die Stimmung ist im Keller. Die Corona-Maßnahmen in Bayern, die diese Woche auch noch verschärft wurden, zeigen bereits gravierende Auswirkungen für das Kulturleben im Freistaat. Manche Orchester haben deswegen bereits ihre „Hauskonzerte“ vorerst ganz abgeblasen. Wie es zudem mit dem „Pilotprojekt 500“ der bayerischen Staatsregierung und der Landeshauptstadt München weitergeht, steht ebenfalls in den Sternen.

Bei dieser Initiative sind statt maximal 200 bis zu 500 Besucher*innen in ausgewählten Konzerthäusern, Theatern und Opernhäusern erlaubt. Der Startschuss fiel Anfang September, zum Monatsende läuft das Projekt aus. Aber selbst diese Obergrenze ist ein Witz, denn: Andernorts sind längst bis zu 1000 Besucherinnen und Besucher zugelassen, so bei den Salzburger Festspielen oder dem Lucerne Festival in der Schweiz.

Beide Städte sind bislang keine „Risikogebiete“. Dasselbe gilt für Köln. Dort sind in der Philharmonie seit dem Sommer ebenfalls bis zu 1000 Besucher*innen zugelassen. Noch dazu gilt in der Schweiz eine flexible 70-Prozent-Regel, wonach jeder dritte Platz frei bleiben muss. Die pauschalen, vergleichsweise äußerst strengen Bestimmungen in Bayern treiben den Kulturbetrieb zusehends in den totalen Zusammenbruch. So lassen sich Abonnements gar nicht oder kaum noch realisieren. Manche Klangkörper und Theater verzichten sogar ganz auf sie. Selbst die Spielpläne der neuen Saison 2020/21 sind im Grunde reine Makulatur, weil eine echte Planung nicht möglich ist.

Chaos unterschiedlicher Bestimmungen

Das „Forum Musik Festivals“, ein Zusammenschluss von 100 Musikreihen in Deutschland, zieht jetzt eine ziemlich ernüchternde Halbjahresbilanz für die Kultur. Von „Chaos unterschiedlicher Bestimmungen“ ist da die Rede. Eine zentrale Forderung ist die Gleichbehandlung von Kultur mit Sport, Religionsgemeinschaften und Wirtschaft. „Während in Zügen und Flugzeugen längst wieder Volllast gefahren wird und Kontaktsportarten erlaubt sind, dürfen je nach Bundesland Kulturveranstaltungen nur zehn bis 50 Prozent ihrer Plätze füllen. Für musikalische Ensembles gelten zum Teil groteske Sicherheitsabstände.“

Andreas Beck, Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels, sieht das genauso. „Unsere Belüftungssysteme sind besser als die in den Bahnen und Bussen. Warum hat die Kunst die härtesten Auflagen?“, fragt Beck in der Abendzeitung.

Und tatsächlich: Wer in Corona-Zeiten bereits geflogen ist, weiß, dass nicht nur die Abstände zwischen den Sitzen alles andere als coronakonform sind. Selbst auf Kurzstrecken-Flügen werden überdies Essen und Getränke angeboten. Und nach der Verköstigung werden die Masken übrigens nur selten wieder aufgesetzt – niemand kontrolliert das.

Im Kulturbetrieb wäre das undenkbar. Keine Pausen und keine Verköstigung: Hier gilt ganz überwiegend diese Regel. Und während mancherorts die Bordelle wieder öffnen dürfen, bleibt großer Chorgesang weiterhin tabu: wegen der Aerosole.

Umso mutiger war man zuletzt bei „Bayreuth Baroque“. Für die Eröffnung des neu gegründeten Festivals wurde Anfang September im Markgräflichen Opernhaus eine Barock-Oper gegeben: ein Fünf-Stunden-Abend mit zwei Pausen samt Getränken. Auf die Sicherheit wurde vorbildlich geachtet. Es geht also doch, wenn man die Kunst und Kultur nur lässt.

Aber: „Einzelne Politiker*innen scheinen sogar zugunsten der eigenen Profilierung unsere gesamte Branche aufs Spiel zu setzen und verkennen dabei völlig den wirtschaftlichen Faktor der Kultur.“ Auch das moniert das Forum Musik Festivals. In Bayern scheint diese Profilierungssucht besonders ausgeprägt. Es steht viel auf dem Spiel, nämlich der Kulturstaat Bayern.
(Marco Frei)

Kommentare (1)

  1. Schlawiner99 am 25.09.2020
    Wie recht Sie haben! Vieles was jetzt kulturell kaputt geht (oder gemacht wird), geht unrettbar und wohl dauerhaft verloren. Kulturelle Ödnis droht. Klar, die Staatstheater werden wohl erhalten bleiben, aber die vielen (auch kritischen und avantgardistischen) Kleinkunstbühnen kaum. So viel zu den vergangenen Bekenntnissen der Staatsregierung zur Kultur in Bayern. Ein größere Krise genügt und man lässt die Kultur fallen. Aber Milliarden der Autoindustrie zuschaufeln (Wunsch, noch).
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