Politik

Da waren die Fronten noch klar: Franz Josef Strauß und sein Lieblingsfeind Rudolf Augstein im Jahr 1977. (Foto: dpa)

05.05.2017

Konservativ: Was ist das?

Ein CSUler, ein Spiegel-Redakteur und ein Politikwissenschaftler versuchen die Klärung eines schwierigen Begriffs

Vielleicht hätten die Bälle nicht unbedingt grün bemalt sein müssen – ist ja nicht die allererste Farbe, die man mit dem Begriff „konservativ“ assoziiert. Jedenfalls wirkten die meisten Besucher etwas irritiert, als sie am Eingang des Veranstaltungsraums im Münchner Gasteig aufgefordert wurden, besagte Bälle entweder in eine Schale mit der Aufschrift „konservativ“ oder „nicht konservativ“ zu werfen. Viele gingen einfach weiter.

Der Moderator des Abends, der ZDF-Journalist Wolf-Christian Ulrich, verkündete später das Ergebnis: 66 Prozent bezeichneten sich selbst als konservativ, 34 Prozent verorteten sich politisch anders. Doch die kleine Spielerei des Veranstalters, der privaten Nemetschek-Stiftung, zeigte noch etwas anderes: Es gibt womöglich deutlich mehr konservativ denkende Menschen, als die Union an Stimmen holen kann. „Konservative zwischen den Stühlen? Was Konservatismus heute ist und welche Parteien dafür stehen“ – so lautete der Titel der Veranstaltung, zu deren Diskutanten Münchens Zweiter Bürgermeister Josef Schmid (CSU) zählten, außerdem der Spiegel-Autor Jan Fleischhauer und Oskar Niedermayer, Politik-Professor an der Freien Universität Berlin.

Für den Wissenschaftler bedeutet konservativ – und damit war er gleich beim Streithema Zuwanderung, dass ein Staat die öffentliche Ordnung aufrechterhalten müsse. Dazu gehöre zwingend auch, zu kontrollieren, wer die Grenzen überschreitet und wer nicht. Darüber hinaus seien Konservative zwar stolz auf die eigene Nation, verbänden dies aber nicht mit einer Abwertung anderer Völker. „Das ist der entscheidende Unterschied etwa zu Leuten wie dem Thüringer AfD-Chef Björn Höcke“, unterstrich Niedermayer.

Jan Fleischhauer, nach eigenem Bekunden groß geworden in einem Elternhaus, „wo die SPD das Licht und CDU/CSU das Dunkel symbolisiert“, hatte sein Coming-out als Konservativer in der Redaktion des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, „als ich über den 100. Helmut-Kohl-Witz nicht mehr lachen konnte“. In seiner Redaktion sei er damit bis heute ein Solitär: Gegen die Konservativen und politisch links zu sein, so Jan Fleischhauer, das gehöre in den überregionalen Medien quasi zum guten Ton und beruflichen Selbstverständnis von Journalisten.

Ein CSUler verteidigt die Schwulenehe

Josef Schmid, betont leger mit knallig buntem Halstuch, fühlte sich sichtlich wohl in der Rolle des Linken unter den Schwarzen. Konservativ sein, dozierte er, bedeute etwa in Fragen der Kindeserziehung, Verantwortung zu übernehmen. Wenn das zwei Männer oder zwei Frauen gut hinbekämen – warum nicht? Daneben machte er klar, dass die „Hausfrauenehe“ nicht das von ihm favorisierte Modell einer Partnerschaft sei. Und fragte, was denn die Heteros verlieren würden, wenn auch Homosexuelle heiraten dürften.

An dieser Stelle werden sich der einstige Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein und der frühere bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß auf ihrer Wolke verwundert die Augen gerieben haben: Ein Spiegel-Vertreter verteidigt vor einem CSUler das Konservative! Die Menschen, kritisierte Fleischhauer, mögen es nicht, wenn man ihnen permanent im Nacken sitzt, um ihnen zu erklären, dass sie nicht progressiv und tolerant genug seien. Vor lauter Engagement für die diversen Minderheiten dürfe die Politik die gesellschaftliche Mehrheit nicht vergessen.

Auch Politologe Niedermayer mahnte, die gesellschaftliche Wirklichkeit von München nicht mit dem übrigen Deutschland oder auch nur mit dem Rest von Bayern zu verwechseln: Auf dem Land würden die meisten Ehen eben nicht geschieden, und der Großteil der Kinder wachse bei miteinander verheirateten Müttern und Vätern und nicht bei Alleinerziehenden, gleichgeschlechtlichen Paaren oder in Patchwork-Strukturen auf. Und auch verschleierte Frauen oder solche mit Kopftuch gehörten in Dörfern und Kleinstädten nicht zum Alltag.

Natürlich durfte bei einer Debatte zum Konservatismus das Thema AfD nicht fehlen. Während Josef Schmid dazu die üblichen Statements runterbetete, die auch von Claudia Roth oder Martin Schulz hätten stammen können – „reiten auf populistischer Welle, bieten keine Lösungen an“ – , mahnte der Professor mehr begriffliche Präzision an: Den Begriff Rechtspopulismus etwa benutze kaum ein Politologe, eben weil er völlig unwissenschaftlich sei, sondern ein „Kampfbegriff der politischen Gegner“. Akzeptabel sei am ehesten noch „rechtsextrem“, was man aber nur anwenden könne, wenn eine Partei aktiv die Verfassung bekämpfe.

Für Jan Fleischhauer ist die AfD dagegen „keine konservative, sondern eine revolutionäre Partei“. Er sieht viele Parallelen zu den frühen Grünen: etwa den Kampf zwischen Fundis und Realos („Alexander Gauland gegen Frauke Petry – das ist wie einst Jutta Ditfurth gegen Joschka Fischer“) oder die Ablehnung der etablierten Parteien und Medien sowie das Lesen angeblich kritischerer Zeitungen („was den Grünen ihre taz, ist der AfD die Junge Freiheit, und die Systempresse der 68er wurde zur Lügenpresse“). Und mit einer bekennenden Lesbe als Spitzenkandidatin sei die AfD etwa in Sexualfragen gewiss nicht reaktionär oder intolerant.

In der gut eineinhalbstündigen Veranstaltung ging es stark um sozio-kulturelle Aspekte. Andere Streitthemen zwischen Linken und Rechten dagegen wie beispielsweise der Atomausstieg oder die Abschaffung der Wehrpflicht wurden nur gestreift. Gar nicht zur Sprache kam das weite Feld der Wirtschaftspolitik: Inwieweit die auch von der CSU mitgetragene Frauenquote, der gesetzliche Mindestlohn oder die schleichende Enteignung der deutschen Sparer durch die Niedrigzinspolitik der EZB noch Ausdruck konservativer Politik sein sollen, wäre schon auch diskussionswürdig gewesen.  (André Paul)

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