Der Fall hat für Aufsehen gesorgt: Ein Vater aus Berlin klagte vor Gericht gegen die Verwendung von genderneutraler Sprache an der Schule seines Kindes, weil er dessen Indoktrination fürchtet. Das Berliner Verwaltungsgericht wies seinen Eilantrag zurück. Es war der bundesweit erste Fall. Doch auch in bayerischen Bildungseinrichtungen ist das Thema Gendern und Geschlechtsidentität längst angekommen.
Seit Ende 2018 gibt es in Deutschland offiziell ein drittes Geschlecht. Im Geburtenregister kann man seitdem neben männlich und weiblich auch divers eintragen. Unter divers versteht man unter anderem transsexuelle Menschen, deren Geschlechtsidentität das Gegenteil ihres bei der Geburt zugewiesenen Geschlechts ist. Und intersexuelle Menschen, die körperliche Merkmale haben, die nicht alle eindeutig männlich oder weiblich sind.
Diese gesetzlich verankerte Vielfalt schlägt sich auch in der Sprache nieder. Immer mehr Behörden, Medien und Unternehmen verwenden genderneutrale Sprache, auch die Bayerische Staatszeitung. Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat sich 2021 mit dem Gendersternchen beschäftigt. Er kam zu dem Schluss, die Aufnahme in das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung „zu diesem Zeitpunkt nicht zu empfehlen“.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) griff das Thema kurz vor der Bundestagswahl auf. Er nahm den Hochschulbetrieb in den Fokus. „Es kann nicht sein, dass Studenten möglicherweise eine schlechtere Bewertung bekommen, nur weil sie keine Gendersternchen verwenden“, sagte er im September 2021. Söder wies den damaligen Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) an, sich sofort über die Lage an den bayerischen Hochschulen zu informieren. Heraus kam: Ja, es gibt zum Teil Leitfäden. Und: Nein, es ist kein Fall einer schlechteren Bewertung bekannt, wenn sich jemand nicht an diese Empfehlungen gehalten hat.
Genderdebatten an Grundschulen? Das wollen auch die Grünen nicht
An den Schulen geht es nicht nur um die Verwendung von Gendersternchen und um eine mögliche Benachteiligung in der Benotung. Es geht auch darum: Was wird den Kindern und Jugendlichen dort wie beigebracht? Der Vater aus Berlin hatte auch deswegen geklagt, weil er das Gefühl hatte, an der Schule seines Kindes werde den Pubertierenden vermittelt, ihr Geschlecht sei beliebig und frei wählbar. Das Berliner Verwaltungsgericht sah dafür allerdings keine Belege.
Ende 2016 traten im Freistaat die veränderten Richtlinien für die Familien- und Sexualerziehung in den bayerischen Schulen in Kraft. Erstmals tauchten darin Begriffe wie Trans- und Intersexualität auf, deren Bedeutung „vorurteilsfrei“ vermittelt werden soll. Anders als etwa in den hessischen Richtlinien ist allerdings nirgendwo von der „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ die Rede. Außerdem ist klar geregelt, in welcher Jahrgangsstufe die verschiedenen Themen behandelt werden sollen. Die Grundschulen sollen von komplexen Reflexionen über Geschlechterrollen und Geschlechtsidentität verschont bleiben. Das ist erst in späteren Jahrgangsstufen vorgesehen. „Ziel ist es, dass die Schülerinnen und Schüler die Vielfalt der unter dem Geschlechtsbegriff subsumierten Aspekte wie biologisches Geschlecht, selbst empfundene Geschlechtsidentität und Rollenverständnis aufschlüsseln können“, erklärt ein Sprecher des Kultusministeriums.
Beim Thema genderneutrale Sprache verweist der Sprecher auf die Empfehlungen des Rechtschreib-Rates. Wohl wissend, dass im Alltag schon häufig gegendert wird. Und im Duden findet sich irgendwann das wieder, was die Mehrheit der Bevölkerung praktiziert. Der Ministeriumssprecher empfiehlt den Lehrkräften, dieses „Spannungsfeld zwischen aktueller Sprachnorm und divergierenden Schreibwirklichkeiten im Unterrichtsgespräch aufzugreifen“.
Bei der nächsten Landesdelegiertenversammlung des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) werden sich mehrere Anträge mit dem Thema Gendern beschäftigen. Wie verständigt man sich an den Schulen, mit den Schüler*innen, im Elternbeirat? „Das ist Thema in allen Lehrerzimmern“, sagt Simone Fleischmann, die BLLV-Präsidentin. Sie plädiert dafür, dass die Schulen selbst bestimmen, wie sie sich damit auseinandersetzen. „Wegschieben kann das keiner“, sagt Fleischmann.
Beim Bayerischen Elternverband hat sich bislang niemand kritisch gemeldet. Eine offizielle Position des Verbands gibt es nicht. „Aber es ist schwer, etwas dagegen einzuwenden“, sagt Henrike Paede, die stellvertretende Landesvorsitzende. „Die Sensibilität steigt in der Gesellschaft.“ Den Fall des klagenden Vaters sollte man aus ihrer Sicht an Schulen als Einstieg in die Diskussion nutzen. An Grundschulen rät sie zur Zurückhaltung bei Gendersternchen und Geschlechtsidentitäten. „Die Kleinen blicken da noch nicht durch.“
Das denkt auch Florian Siekmann, der queerpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag. In der Grundschule könne man aber etwa Kinderbücher lesen, in denen auch Familien vorkommen, die divers sind. An weiterführenden Schulen würde er sich Projekte wünschen, bei denen Menschen aus der diversen Community Schulklassen besuchen. „Sichtbarkeit führt zu Akzeptanz“, sagt er.
Und der Berliner Vater? Ist auch nach dem Urteil des Gerichts nicht überzeugt. Er erklärte, er werde sich nun mit seiner Anwältin beraten – und mit dem Verein Deutsche Sprache. Dieser hatte die Klage nämlich finanziert. Vielleicht sieht man sich wieder, vor dem Oberverwaltungsgericht. (Thorsten Stark)
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