Nach der Ernennung von Judith Gerlach (CSU) zur Digitalministerin hagelte es Kritik: Die Neue sei nicht bei Twitter, es gebe keine Ministeriumswebseite. Das hat sich inzwischen geändert – und Gerlach geht programmatisch in die Offensive. Künftig will sie mehr Frauen für digitale Berufe begeistern. Derzeit sind bundesweit fast eine halbe Million Stellen in den Berufsfeldern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) unbesetzt. 80 Prozent aller Informatikstudierenden sind männlich, bei den Auszubildenden für Fachinformatik liegt der Anteil sogar bei 93 Prozent. Gleichzeitig steigt der Bedarf an Informatikern. Gerlach bedauert: „Jedes Jahr geht enorm viel digitale Frauenpower verloren.“
Die Digitalministerin hat jetzt die Initiative „Bayerns Frauen in Digitalberufen“, kurz BayFiD, ins Leben gerufen. Das Konzept besteht aus fünf Bausteinen: Um Hemmschwellen abzubauen, sollen Mädchen schon in der Schule für digitale Themen begeistert werden. Durch einen höheren Frauenanteil in der Wissenschaft sollen erfolgreiche Forscherinnen zum Vorbild für den Nachwuchs werden. Zusätzlich sollen Frauen bei der Aus- und Weiterbildung für digitale Berufe qualifiziert werden. Außerdem sollen Frauen bei der Gründung stärker gefördert werden. Ob sich das umsetzen lässt, hängt allerdings von den jeweils zuständigen Ministerien ab. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ist BayFiD-Schirmherr.
Ebenfalls ein BayFiD-Baustein ist das Talentprogramm für Frauen zwischen 18 und 30 Jahren, welches Gerlachs Ressort selbst verantwortet. Dabei sollen Menschen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verbänden ab Mitte nächsten Jahres 50 Talente zwei Jahre lang auf ihrem Weg in digitale Berufe begleiten. Ab 2020 soll die Zahl auf 100 Frauen erhöht werden. Ziele: konkrete Einblicke in die Praxis, fachlicher Austausch, Netzwerkaufbau und Beratung. Teilnahmekriterien und Bewerbungsmodalitäten stehen noch nicht fest, werden aber laut Gerlach in den nächsten Wochen erarbeitet. Das Programm will sich an alle Frauen richten – egal ob Auszubildende, Studentin oder Berufsanfängerin.
Frauen haben bei der Digitalisierung andere Bedürfnisse
Um das Talentprogramm bekannt zu machen, wirbt die Ministerin für sogenannte digitale Paten. Sie sollen Gesicht, Botschafter und Türöffner für den letzten BayFiD-Baustein sein. Neben der DLD-Digitalkonferenz-Gründerin Steffi Czerny und dem Münchner Robotikprofessor Sami Haddadin konnte Gerlach die Bundesdigitalisierungsbeauftragte Dorothee Bär (CSU) als erste Patin gewinnen. „Wir brauchen nicht nur Laptops und Lederhosen, sondern auch Dirndl und Digitalisierung“, betont die Fränkin. Egal wo sie hinkomme, überall fehlten Nachwuchskräfte – vor allem im digitalen Bereich. Es sei daher „alternativlos“, auf Frauen zu setzen. „Wir haben bei der Digitalisierung kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsdefizit.“
Bär will Frauen nicht nur wegen des Fachkräftemangels für Digitalberufe begeistern. Vielmehr gehe es auch um Teilhabe und Mitgestaltung. „Frauen haben bei der Digitalisierung andere Bedürfnisse“, erklärt die Staatsministerin im Kanzleramt. Es gingen viele Perspektiven verloren, wenn nur Männer entscheiden. Das Wichtigste sei jetzt, Mädchen schon in der Grundschule für MINT-Berufe zu begeistern. Studien zeigten, dass das Interesse in höheren Jahrgangsstufen zunehmend nachlässt. „In der Pubertät interessieren sich junge Frauen im Digital-Bereich höchstens noch für Instagram-Filter“, weiß die Mutter zweier Töchter und eines Sohnes. Durch das Talentprogramm erhofft sie sich einen Alumnikreis, der wiederum anderen Frauen hilft und so immer größer wird.
Bei den Grünen im bayerischen Landtag kommt Gerlachs Talentprogramm recht gut an. „Netzwerktreffen sind eine gute Sache, noch besser, wenn Förderung auch mit den nötigen finanziellen Mitteln ausgestattet ist“, sagt deren Sprecher für Digitalisierung, Benjamin Adjei. Der 28-jährige Abgeordnete hat selbst Informatik an der Hochschule München studiert. Auch entstehe bei Konferenzen nur für Frauen eine ganz andere Diskussionskultur mit völlig unterschiedlichen Sichtweisen. „Wenn schwerpunktmäßig Männer Entscheidungen treffen, werden die Belange von Frauen häufig vergessen“, glaubt der Grüne. Das fange schon mit fehlenden Betreuungsplätzen in IT-Unternehmen an. (David Lohmann)
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