Politik

Am Münchner Hauptbahnhof hatten zuletzt vier von fünf Tatverdächtigen einen ausländischen Pass. (Foto: dpa/Sven Hoppe)

31.10.2024

Kriminalität an Hauptbahnhöfen: Woran liegt’s?

Der BSZ vorliegende Zahlen zeigen, dass der Anstieg der Kriminalität an bayerischen Hauptbahnhöfen zum Teil auch auf als Flüchtlinge nach Deutschland gekommene Migrant*innen zurückgeht. Andere Faktoren spielen für den Negativtrend ebenfalls eine Rolle. Eine neue Kampagne des Innenministeriums soll die großen Stationen sicherer machen

Es sind alarmierende Zahlen, die eine Anfrage der Staatszeitung bei der Bundespolizei jüngst ans Licht brachte. Demnach hat die Kriminalität an den Hauptbahnhöfen in bayerischen Großstädten in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Verzeichnete die Bundespolizei 2019 am Münchner Hauptbahnhof noch 1610 Straftaten, waren es im vergangenen Jahr mit 3540 mehr als doppelt so viele. Die Zahl der angezeigten Gewaltdelikte zog in nur vier Jahren von 361 auf 568 an, die der Sexualstraftaten verdoppelte sich im gleichen Zeitraum sogar von 15 auf 29. Das ergab eine weitere BSZ-Anfrage.

In Augsburg verzeichnete die Bundespolizei in nur vier Jahren ein Plus von 38 Prozent an Straftaten, in Nürnberg betrug der Zuwachs ein Drittel. Am Regensburger Hauptbahnhof legte die Zahl der Straftaten von 2019 bis 2023 um 165 Prozent auf 1175 zu. Die angezeigten Widerstandshandlungen gegen die Staatsgewalt verdoppelten sich im gleichen Zeitraum, ebenso die Zahl der Gewaltdelikte. Auch zählten die Ermittler 2023 doppelt so viele Drogendelikte wie noch 2019. Die Zahl der Eigentumsdelikte schoss am Regensburger Hauptbahnhof von 250 auf 658 in die Höhe.

Längst ist eine Diskussion über die Ursachen des Kriminalitätsanstiegs entbrannt. Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), gab sich im BSZ-Gespräch zuletzt überzeugt, dass das Plus an Straftaten „im Wesentlichen auf Zuwanderer zurückgeht“.

Hotspot Regensburg

Doch stimmt das wirklich? Die Staatszeitung fragte bei den Bundespolizeibehörden die Anteile von Migrant*innen an den Tatverdächtigen an den jeweiligen Bahnhöfen ab. Und tatsächlich ist der Anteil von Menschen mit ausländischen Pässen an den Tatverdächtigen auffällig hoch – an einem Teil der Bahnhöfe stechen auch die Anteile von Menschen aus bestimmten Hauptfluchtländern hervor. Allerdings ist es abgesehen von Regensburg an den vier großen Bahnhöfen keineswegs so, dass der Kriminalitätsanstieg nur auf Migrant*innen oder gar größtenteils auf Flüchtlinge zurückgeht.

In Regensburg dagegen ist die Kausalität auf den ersten Blick offensichtlich. 2019 war dort mit 127 von 344 etwas mehr als jeder dritte von der Polizei ermittelte Tatverdächtige eine Person mit ausländischem Pass. Im vergangenem Jahr lag der Ausländeranteil mit 584 von 893 bei fast zwei Dritteln. 220 von 893 ermittelte Tatverdächtige waren Tunesier. Das ist jeder vierte Verdächtige – vier Jahre zuvor war es nur jeder Hundertste. Der Anteil der Syrer stieg von 3 auf 8 Prozent. Der Großteil des Anstiegs bei den Tunesiern ging auf Eigentumsdelikte zurück. Doch auch elf angezeigte Gewaltstraftaten und damit gut jedes zehnte Gewaltdelikt wurde von einem Tunesier verübt. Syrer und Afghanen spielen bei der Gewaltkriminalität mit einem Anteil von jeweils 3 Prozent an den Tatverdächtigen keine große Rolle.

In Nürnberg, wo sich die Zahl der Drogendelikte verdoppelt hat, sank der Ausländeranteil an allen Tatverdächtigen von 2019 bis 2023 von 53 auf 48 Prozent. Die Zahl der syrischen Tatverdächtigen stieg allerdings von 40 auf 113, die der mutmaßlichen Gewalttäter mit syrischem Pass verdoppelte sich von 13 auf 25. Jeder zwanzigste Gewalttäter war demnach im vergangenen Jahr ein Syrer. Afghanen und Tunesier fallen am Nürnberger Bahnhof bei Gewalttaten mit einem Anteil an den Tatverdächtigen von jeweils 1 Prozent kaum auf.

In Augsburg stieg zwar der Anteil von Verdächtigen mit ausländischem Pass von 37 Prozent im Jahr 2019 auf 51 Prozent im Jahr 2023. Der Anteil der Syrer, Afghanen und Tunesier unter allen ermittelten Tatverdächtigen liegt bei 12 Prozent, der unter den wegen einer Gewalttat Beschuldigten jedoch nur bei 3 Prozent.

