Vizeministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) tourt zurzeit ständig durch den Wahlkreis Rottal-Inn. Dort, in der einstigen CSU-Hochburg, tritt er als Direktkandidat an. Söder verliert bei seinem jetzigen Besuch dort kein Wort über den FW-Mann. Jedenfalls nicht direkt.
Winterwahlkampf. Für die CSU und ihren Vorsitzenden ein Horror. Kein Volksfest, kein Bierzelt weit und breit, das man mit Aufregern wie „Zwangsveganisierung“ oder mit Gender-Witzen rocken könnte. Stattdessen nur Neujahrsempfänge. Klingt schon so steif nach Abendrobe, Pflichthändeschütteln und Small Talk. Aber CSU-Chef Markus Söder wäre nicht er selbst, würde er daraus nicht das Beste machen. Also poltert und brüllt er nicht gegen das Grundrauschen eines Bierzelts an, sondern tänzelt als eine Mischung aus Landesvater, Parteipolitiker und Stand-up-Comedian über die Neujahrsempfangsbühnen diverser CSU-Kreis- und Ortsverbände.
Auf den Bayerischen Defiliermarsch zur Begrüßung muss Söder auch da nicht verzichten. Im niederbayerischen Bad Birnbach legen sich die „Herrgottsbläser Tann“ ins Zeug. Das Atrium ist rappelvoll, die Gäste stehen selbst in Seitengängen und Nebenräumen, in die die Veranstaltung auf Bildschirmen übertragen wird.
Linke und Grüne haben das Land ruiniert, sagt Söder
Standing Ovations und rhythmisches Klatschen, als Söder einzieht. „Es war angemessen, vielen Dank“, wird er sich später am Rednerpult verschmitzt lächelnd für den begeisterten Empfang bedanken. Keine zehn Sekunden auf dem Podium, schon die ersten Lacher eingeheimst. Läuft.
Söder spult sein Programm souverän ab. Am Anfang wie überall ein paar neckische Witze auf Kosten der örtlichen CSU-Prominenz („Der Herr Landrat steht gut im Futter!“), ein Loblied auf den ländlichen Raum („In jedem bayerischen Dorf steckt mehr Verstand als im gesamten Berliner Regierungsviertel!“) und Zoten über den „Bürokratiewahn“, der in Genehmigungsverfahren „eine Art Sexreport über die Haselmaus“ fordere. Es braucht nicht viel, um den Saal in Stimmung zu versetzen. Selbst die politischen Botschaften kommen eher locker daher.
Hier im Rottal tritt ja auch ein gewisser Hubert Aiwanger als Direktkandidat an, obwohl der Freie-Wähler-Chef eigentlich gut 100 Kilometer westlich am Rand der Holledau lebt. Also lobt Söder den örtlichen CSU-Kandidaten Günter Baumgartner, der tief in seiner Heimat verwurzelt sei und die Region kenne. „So einen braucht es in Berlin für das Rottal“, betont Söder. „Für mich gilt: Man darf nur Abgeordneter sein, wo man wohnt.“ Den Namen Aiwanger muss er gar nicht erwähnen, im Saal wissen alle, gegen wen die Spitze geht. Beifall, Bravo.
Frontal geht Söder dagegen die Grünen an, zur allgemeinen Begeisterung. Er zerlegt ihr „wokes“ Gesellschaftsbild, zeiht sie der wirtschaftspolitischen Inkompetenz und arbeitet sich an Frontmann Robert Habeck ab. Beifälliges Nicken im Auditorium, „Jawohl“-Rufe. Grünen-Bashing ist hier auf dem Land wie ein wärmendes Lagerfeuer. Dabei verwundert es eigentlich, dass Söder den Grünen hier so viel Redezeit widmet. Konkurrenz für die CSU sind sie im Rottal nicht. Aber sie sind die perfekte Projektionsfläche, um subtil den eigentlichen Gegnern das Wasser abzugraben.
