Politik

Wahlkampf in München: Martin Hagen (FDP), Hans Theiss (CSU), Alexander Hold (Freie Wähler) bei einer Veranstaltung der VBW. (Foto: ta)

24.01.2025

Liberale unter Beschuss

Wahlkampf mit der FDP: Bayerns Spitzenkandidat Martin Hagen ist kompetent und spricht die Sprache der Menschen – dennoch kann es knapp werden für seine Partei

Keine der Parteien der geplatzten Ampel hat so stark an Zuspruch verloren wie die FDP: Bei der Bundestagswahl 2021 hatte sie noch 11,5 Prozent errungen, jetzt krebst sie an der Fünf-Prozent-Hürde herum – mehr als die Hälfte ihrer Wählerinnen und Wähler haben sich also laut Umfragen von ihr abgewandt. Bayerns Spitzenkandidat Martin Hagen (43) gibt sich derweil unbeirrt optimistisch.

Der beste Moment für Martin Hagen wartet nach der Veranstaltung auf ihn. Triumphierend hält er sein Handy in die Runde: „Plötzlich könnte die FDP wieder mitregieren“, prangt auf dem Display. Bild vermeldet eine neue INSA-Umfrage. Danach rangieren die Liberalen bei 5 Prozent, während die Union erneut verloren hat und jetzt unter der 30-Prozent-Marke liegt; vor wenigen Monaten waren es noch 33 Prozent. Ob es für eine Große Koalition aus Union und SPD reicht, erscheint in diesem Licht keineswegs sicher.

Keine Partei der ehemaligen Berliner Ampel-Koalition hat seit der Bundestagswahl 2021 so an Zuspruch verloren wie die FDP. Ihre Umfragewerte haben sich mehr als halbiert. Die SPD hat ebenfalls viel Sympathie eingebüßt: Bei der Wahl 2021 hatte sie knapp 26 Prozent erzielt, jetzt liegt sie in Umfragen bei rund 16 Prozent. Während ausgerechnet die Grünen ihr Ergebnis von 2021 – knapp 15 Prozent – ansatzweise immer noch erreichen. Obwohl sie für viele Menschen und jedenfalls für die CSU inzwischen ein sehr rotes Tuch sind.

 

Hagen war im Landtag einer der besten Redner


Warum ist das so? Tatsächlich hat die FDP einerseits oft die Bürgerrechte hochgehalten und damit zumindest während der Corona-Pandemie viel Zuspruch erfahren. Andererseits hat sie mit Themen wie dem Selbstbestimmungsgesetz oder der Cannabislegalisierung die konservative Anhängerschaft irritiert. Diese hätte von der FDP erwartet, dass sie eine dezidiert wirtschaftsfreundliche Agenda umsetzt. Fakt ist aber, dass Deutschland seit der Regierungsübernahme der Ampel wirtschaftlich abgestürzt ist. „Wir waren der kleinste Partner in dieser Ampel“, versucht sich Bayerns FDP-Chef Hagen in einer Erklärung. Und sagt, dass seine FDP in der Bundesregierung das Schlimmste verhindert habe. Doch er weiß auch: „Dafür wird man nicht gewählt.“ Umso stärker ist er nun darauf fokussiert, klarzumachen, wofür die FDP steht, dass sie die Sorgen der Menschen erkannt hat und wie sie diese lösen will.

Da kommt Hagen dieser Abend genau recht. Auf Einladung der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) geht es um eines der zentralen Wahlkampfthemen: Migration und Fachkräftezuwanderung. Zwei Bereiche, die, wie nicht nur Martin Hagen findet, allzu oft vermischt werden. Beim VBW-Gespräch dürfen die bayerischen Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl von FDP, CSU, SPD, Grünen und Freien Wählern ihre Konzepte darlegen. Für FW-Chef Hubert Aiwanger war Alexander Hold gekommen; er ist Landtagsvizepräsident und tritt nicht zur Bundestagswahl an.
Hagen fungierte bis zur für die FDP desaströsen Landtagswahl 2023 als Fraktionschef im Maximilianeum. Dort galt er als einer der besten Redner, eine Qualität, die ihm auch an diesem Abend in München hilft. Ohne Schaum vorm Mund und in klaren Worten benennt er die Probleme: Die Menschen hätten beim Thema Zuwanderung den Eindruck gewonnen, „dass der Staat die Kontrolle ein Stück weit aufgegeben hat“, formuliert der Liberale.

Das Solingen-Attentat: Da sei Etliches schief gelaufen, klagt Hagen und verweist auf Migrationsregeln, die nicht funktionieren


Er verweist auf das Attentat in Solingen, wo im August 2024 bei einem Messerattentat drei Menschen getötet und acht weitere verletzt worden waren. Der „Islamische Staat“ hatte die Tat für sich reklamiert, tatverdächtig ist ein 26-jähriger Syrer. Hagen führt aus: Der mutmaßliche Attentäter hätte erstens „nach den geltenden Dublin-Regeln gar nicht hier sein dürfen und hätte ausgewiesen werden müssen“. Nur ein Mal, rügt Hagen, seien die Behörden angerückt, um die Abschiebung zu vollziehen, hätten ihn in der Asylunterkunft aber nicht vorgefunden. „Der war halt nicht da, die Beamten sind dann gegangen.“ Das sei „das falsche Signal an Geflüchtete“, bilanziert der FDP-Politiker.

