Politik

Viele gesetzlich Krankenversicherte müssen sich wohl auch künftig auf steigende Beiträge einstellen. (Foto: dpa/Angelika Warmuth)

15.01.2021

Mehr zahlen, damit der Arzt noch kommt

Nicht nur im Gesundheitsbereich sorgt Corona für steigende Kosten – Normal- und Geringverdiener sind überproportional betroffen. Die Politik streitet über die Lastenverteilung

Die Beiträge vieler Krankenkassen steigen – teils deutlich. Das liegt auch an Reformen im Gesundheitsbereich sowie den Kosten der Corona-Bekämpfung. Die Grünen fordern Entlastung für AOK und Co. aus Mitteln des Bundes. Ludwig Hartmann, Fraktionschef der Ökopartei, würde gerne die Kapitalertragsteuer erhöhen, um die Corona- Kosten gerechter zu verteilen. Die Union lehnt dies ab.

Bei vielen gesetzlich Versicherten lag jüngst eine böse Überraschung im Briefkasten: Denn viele gesetzliche Krankenkassen haben ihre Beiträge spürbar erhöht. So etwa die Techniker Krankenkasse (TK), Deutschlands größte Kasse. Bis zum Jahreswechsel erhob die TK neben dem allgemeinen Krankenversicherungssatz von 14,6 Prozent des Bruttolohns einen Zusatzbeitrag von 0,7 Prozent. Nun sind es 1,2 Prozent. Die Beiträge werden bis zur sogenannten Beitragsbemessungsgrenze fällig – diese liegt ab 2021 bei rund 58 000 Euro. Im Fall der TK können für die 1,4 Millionen bayerischen Versicherten so bis zu mehreren Hundert Euro im Jahr zusammenkommen, die je zur Hälfte von Arbeitgeber und Arbeitnehmer getragen werden.

Angesichts zuletzt gestiegener Ausgaben und abnehmender Rücklagen war die TK zu diesem Schritt gezwungen. „Die Kosten im Gesundheitswesen steigen, die Pandemie hat die Situation verschärft“, sagt ein Sprecher. Allerdings liegt die Versicherung bei der Beitragshöhe derzeit im Mittelfeld aller Kassen – manche anderen langen deutlich kräftiger zu.

Auch der zweite große Platzhirsch neben der TK, die Barmer, erhöhte zum Jahreswechsel ihre Beiträge. Insgesamt müssen die rund neun Millionen Versicherten nun 16,1 statt bislang 15,7 Prozent bezahlen. „Die Corona-Pandemie ist eine enorme Herausforderung“, begründet ein Sprecher den Schritt. Bundesweit 27 Millionen Menschen, rund ein Drittel der Bevölkerung, sind zudem bei einer Allgemeinen Ortskasse (AOK) versichert. Acht von elf Ortskassen erhöhten zum Jahresbeginn die Beiträge. Immerhin hielt die AOK Bayern die Beiträge stabil bei 15,7 Prozent. „Die AOK Bayern ist ein verlässlicher Partner ihrer Versicherten und Arbeitgeberkunden“, freut sich ein Sprecher. Ob die AOK und so manche heute noch vergleichsweise günstige Betriebskrankenkasse allerdings auch künftig auf Beitragserhöhungen verzichten können, ist jedoch völlig ungewiss.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung erwartet fürs kommende Jahr deutlich steigende Ausgaben im Gesundheitswesen, unter anderem durch verschiedene Gesetzesänderungen. Gleichzeitig dämpft die von der Corona-Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise die Erwartungen bei den Einnahmen der Kassen. Denn wer auf einmal in Kurzarbeit oder gar arbeitslos ist, zahlt weniger ein. Bei so mancher Kasse fürchtet man deshalb, dass die schlimmste Zeit erst noch kommt. Wenn die Wirtschaft sich nicht bald erhole, drohten explodierende Beitragssätze, sagen Kassenvertreter hinter vorgehaltener Hand. Doch keiner will seinen Versicherten Angst machen. Denn allzu leicht könnten diese zu einem anderen Anbieter abwandern. Versicherte, die bereits länger als ein Jahr bei ihrer Kasse versichert sind, können jederzeit mit Ablauf des übernächsten Monats wechseln. Und im Falle einer tatsächlichen Erhöhung hat jedes Mitglied ein Sonderkündigungsrecht.

