Politik

Unbedingt notwendig: "Emotionalität und Propaganda auseinanderhalten", fordert die aus Sankt Petersburg stammende Wissenschaftlerin Anna Litvinenko. (Foto: dpa/Fernando Gutierrez-Juarez)

15.03.2022

Menschen aus Russland nicht stigmatisieren!

Die Betroffenheit angesichts des Krieges ist auch unter Journalist*innen groß. Sie dürfe aber keinesfalls in Bekenntnisjournalismus münden, fordern Expertinnen der FU Berlin

Seit zweieinhalb Wochen läuft Putins Angriffskrieg in der Ukraine. Und der Krieg dominiert natürlich die Schlagzeilen auch in Deutschland. Wie die Medien trotz aller Betroffenheit über dieses offensichtliche Verbrechen gegen das Völkerrecht adäquat berichten können, war das Thema der Online-Veranstaltung „Verantwortungsvoller Journalismus im Krieg“ der Freien Universität Berlin. Das pauschale Anprangern aller aus Russland stammenden Menschen sei jedenfalls keine Lösung, darin stimmten alle drei Referentinnen überein.  

Journalist*innen müssten sich bewusst machen: Bei ihnen könnten sich Muster einschleichen, die dann immer wieder reproduziert und abgerufen würden, betonte Carola Richter, Professorin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der FU Berlin. „Das wird gerade beobachtet. Es gibt eine ganz starke Polarisierung.“  Oft lese man: „Der russische Krieg“. Oder auch: „Russland überfällt die Ukraine“. Richter fragt: „Aber ist es nicht eher Putins Krieg, der des russischen Regimes gegen die Ukraine?“ Die Gefahr sei aktuell groß, dass Russen stigmatisiert würden. „Hier müssen wir aufpassen.“ Auch bei der Personifizierung der Freiheitskämpfer, so Richter. Bei der Aufteilung in Gut und Böse. „Bekenntnisjournalismus ist problematisch. Druck auf Menschen russischer Herkunft auszuüben, sich zu positionieren ist gefährlich: Das ist kein verantwortungsvoller Journalismus“, stellt Richter klar.

Anna Litvinenko, eine aus St. Petersburg stammende Wissenschaftlerin an der FU, forderte zudem, hier lebende Menschen aus Russland nicht zu zwingen, sich gegen Putin zu bekennen: „Man muss davon ausgehen, dass spätestens seit Kriegsbeginn das Regime autoritär herrscht, dass seit dem 5. März Kriegszensur herrscht. Deshalb können die Leute hier Angst um ihre Verwandten dort haben.“ Den westlichen Journalist*innen falle nun eine wichtige Aufgabe zu, erklärte sie. „Sie haben den notwendigen Abstand, um bilanziert Bericht zu erstatten. Denn sie sind nicht so emotional in dem Konflikt wie Russen, Ukrainer oder Weißrussen.“ Ein Beispiel sei die Wiedergabe der „sehr emotionalen ukrainischen Berichterstattung“, so Litvinenko, die fordert: „Wir müssen Emotionalität und Propaganda sehr genau auseinanderhalten.“

"Solidarisch sein mit Geflüchteten unabhängig von deren Herkunft"

Margreth Lünenborg, ebenfalls Professorin an der FU, wiederum erkennt in der Berichterstattung hierzulande Stereotypen und Ausgrenzungen, wenn es um die Aufnahme von Geflüchteten geht. „Zurzeit wird ein Maß kultureller Nähe zu den Ukrainer*innen hergestellt, anders als bei Flüchtlingen aus Afghanistan oder Syrien.“ Sie nannte das „Othering“ und forderte: „Die Solidarität mit Geflüchteten sollte unabhängig von deren Herkunft sein.“ Stattdessen erkenne sie „Identitätszuschreibungen, die fast rassistisch sind“.

Und nicht vergessen dürften westliche Medien, den jetzt fliehenden Ukrainer*innen auf sie zugeschnittene Informationen über die Lage vor Ort zu bieten. Das lasse sich schnell umsetzen, zum Beispiel durch die Auslandsprogramme der Deutschen Welle (DW). „Die DW hat in der Ukraine einen guten Ruf. Die Redaktion wird gerade aufgestockt“, berichtete Litvinenko. Dort sollten auch ins Exil gegangene Journalist*innen die Möglichkeit haben, die Infos ins Land zurückzugeben.
(Heinz Wraneschitz)

Weitere in Informationen zum Thema Journalismus und (Ukraine-)Krieg finden sich in dieser Handreichung der FU-Wissenschaftlerinnen.

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