Politik

Das Thema Abtreibung sorgt bei einigen Menschen für emotionale Reaktionen. (Foto: Sebastian Gollnow)

02.02.2024

Lebensschutz nicht um jeden Preis

Ein Gesetzentwurf des Bundes will militanten Abtreibungsgegnern das Leben schwer machen – daran gibt es Kritik

Sie malen Slogans mit Kreide auf den Asphalt, legen Flyer und Plastikembryos im Treppenaufgang aus, sprechen Schwangere auf dem Gehweg an: Radikale selbst ernannte Lebensschützer*innen belagern auch in Bayern Beratungsstellen und Arztpraxen.

Einmal pro Monat, erzählt Thoralf Fricke von Pro Familia, ziehe eine Gruppe von „Selbstbestimmungsfeinden“ mit Madonnenbildern, Rosenkränzen und Schildern betend und singend durch München von Praxis zu Praxis. Begonnen und beendet werde die Tour vor einer Beratungsstelle von Pro Familia. Ähnliche Aktionen fänden in Regensburg statt.

Zweimal im Jahr werde außerdem in München und Passau vierzig Tage lang vor Beratungsstellen und Arztpraxen gebetet. Auf den Schildern und Roll-ups stünden Slogans wie „Abtreibung ist Mord“, „Nimm meine Hand und nicht mein Leben“, illustriert mit Bildern von Föten.

Auch die Bayerische Ärztekammer berichtet von wiederkehrenden Protestaktionen, in deren Verlauf Schwangere und Fachpersonal gezielt und gegen ihren Willen angesprochen oder „mit unwahren oder verstörenden Inhalten konfrontiert“ würden.

Für die betroffenen Frauen sind die Belästigungen eine Tortur. Ein Gesetzentwurf der Bundesfamilienministerin soll künftig Abhilfe schaffen. Wer Schwangere im Umkreis von hundert Metern rund um die Einrichtungen mit Worten und Plakaten bedrängt und einschüchtert, begeht dann eine Ordnungswidrigkeit, die mit bis zu 5000 Euro geahndet werden kann.

Die bayerische Familienministerin Ulrike Scharf (CSU) erklärt den Schutz schwangerer Frauen zwar zum obersten Ziel, kritisiert allerdings, die Regelungen seien zu unbestimmt und pauschal. Eine Verbesserung werde damit nicht erreicht. „Der Gesetzentwurf ist in dieser Form überflüssig“, so Scharf. Pro Familia dagegen begrüßt die Gesetzesänderung. Sie trage dazu bei, Stigmata abzubauen, so die Landesvorsitzende Stefanie Schäfer.

Ärzt*innen, die Abbrüche vornehmen, haben oft Angst, sich zu outen

Laut Auskunft des bayerischen Familienministeriums lag die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche 2022 in Bayern bei 45 pro 10.000 Frauen im gebärfähigen Alter. Bundesweit ist das die niedrigste Quote, im Bundesdurchschnitt waren es 62 Abbrüche.

Die Bundesärztekammer verfügt über eine Liste von Ärzt*innen, Krankenhäusern und anderen Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Das Problem dabei: Der Eintrag in die Liste ist freiwillig, die Zahl der gelisteten Ärztinnen und Ärzte entsprechend gering. In ganz Deutschland haben nur 360 den Mumm, ihren Namen zu nennen – auch das ist eine Folge der Protestwelle.

Aber wer demonstriert da eigentlich? Laut Erkenntnissen von Pro Familia sind die Protestierenden fundamental-christlichen Kreisen zuzuordnen. „Hinzu kommt eine deutliche Nähe zu rechtskonservativen bis rechtsextremen Parteien und Gruppierungen. Teilweise konnten wir auch Verbindungen zu extrem rechtskonservativen Gruppierungen aus (süd-)osteuropäischen Ländern identifizieren“, so Stefanie Schäfer. Auch Silvia Wallner-Moosreiner von der „Aktion für das Leben“ sagt, verantwortlich für die Proteste seien sehr rechtslastige und rechtsextreme Lebensschützergruppen. „Wir teilen mit denen nur, dass wir das ungeborene Leben schützen wollen: Das war’s dann schon.“

Anders als den Protestierenden gehe es der Aktion für das Leben, die eng mit Organisationen der katholischen Kirche zusammenarbeitet, darum, das Kind zu schützen und ein Netz zu spannen, das schwangere Frauen wirtschaftlich absichert, psychosozial begleitet und stabilisiert.

„Der hart erkämpfte Kompromiss der Beratungsregelung ist das Beste, was wir bekommen können“, so Wallner-Moosreiner. „Denn es ist existenziell wichtig, dass Frauen ihre Entscheidung in einem geschützten Raum treffen können, unbeeinflusst von Partner, Gesellschaft und Familie. Die Regelung ermöglicht den Schutz des Lebens und schafft einen gewissen Frieden.“ Das neue Gesetz zum Thema Gehsteigbelästigungen hält sie für „absolut notwendig“. In einer Notlage bedrängt zu werden: „Das geht aus psychosozialer Sicht gar nicht.“

Unzufrieden mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes zeigt sich dagegen der Münchner Verein „Stimme der Stillen“. Für Silja Fichtner markiert es einen „traurigen Höhepunkt“: Die Bundesregierung komme ihrer Pflicht, auch ungeborenes Leben zu schützen, nicht nach, sondern erleichtere den Zugang zu Abtreibungen und strebe ihre Legalisierung an.

Zum umstrittenen „Münchner Marsch fürs Leben“ im April rechnet Fichtner mit mindestens 4000 Teilnehmer*innen. Die Zahl derer, die „ein fröhliches Fest für das Leben“ feiern wollten, sei in den vergangenen Jahren „kontinuierlich angewachsen“. (Monika Goetsch)
 

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