Allerdings sind es oft jene unter den mehr als über 100 Kassen in der Bundesrepublik, die zuvor besonders günstig waren, die ihre Beiträge nun kräftig anheben. Zu groß waren die zuletzt angelaufenen Kosten. Doch die Corona-Pandemie, deren Gesundheitskosten der Bund vor allem den Gesetzlichen Krankenkassen aufbürdet, sind nur ein Grund für die steigenden Ausgaben. Eine Prognose der Kassen und des Bundes kam im Herbst zu dem Ergebnis, dass sich die Situation 2021 zuspitzen werde: Das Minus der Kassen für das laufende Jahr soll sich demnach auf 16,6 Milliarden Euro belaufen. Ob es dabei bleibt, ist angesichts des zuletzt ein ums andere Mal verlängerten Lockdowns und der hohen Corona-Kosten ungewiss.

Der AOK-Bundesverband verwies Ende Dezember jedoch darauf, dass die Schuld am Milliardenloch nicht allein an Corona liege. So hat der Bund für Patienten, Pflegefälle sowie Klinik- und Heimpersonal einige Reformen umgesetzt. So erhalten etwa manche Kinderkliniken nun mehr Geld und es gibt Zuschläge für Pflegekräfte. Diese Zusatzausgaben sind auch aus Sicht der Kassen und der Patienten richtig, belasten jedoch die Beitragszahler, weil der Bund anders als bei der Rentenfinanzierung im Gesundheitsbereich mit Steuerzuschüssen sehr knausrig ist. Der Bund müsse, wenn er wie etwa bei der Corona-Prävention gesamtgesellschaftliche Aufgaben der GKV aufbürde, diese auch bezahlen, sagt ein Sprecher der Techniker Krankenkasse.

Und manche Kostentreiber sind seit Jahren dieselben, etwa die in Deutschland im internationalen Vergleich besonders hohen Arzneimittelkosten. „Die Politik muss gegen Mondpreise von Pharmafirmen für Scheininnovationen vorgehen“, fordert der TK-Sprecher.

Düstere Prognose

Die Kassen hatten 2019 zwar noch riesige Rücklagen. „Doch das Polster schmolz in den vergangenen Wochen weg wie Butter in der Sonne“, sagt ein TK-Sprecher. Man schließe mit einem Minus ab, und das dicke Ende für die gesetzlichen Kassen komme erst noch, kritisierte jüngst auch der AOK-Bundesverband. Dieser ging auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) scharf an. Politische Konzepte, wie klug gegengesteuert werden solle, suche man vergeblich, so die Kritik.
Auch nach Corona sieht es für viele Kassen nicht rosig aus. Denn die steigende Zahl an Rentnern und der medizinische Fortschritt könnten Gesundheitsökonomen zufolge weiterhin für steigende Beiträge sorgen.

Doris Pfeiffer, Chefin des GKV-Spitzenverbands, prophezeit, 2021 werde „für die gesetzliche Krankenversicherung nicht nur, aber insbesondere auch durch die weiterhin zu erwartenden pandemiebedingten Finanzwirkungen sehr herausfordernd.“

Ein Problem: Um die Finanzierungslücke von 16,6 Milliarden Euro zu schließen, hat der Bund einen Zuschuss von fünf Milliarden Euro beschlossen. Acht Milliarden Euro sollen die Kassen allerdings aus ihren knapper werdenden Reserven beisteuern. Der Rest soll durch höhere Zusatzbeiträge finanziert werden.

Doch sind die Reserven dann demnächst verbraucht, könnten die Beiträge explodieren, wenn der Bund nicht mehr Geld zuschießt oder im Gesundheitswesen massiv gespart wird. Letzteres ist angesichts dessen, dass bereits heute viele Klinikbetriebe längst auf Kante genäht sind, kaum denkbar. Die AOK Bayern forderte die Bundesregierung bereits im November auf, sie solle den Steuerzuschuss für die gesetzliche Krankenversicherung weit stärker anheben als bislang angekündigt. Auch die Grünen sowie diverse Bundesländer sprechen sich für einen höheren Steuerzuschuss aus Berlin aus.