FW-Mann Hold berichtet, dass die Polizei vor Abschiebungen bis vor einem Jahr lediglich das Zimmer des betreffenden Flüchtlings durchsuchen durfte, nicht aber andere Räume in der Unterkunft. Das habe sich natürlich herumgesprochen. Auch deshalb seien zahlreiche Abschiebungen gescheitert.
Hagen setzt auf Zuspitzung. Er beklagt: „Wer an der Grenze das Wort Asyl aussprechen kann, darf bleiben.“ Hier müsse man ansetzen und vor allem die EU-Außengrenzen besser sichern.

Es folgte eine erstaunlich sachliche Debatte, bei der selbst die Kandidaten von SPD und Grünen, Korbinian Rüger und Frederik Ostermeier, einräumen, in der Migrationspolitik habe man etliche Fehler gemacht. Und auch beim Aspekt Fachkräftezuwanderung herrscht Konsens: Ohne Zuwanderung, finden alle, breche der Arbeitsmarkt und auch das Rentensystem zusammen. Ein Aspekt, den der anwesende Volkswirtschaftler Panu Poutvaara vom Ifo-Institut mit Zahlen eindrücklich untermauert. Einigkeit herrscht auch bei der Forderung, die Verfahren für Fachkräftemigration zu erleichtern. Wichtig seien dabei vor allem raschere Terminvergaben in den Botschaften.

Kaum zu glauben: Grüner Beifall für die CSU


Kaum zu glauben: Der Grüne Ostermeier nickt einige Male demonstrativ, als CSU-Mann Hans Theiss und der FW-Politiker Hold die Folgen der irregulären Migration geißeln. Die anwesenden Kandidaten, spottet Martin Hagen anschließend, „unterscheiden sich sehr von ihren Parteifreunden in der Bundesregierung“.

Fehlereinsicht ist das eine, konkrete Lösungsvorschläge das andere. SPD und Grüne beharren darauf, die Binnengrenzen gemäß dem Schengenabkommen offen zu halten und nur die EU-Außengrenzen besser zu kontrollieren, Kein Wort dazu, dass dieses System in der Praxis ausgehebelt wird. FDP, CSU und Freie Wähler halten dagegen. Auf dem Podium funktioniert diese „bürgerliche Koalition“, von der Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger träumt, gut. Dass sie Realität wird, ist recht unwahrscheinlich. Die Freien Wähler müssten dazu drei Direktmandate erringen, dann können sie mit etlichen zusätzlichen Leuten in den Bundestag einziehen, selbst dann, wenn sie unter der Fünf-Prozent-Hürde liegen.

Tatsächlich sind die Schnittmengen dieser drei Parteien in der Migrationsfrage am größten. FDP-Spitzenkandidat Hagen verzieht dennoch das Gesicht, wenn er nach der bürgerlichen Koalition gefragt wird. Das seien verschenkte Stimmen, wiegelt er ab. Und betont, dass die FDP „so stark wie möglich“ werden müsse.

Verschenkte Stimmen: Blöd für die FDP, dass auch sie selbst von dieser Denke betroffen ist. Weil die Partei nicht sicher damit rechnen kann, über 5 Prozent zu kommen, und wohl auch keine drei Direktmandate erringen wird, könnte sie aus dem Bundestag fliegen.

Das ist das Dilemma: Menschen finden die FDP super, wählen aber trotzdem CSU


Zurzeit ist Hagen fast täglich als Wahlkämpfer unterwegs, viele Neujahrsempfänge, etliche Großkundgebungen. Nächste Woche tritt er mit Christian Lindner auf, drei bayerische Städte an einem Tag: Würzburg, Bamberg, Nürnberg. Gleich danach: Aschaffenburg. Lindner, sagt Hagen bewundernd, sei, gemessen an der Zahl seiner Auftritte, die reinste „Wahlkampfmaschine“. Kein Wunder, für die FDP geht es um alles.

Hagen ist fest entschlossen, in den Bundestag einzuziehen. Nie spricht er im Konjunktiv, erklärt stattdessen: „Im Bundestag werde ich ...“ Er beteuert: Überall erfahre er viel Zuspruch.
Auch bei der VBW-Veranstaltung kommt er gut an. Eine sichere Bank ist dieser Zuspruch dennoch nicht. Eine ältere Dame stürmt auf ihn zu, wünscht ihm Glück bei der Wahl. Nachfrage: Wer ihre Wunschkoalition sei? Da sei sie noch nicht festgelegt, sagt die Frau. Ein Wirtschaftsboss aus München steht daneben, auch er findet die FDP super und wünscht sich Schwarz-Gelb im Bund. Und, wird er die FDP wählen? Nö, bekennt er frei raus. Er geht lieber auf Nummer sicher und macht sein Kreuzerl bei der CSU.

Martin Hagen guckt irritiert. Er weiß: Die FDP muss noch viel Überzeugungsarbeit leisten bis zur Wahl.
(Waltraud Taschner)

 

 

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