„Straftat ist und bleibt Straftat"

Im Münchner Hauptbahnhof hatten im vergangenen Jahr mit 78 Prozent fast vier von fünf ermittelten Tatverdächtigen einen ausländischen Pass – 2019 waren es noch 68 Prozent gewesen. Anders als bei den drei anderen untersuchten Zentralstationen geht der Großteil des Straftatenzuwachses am Münchner Bahnhof auf Verstöße gegen ausländerrechtliche Delikte zurück. Gut jeder fünfte Tatverdächtige 2023 hatte dort die afghanische, tunesische oder syrische Staatsbürgerschaft. Doch auch die Zahl der einer Gewaltstraftat verdächtigten Personen aus einem dieser drei Länder stieg von 2019 bis 2023: von 13 auf 28.

Klar ist: Der Ausländeranteil unter Straftätern, die an Bahnhöfen erwischt werden, ist schon immer relativ hoch. Auch verweist der renommierte Kriminologe Christian Pfeiffer darauf, dass „Fremde weit häufiger bei der Polizei angezeigt werden als Einheimische“. Allerdings: Nicht nur das Plus bei Sexual- und Gewaltstraftaten am Münchner Hauptbahnhof ist immens. Auch die Zahl der Sachbeschädigungen stieg dort merklich an, die der Eigentumsdelikte hat sich sogar verdoppelt. Für die meisten Opfer einer Straftat ist es dabei wohl zweitrangig, woher der Täter kommt.

Polizeigewerkschafter Wendt sagt: „Straftat ist und bleibt Straftat – auch, wenn sie das Ausländerrecht betrifft.“ Wer nach Deutschland komme, müsse sich gesetzestreu verhalten. Er fordert mehr Beamte, eine modernere Videoüberwachung und mehr Abschiebungen von kriminellen Migrant*innen.

Freistaat will mit mehr Polizei und Videoübewachung gegensteuern

Die Staatsregierung will den Kriminalitätsanstieg ebenfalls nicht hinnehmen. Ab Anfang 2025 soll eine neue Kampagne der Polizei die Bahnhöfe in München, Nürnberg, Augsburg und Regensburg sicherer machen. „Die vielfältige Kriminalität vor allem in großen Hauptbahnhöfen und in deren Umgebung muss noch konsequenter bekämpft werden“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) diese Woche. Für die Offensive „sichere Bahnhöfe in Bayern“ soll eng mit der Bundespolizei, die für alle Anlagen der Deutschen Bahn zuständig ist, und den betroffenen vier Städten zusammengearbeitet werden. Bei Bedarf soll die Kampagne auf weitere Bahnhöfe erweitert werden.

„Je nach Schwerpunkt der Probleme wird es um verstärkte Präsenz von Bayerischer Polizei und Bundespolizei, um den weiteren Ausbau der Videoüberwachung, um einen intensiveren Austausch mit den Ausländerbehörden und Jugendämtern sowie um eine engere Kooperation mit der Deutschen Bahn und den Nahverkehrsunternehmen gehen“, kündigte Herrmann an.

Freie Wähler fordern auch verstärkte Integrationsmaßnahmen

Auch Wolfgang Hauber, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FreieWähler-Landtagsfraktion, betont: „Angesichts dieses unerfreulichen Kriminalitätstrends werden wir nicht umhinkommen, an bayerischen Bahnhöfen sowohl Polizeipräsenz als auch Videoüberwachung zu erhöhen.“

Nur so könnten Täter rasch identifiziert und einer Strafverfolgung zugeführt werden. „Eine gelungene Integration ist entscheidend, um Menschen vor einem Abdriften in die Straffälligkeit abzuhalten“, sagt er der BSZ. Er wünscht sich auch ausreichend Sozialarbeiter und eine schnellere Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt.

AfD: "Vollständiger Stopp der illegalen Migration"

Anders sieht es die AfD-Landtagsfraktion. Deren innenpolitischen Sprecher Richard Graupner erklärt: „Die einzig effektive Strategie der Bekämpfung von Gewaltkriminalität liegt in einem sofortigen und vollständigen Stopp der illegalen Migration sowie in einer konsequenten Remigration aller ausreisepflichtigen und straffällig gewordenen Migranten.“

Die Grünen-Landtagsfraktion ließ eine BSZ-Anfrage unbeantwortet. Christiane Feichtmeier, Innenexpertin der SPD-Landtagsfraktion, forderte den Freistaat zuletzt in der BSZ auf, mehr Polizist*innen auszubilden. „Bis diese einsatzfähig sind, sollte unser Ziel sein, das vorhandene Personal in der Arbeit am Schreibtisch zu entlasten.“ Sie wünscht sich mehr Prävention, etwa den Einsatz von Streetworkern.

So oder so: Der Staat muss handeln, damit Bahnfahren künftig wieder sicherer wird. (Tobias Lill)
 

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