"All-in! Erst- und Zweitstimme für die CSU!“
Bei der Landtagswahl 2023 war die CSU im Rottal nur zweiter Sieger hinter den Freien Wählern, die AfD rückte auf Rang drei bedenklich nahe. Mit seinem auch in Bad Birnbach umjubelten Stehsatz, „Schwarz-Grün wird es mit mir nicht geben“, will Söder sicherstellen, dass niemand auf die Idee kommt, Freie Wähler oder AfD zu wählen, um die Grünen in der nächsten Bundesregierung sicher zu verhindern. Wer den Wink mit dem Zaunpfahl nicht versteht, bekommt es deutlich eingetrichtert: „All-in! Erst- und Zweitstimme für die CSU!“ Über die AfD verliert Söder an diesem Abend kein Wort, nicht einmal, als er mit Blick auf Wahlkampfzeiten und wenige Tage nach dem Messerattentat von Aschaffenburg recht sachlich das Thema Migration beleuchtet und sein restriktives Verständnis von „Humanität und Ordnung“ durchdekliniert.
Knapp zwei Wochen und eine mithilfe der AfD gewonnene Bundestagsabstimmung zur Migration später ist das anders. Kleiner Parteitag in Nürnberg, Start in die Schlussphase des Wahlkampfs. Endlich darf auch mal der eigentliche CSU-Spitzenkandidat Alexander Dobrindt auf die große Bühne. Er gibt den Einpeitscher für Söder. „Die Menschen wollen den Politikwechsel in Deutschland“, röhrt er ins Mikrofon. Linke und Grüne hätten das Land in Unordnung gebracht. „Aber wir sind die politische Kraft, die wieder Ordnung schafft“ bei Migration, Wirtschaft und Sicherheit. „Mitte, Mehrheit, Merz“ alliteriert Dobrindt, bevor er sich der AfD und deren Putin-Nähe annimmt. „Das sind keine Patrioten, das sind Vaterlandsverräter“, wettert er. Dass man mit denen im Bundestag gemeinsame Sache gemacht habe, weist Dobrindt energisch zurück. Man könne doch die eigenen Positionen zur Migrationsbegrenzung nicht verleugnen, nur weil die Radikalen vom ganz rechten Rand diese teilten. „Wir haben nichts gemeinsam mit der AfD, wir sind das Bollwerk gegen die Rechtsradikalen“, dröhnt Dobrindt. Draußen vor der Halle demonstriert derweil eine gute Hundertschaft besorgter Menschen, die das nach der Abstimmung im Bundestag nicht glauben wollen.
Aber Dobrindt setzt den Ton, Söder legt nach. „Die AfD ist und bleibt der Systemgegner unserer freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie“, sagt er. Im launigen Rottaler Ambiente wäre so ein Satz womöglich verpufft, hier auf der bundesweit ausgeleuchteten Bühne schafft er es in die Abendnachrichten. Die AfD müsse bekämpft werden, man dürfe den Radikalen das Land nicht überlassen, ruft Söder. Nach dem Ausschließen von Schwarz-Grün gibt er vor diesem Hintergrund eine zweite „Garantie“: „Keine Zusammenarbeit mit der AfD – nein, nein, nein!“ Sein drittes Versprechen ist das eines kompletten Politikwechsels durch eine unionsgeführte Bundesregierung. „Wir meinen es ernst“, ruft er Zweiflern entgegen. Migrationswende, Wirtschaftswende: „Es gibt im Rahmen der Demokratie Alternativen für Deutschland, nämlich uns. Es braucht keine undemokratische Alternative für Deutschland.“ Der Rest ist Kuscheln mit Friedrich Merz. „Du kannst dich auf die CSU verlassen, wir wollen, dass du ein starker Bundeskanzler wirst“, sichert Söder dem Unionskandidaten zu, der neben ihm steht. Es klingt dieses Mal wie ein ehrliches Bekenntnis. (Jürgen Umlauft)
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