Politik

In den letzten drei Jahrzehnten hat sich der Anteil inhaftierter Älterer verdreifacht. (Foto: dpa/Jan Woitas)

22.04.2022

Kriminelle Alte werden mehr

Menschen werden immer älter, somit steigt auch der Anteil straffälliger Senior*innen – die Justiz bereitet sich darauf vor

Eine Rentnerbande überfällt mehrere Banken, eine andere entführt einen Finanzberater. Ein über Achtzigjähriger tötet seine Frau, weil sie ständig umziehen will. Und immer wieder begehen alte Menschen Diebstähle oder setzen sich betrunken ans Steuer.

Von Alterskriminalität ist in den Medien immer mal wieder zu hören. Aber ist sie auch, wie manche Schlagzeilen nahelegen, ein Trend? Den aktuellen Zahlen nach ist dies nicht der Fall. Im Vergleich zu 2018 ist 2021 die Delinquenz in allen Altersgruppen gesunken – auch unter den Älteren. Ohnehin stellten 2019 Senioren und Seniorinnen zwar 28,2 Prozent der deutschen Bevölkerung, aber nur 7,7 Prozent aller Tatverdächtigen.

Die Zahl der älteren Gefangenen und Sicherheitsverwahrten in Bayern ist, so eine Sprecherin des Innenministeriums, noch immer vergleichsweise gering. 468 von 9584 Gefängnisinsassen waren am Stichtag 2021 60 Jahre alt und älter. Über 70 Jahre alt waren 114.

Ein anderes Bild entsteht allerdings, wenn man deutschlandweit über dreißig Jahre zurückblickt: In dieser Zeit hat sich der Anteil inhaftierter Älterer verdreifacht. Das bayerische Innenministerium rechnet auch in den kommenden Jahren mit einem Anstieg der Zahlen. Der Grund: der demografische Wandel. Man sollte also vorbereitet sein. Allerdings fehlen, wie Stefan Pohlmann, Professor für Gerontologie an der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften der Hochschule München, beklagt, die nötigen Daten. Der Gerontologe macht „massive blinde Flecken“ aus, die es erschweren, nachhaltig wirksame Maßnahmen gegen Alterskriminalität zu entwickeln.

Die Studien des Forscherteams um Pohlmann, die jetzt in einem Sammelband vorliegen, zeigen: Im Jahr 2019 waren deutschlandweit rund 155 000 Tatverdächtige 60 Jahre oder älter, begangen wurden vor allem Diebstahldelikte, gefolgt von Beleidigungen, leichten Körperverletzungen und Betrug. Zu schweren Gewaltverbrechen kommt es nur äußerst selten. Überrepräsentiert sind Ältere bei Straftaten gegen die Umwelt, bei fahrlässiger Körperverletzung und bei Brandstiftung – was schlicht damit zu tun haben könnte, dass ältere Menschen häufiger Laub verbrennen und dabei Nachbars Gartenhäuschen abfackeln.

Die Haftanstalten bereiten sich schon auf die Alten vor

Warum aber werden Alte kriminell? Zur Rechtfertigung ihrer Taten nennen die Betroffenen Langeweile und die Sehnsucht nach Spannung, Ablenkung und Nervenkitzel. Auch existenzielle Not und Angst vor sozialem Abstieg werden angeführt. Kognitive Veränderungen, psychische Störungen, der Wunsch nach Rache und Selbstjustiz lagen manchen Taten zugrunde. Einigen Älteren war nicht klar, dass sie rechtswidrig handelten, wenige andere wollten lieber im Knast als in Freiheit leben.

Wie bei den Jüngeren begünstigte ein kriminelles Umfeld die Straftaten. Das Fazit der Forschenden: „Was genau Straftäter im Alter antreibt, ist höchst individuell.“ Entsprechend differenziert müssten Präventionsmaßnahmen sein. Hier allerdings fehlen wissenschaftlich evaluierte Konzepte, wie Pohlmann bemängelt.

Unklar ist auch, wie Senior*innen, die jahrelang in Haft gesessen haben, resozialisiert werden können. Wiedereingliederungsmaßnahmen ins Berufsleben fallen im Rentenalter flach. Eigenständig leben, der Einsamkeit entkommen, Sinn finden: All das ist für ältere Menschen generell nicht einfach.

Für Ex-Häftlinge dürfte es noch erheblich schwieriger sein. Vor besonderen Anforderungen stehen die Vollzugsanstalten. Umbauten können nötig sein, um Barrierefreiheit zu garantieren. Das Personal muss im Umgang mit fortschreitender Krankheit und Gebrechlichkeit geschult werden.

Und letztlich ist nicht nur Demenz, sondern auch das Sterben eine große Herausforderung der JVAs: Zwar wird häufig, wenn der Tod naht, eine Haftunterbrechung angeordnet, damit in Freiheit gestorben werden kann, wie Frank Arloth vom bayerischen Justizministerium in seinem Beitrag zu Pohlmanns Buch erklärt. Wo dies nicht gelingt, sind palliative Maßnahmen entscheidend, um ein schmerz- und angstfreies Sterben in Würde zu ermöglichen. Ein weiteres Problem: „Der Bedarf für eine geschützte Unterbringung von vulnerablen lebensälteren Inhaftierten ist deutlich gewachsen“, so Arloth. Offenbar ist das Klima in den JVAs rauer geworden. Arloth macht dafür auch die Sprach- und Integrationsschwierigkeiten der Inhaftierten mit Migrationshintergrund verantwortlich. Bisher setzte man in den JVAs auf Mischvollzug.

Neue Konzepte sehen nun auch in Bayern vor, Senioren gemeinsam und separat unterzubringen. In der JVA Würzburg besteht bereits eine eigene Abteilung mit elf Plätzen für Gefangene ab 60 Jahren und Inhaftierte mit körperlichen Einschränkungen. Auch die JVA in Marktredwitz, die 2024 fertiggestellt werden soll, wird 24 Plätze für ältere Gefangene einrichten – eine ganze Abteilung für Inhaftierte, die aus psychischen oder physischen Gründen im Normalvollzug überfordert wären.

Welcher Ansatz der bessere ist, ist noch unerforscht. „Für eine Mischform spricht vor allem die Vermeidung einer gewissen Gettoisierung lebensälterer Inhaftierter“, schreibt Klaus Laubenthal vom Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Würzburg im Buch. Die getrennte Unterbringung sei aber auch ein Schutz. Denn in der Hackordnung der Subkulturen gewinnt an Status, wer seine Gewaltbereitschaft demonstriert. Schwächere Mitgefangene sind hier die idealen Opfer. Und schwächer ist nun mal meist der ältere Mensch – auch dann, wenn er kriminell geworden ist.
(Monika Goetsch)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll die tägliche Höchstarbeitszeit flexibilisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.