Politik

Nur Baden-Württemberg wehrt sich bisher gegen von der Pharmaindustrie gesponserte Ärztefortbildungen. (Foto: dpa/Fabian Sommer)

26.07.2019

"Manche nennen das Korruption – aber es ist erlaubt"

Christiane Fischer, Chefin der Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte MEZIS, über die Tricks der Pharmalobby, exorbitante Medikamentenpreise und erfundene Krankheiten

Die Medizinerin Christiane Fischer kämpft als Geschäftsführerin von MEZIS („Mein Essen zahl’ ich selbst“) gegen die Beeinflussungen der Pharmaindustrie. Im BSZ-Interview erklärt sie, wie Ärzte in Bayern gefügig gemacht werden, bei gesunden Menschen Krankheitsängste geschürt werden und Hersteller auf Gewinnmargen von im Schnitt 40 Prozent kommen.

BSZ: Frau Fischer, jedes Jahr besuchen bundesweit rund 15 000 Pharmavertreter 20 Millionen Mal Arztpraxen und Krankenhäuser. Warum?
Christiane Fischer: Pharmavertreter sind wie StaubsaugervertreterInnen: Sie werben für ihre Produkte – weil sie möglichst viel verkaufen wollen. Und das ausgerechnet bei Medikamenten. Sie behaupten, sie würden nur informieren, aber es ist Werbung. Das müsste deutlich transparenter gemacht werden.

BSZ: Die Pharmaindustrie sponsert auch einen großen Teil der ärztlichen Fortbildung.
Fischer: Bei gesponserten Fortbildungen haben über 90 Prozent der ReferentInnen vorher Gelder von den jeweiligen Pharmafirmen erhalten – 200 000 Euro pro Tag sind keine Seltenheit. Diese machen dann Werbung für die Medikamente eines bestimmten Herstellers.

BSZ: Die bayerische Landesärztekammer erkennt solche gesponserten Fortbildungen im Rahmen der ärztlichen Fortbildungspflicht an.
Fischer: Das ist leider legal, aber moralisch äußerst problematisch. So kommen neue, teure Medikamente in die Top 10 der Verordnungen, die nicht besser sind als die bisherigen Medikamente – oftmals sogar schlechter. Wir fordern daher von den Landesärztekammern, dass sie keine Fortbildungspunkte für gesponserte Veranstaltungen vergeben. Die Landesärztekammer Stuttgart ist letztes Jahr mit gutem Beispiel vorangegangen.

BSZ: Warum lassen sich Ärztinnen und Ärzte von Pharmavertretern einlullen?
Fischer: Ärzte denken, sie kaufen sich in die große Welt ein, wenn sie einen Laptop von der Pharmaindustrie bekommen. Außerdem erhalten sie Geschenke, werden zum Essen eingeladen und und bekommen Reisekosten für die gesponserten Fortbildungen bezahlt. Das alles beeinflusst das ärztliche Verschreibungsverhalten.

BSZ: Was hat es mit den sogenannten Anwendungsbeobachtungen auf sich?
Fischer: Dabei werden Ärztinnen und Ärzte dafür bezahlt, Erkenntnisse über bestimmte Medikamente zu sammeln. Dahinter steckt kein wissenschaftliches Interesse: Es geht nur darum, dass sich der Name eines Medikaments in den Schädel des Arztes oder der Ärztin einbrennt. Manche nennen das Korruption – aber es ist erlaubt.

BSZ: Der Deutsche Ärztetag hat sich Ende Juni gegen mehr Transparenz beim Ärztesponsoring ausgesprochen. Warum?

Fischer: Je weniger geändert wird, desto mehr können Ärzte verdienen. Leider wird auch vonseiten der Politik kein Reformdruck aufgebaut. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn war als Abgeordneter selbst jahrelang an einer Lobbyagentur für Pharmaklienten beteiligt.

„Selber forschen drückt den Gewinn. Pharmahersteller kaufen daher einfach Patente von Universitäten“

BSZ: Sie kritisieren auch Marketingkampagnen, die bei gesunden Menschen Krankheitsängste schüren und PatientInnen verunsichern sollen.
Fischer: Werbung für Medikamente ist in Deutschland verboten – Werbung für Krankheiten aber ist erlaubt. Daher wird dann plakatiert: „Viele Menschen wissen nicht, dass sie an chronischer Migräne leiden.“ Das ist natürlich Unsinn. Man merkt schon selber, wenn man eine schmerzhafte Krankheit hat. Einmal hat auch eine Consulting-Firma eine Krankheit erfunden, die „Wechseljahre des Mannes“. Oder man denke an die Glutenunverträglichkeit. Die gibt es zwar vereinzelt, aber jetzt wird es zum Massenphänomen gemacht.

BSZ: In Deutschland gibt es im ersten Jahr der Markteinführung keine Preisbindung für Medikamente. So soll das Geld für Forschung und Entwicklung wieder hereingeholt werden. Ein schlüssiges Argument?