Wenn Kosten für Klinikreformen oder die Corona-Bekämpfung, von denen letztlich die gesamte Gesellschaft profitiert, vor allem auf die GKV abgewälzt werden, belastet dies viele Betriebe massiv. Doch der Mittelstand ist derzeit ohnehin in einer schwierigen Lage – es drohen Insolvenzen in großer Zahl sowie ein enormer Jobabbau. Zudem werden mit einer Erhöhung der GKV-Beiträge insbesondere Normal- und Geringverdiener enorm belastet – viele Top-Verdiener und der Großteil der Beamten sind dagegen privat versichert.

Doch nicht nur im Gesundheitsbereich tragen vor allem Ärmere und weite Teile der Mittelschicht einen Großteil der Folgekosten. Bereits jetzt beginnen Kommunen angesichts weggebrochener und nur zum Teil vom Freistaat erstatteter Steuereinnahmen, in der öffentlichen Daseinsvorsorge zu sparen. Ausgerechnet bei der Jugendhilfe, von der Kinder und junge Menschen profitieren, die es ohnehin schon schwer haben, setzen manche Kämmerer derzeit den Rotstift an. Dabei sind Menschen mit wenig Geld und geringem Verdienst von den massiven Einnahmeverlusten durch den Lockdown ohnehin stärker betroffen.

Auch in der Staatsregierung hatte man zuletzt bei der Frage der Aufteilung der Corona-Kosten nicht unbedingt ein gutes Händchen. Die nun beschlossene FFP2-Maskenpflicht für ÖPNV und Einzelhandel stellt für viele Geringverdiener oder Empfänger von Hartz IV eine enorme Belastung dar. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) hatte mit Blick auf die Anschaffungskosten zunächst gesagt, jeder werde „auch selber einen Beitrag leisten können“ – doch dies klang für manche Alleinerziehende, Soloselbstständige oder Kurzarbeiter, die kaum wissen, wie sie derzeit ihre Miete zahlen sollen, wie Hohn. Erst nach Protesten und einem Shitstorm in den sozialen Medien lenkte der Freistaat ein. Die Regierung kündigte am Mittwoch an, 2,5 Millionen FFP2Masken kostenlos Bedürftigen zur Verfügung zu stellen. Dies dürfte vermutlich nicht reichen, ist jedoch zumindest ein erster Schritt.

Doch die Debatte darüber, ob die Corona-Kosten gerecht verteilt sind, hält an. Die Linke und manche Wirtschaftsforscher fordern eine Vermögensabgabe für Reiche zur Bewältigung der Corona-Krise. Sie verweisen auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. 1952 hatte der Bund eine solche Abgabe beschlossen, weil das Land damals enorme Herausforderungen wie die Integration Millionen Vertriebener zu stemmen hatte.

Ludwig Hartmann, Fraktionschef der Grünen im Landtag, wünscht sich auch, dass die Corona-Kosten „gerechter verteilt werden sollen“. Für ihn ist klar: „Starke Schultern können mehr stemmen als schwache.“ Er präferiert jedoch eine Anhebung der Kapitalertragsteuer, die aktuell bei 25 Prozent liegt. Weil der Spitzensteuersatz auf Einkommen durch Arbeit weit höher ist, müssen viele Mittelstandsfamilien in der Konsequenz mitunter mehr Einkommensteuer bezahlen als ein millionenschwerer Spekulant. Union und FDP lehnen alle Steuererhöhungen dagegen per se ab. Sie würden lieber vorhandene Einnahmen des Bundes besser umschichten.

Steuert der Bund jedoch nicht gegen, dürfte noch so manchen gesetzlich Krankenversicherten spätesten Ende des Jahres erneut unangenehme Post ins Haus flattern.
(Tobias Lill)

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