Fischer: Nein. Der Preis eines Medikaments orientiert sich nicht an den Forschungskosten, schon gar nicht an den Produktionskosten, sondern allein am Marktwert. Beispielsweise beim Hepatitis-C-Medikament Sofosbuvir. Während die Jahrestherapiekosten pro Patient stolze 43 500 Euro betragen, belaufen sich die Produktionskosten für den Patienten für ein Jahr auf lediglich rund 100 Euro.

BSZ: Aber große Pharmahersteller investieren doch in Forschung.
Fischer: Die Grundlagenforschung wird an den Universitäten betrieben. Dort kaufen Pharmahersteller dann einfach für kleines Geld die Patente und schlachten das Produkt durch gezieltes Marketing entsprechend aus. Das Geld ist also nach wenigen Wochen wieder drin. Wir fordern: Wenn staatliches oder universitäres Geld in die Forschung eingeflossen ist, darf auf das Endprodukt kein Patent angemeldet werden.

BSZ: Warum sind Medikamente im europäischen Ausland billiger als bei uns?
Fischer: Das liegt größtenteils an den Steuern und den Monopolen in Deutschland. Die Pharmaindustrie nimmt aber in jedem Land, was sie kriegen kann. In Deutschland liegen die Gewinnmargen der Hersteller im Schnitt bei 40 Prozent. Schweden war zum Beispiel nicht bereit, die hohen Preise zu zahlen – dort gingen die Preise runter.

BSZ: Besonders teuer sind neue Krebstherapien. Dadurch leben Patienten aber auch länger. Das ist doch etwas Gutes!
Fischer: Die meisten Krebsmedikamente verlängern das Leben nur um wenige Monate – oftmals verbunden mit starken Nebenwirkungen für die PatientInnen. Besonders problematisch ist, dass sich mit solch teuren Medikamenten für Reiche am meisten Geld verdienen lässt. Der schweizer Pharmakonzern Novartis hat in den USA kürzlich die Genehmigung für ein zwei Millionen Dollar teures Medikament erhalten – pro Einzeldosis. Dadurch wird die Forschung an sogenannten vernachlässigten Krankheiten, die sehr viele arme Menschen haben, vernachlässigt. Tuberkulose ist die häufigste Infektionskrankheit der Welt, das neuste Medikament gegen die nicht resistente Tuberkulose stammt aber von 1967.

BSZ: Ein anderes Problem: Antibiotika-Resistenzen. Dadurch erkranken immer mehr Menschen an multiresistenten Keimen. Hängt das auch mit dem Verhalten der Pharmaindustrie zusammen?

Fischer: Wir bräuchten dringend neue Antibiotika, aber aus denselben finanziellen Gründen wird nichts Neues erforscht. Es ist einfach nicht lukrativ. Das führt auf Dauer auch vermehrt zu Resistenzen. Gleiches gilt für den Einsatz von den immer gleichen Antibiotika in der Massentierhaltung.

BSZ: Was würden Sie als erstes ändern, wenn Sie Bundesgesundheitsministerin wären?
Fischer: Das deutsche Patentgesetz. Dann wären kleine Änderungen einer bestehenden Substanz nicht ausreichend, um ein neues Patent anzumelden und damit wieder ein weiteres Jahr ohne Preisbindung zu erhalten. So wurde zum Beispiel ein Medikament gegen eine Spezialform des Blutkrebs’ vom Markt genommen. Und dann zur Behandlung für Multiple Sklerose wieder zugelassen – aber 44-fach teurer. Und gegen MS wirkt es auch noch viel schlechter.

BSZ: Kritische Ärztinnen und Ärzte werden von Pharmaherstellern oft juristisch unter Druck gesetzt. Wurden Sie auch schon mal bedroht?

Fischer: Bisher hat noch keiner versucht, meinen Computer explodieren zu lassen oder mich zu kaufen. Es existiert ein zivilisierter Umgang zwischen der Pharmaindustrie und mir. Bei den Ärztinnen und Ärzten ist es anders: Während uns viele als das gute Gewissen der Ärzteschaft bezeichnen, sind wir für andere die schwarzen Schafe und Nestbeschmutzer. (Interview: David Lohmann)

Kommentare (1)

  1. Waltraud am 28.07.2019
    Sehr gut, das deckt sich voll mit meinen Gedanken und Wissen! Die vorhandenen Gelder werden einfach nicht zum Wohle der Patienten eingesetzt sondern es geht schlicht um Gewinnoptimierung. Uns die Schmerzen möglichst nebenwirkungsfrei zu lindern, ist nicht im Interesse der Pharmaindustrie, siehe z.B. CBD Tropfen/Öl -es ist ein Übel - ich halte meine MS-Schmerzen tapfer, mein Mann schmeisst sich Schmerzmittel ohne Ende ein (sein Problem ist einfach nicht zu diagnostizieren) das macht alles keinen Sinn! Wir sind einfach stinksauer!!!
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