Eine Woche nach dem Ampel-Aus hat Oppositionsführer Friedrich Merz mit scharfen persönlichen Angriffen gegen Kanzler Olaf Scholz im Bundestag den Wahlkampf eröffnet. Der CDU-Chef und Unions-Kanzlerkandidat sprach Scholz in seiner Antwort auf dessen Regierungserklärung jede Regierungs- und Führungskompetenz ab. "Sie spalten das Land, Herr Bundeskanzler. Sie sind derjenige, der für diese Kontroversen und für diese Spaltung in Deutschland verantwortlich ist. So kann man ein Land einfach nicht regieren."
Scholz hatte zuvor in einer Regierungserklärung die Entlassung seines Finanzministers Christian Lindner (FDP) und das damit verbundene Aus der Ampel-Koalition als "unvermeidlich" verteidigt. Gleichzeitig warnte er vor einer Spaltung des Landes und rief dazu auf, in der Politik weiter auf Kompromisse zu setzen. "Ich bin überzeugt. Der Weg des Kompromisses bleibt der einzig richtige Weg."
Der gefeuerte Ex-Finanzminister Lindner warf Scholz vor, mit der Forderung nach Aussetzen der Schuldenbremse den Koalitionsbruch provoziert zu haben. "Das war die Forderung nach politischer Unterwerfung oder provoziertem Koalitionsbruch", sagte er. "Manchmal ist eine Entlassung auch eine Befreiung."
Schlusspunkt unter Ampel-Scheidung - Auftakt für den Wahlkampf
Die Debatte setzt den Schlusspunkt unter die schmutzige Scheidung der Ampel-Koalition nach knapp drei Jahren Zweckehe. Nach einem erbitterten Streit über die Wirtschafts- und Finanzpolitik hatte Scholz vor einer Woche seinen Finanzminister gefeuert und das Ende des Dreier-Bündnisses herbeigeführt.
Er führt nun eine Minderheitsregierung von SPD und Grünen und will am 16. Dezember im Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Erhält er wie erwartet keine Mehrheit, findet die Neuwahl am 23. Februar statt. Bis dann bleiben 102 Tage für den Wahlkampf. Die Regierungserklärung und die anschließende zweistündige Debatte war quasi der Auftakt dazu und sie gab einen Vorgeschmack darauf, wie hart dieser Wahlkampf werden könnte.
Merz wittert schmutzigen Wahlkampf
Merz warf der SPD vor, ihn schmutzig Bundestagswahlkampf führen zu wollen. "Seit gestern kursieren im Netz KI-generierte Fake-Videos über mich. So weit, so schlecht", sagte er an die Adresse von Scholz. "Aber dass sie von sozialdemokratischen Abgeordneten gepostet werden und weitergeleitet werden, das gibt einen Vorgeschmack auf die Art und Weise des Wahlkampfes, den Sie hier in Deutschland offensichtlich bereit sind zu führen." Merz reagierte damit offenbar darauf, dass der schleswig-holsteinische SPD-Bundestagsabgeordnete Bengt Bergt ein Video auf seinem Instagram-Account geteilt hatte. Bergt hatte dazu gesagt, es handele sich erkennbar um "eine überspitzte Satire" und nicht um Fake News.
Die Regierungserklärung von Scholz bezeichnete Merz als "Geisterstunde". "Das, was Sie hier vorgetragen haben, Herr Bundeskanzler, ist nicht von dieser Welt." Der Kanzler habe nicht verstanden, was in diesem Land los sei.
Keine Politik "mit der Faust auf den Tisch"
Die Rede des Kanzlers war dagegen vergleichsweise defensiv. Öffentlicher Streit dürfe nie wieder die Arbeit der Regierung überlagern, sagte er. "Natürlich funktioniert das nicht mit der Faust auf den Tisch", verteidigte er seinen Regierungsstil. Er rief alle Demokratinnen und Demokraten dazu auf, einer Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Dies sei die zentrale Frage bei der anstehenden Neuwahl im Februar. "Ich will vermeiden, dass es zu Verteilungskämpfen jeder gegen jeden kommt", sagte der SPD-Politiker.
Er sprach sich für mehr Investitionen in Sicherheit aus. Das dürfe aber niemals zulasten von Rente, Gesundheit oder Pflege gehen. Sicherheit und Zusammenhalt - das eine sei ohne das andere nicht zu haben. "Dieses "entweder oder" ist falsch und führt unser Land in die Irre." Das "entweder oder" sei ein Konjunkturprogramm für Populisten und Extremisten. "Das schadet und zerreißt Deutschland."
Scholz nennt Liste von noch möglichen Beschlüssen
Die Union rief Scholz dazu auf, nun vor der Auflösung des Bundestags gemeinsam noch wichtige Gesetze miteinander zu beschließen. "Lassen sie uns da, wo wir einig sind, auch einig handeln. Es wäre gut für unser Land", sagte er.
Konkret nannte Scholz Entlastungen bei der sogenannten kalten Progression bei der Einkommensteuer, die zum 1. Januar 2025 gelten sollten. Nötig sei zudem, schnell möglichst viel von der vorgesehenen Regierungsinitiative für mehr Wachstum zu beschließen. Auch eine Kindergelderhöhung solle Anfang 2025 kommen. Der Kanzler nannte außerdem Grundgesetzänderungen, um das Bundesverfassungsgesetz stärker gegen mögliche politische Einflussnahmen zu wappnen.
Ausgangslage für den Wahlkampf: Union klar vorne
In den nächsten gut 100 Tagen bis zum Wahltermin sieht es nach einer klaren Sache für die Union aus. Sie erreicht seit einem Jahr in den Umfragen stabil 30 Prozent und mehr. Die SPD als stärkste Regierungspartei liegt derzeit mit 16 bis 18 Prozentpunkte dahinter auf Platz 3 - noch hinter der AfD. Aber Vorsicht: Vor der Wahl 2021 war das nicht anders. Noch zweieinhalb Monate vor dem Wahltermin lagen Scholz und die SPD bis zu 16 Prozentpunkte hinter der Union. Ein Lacher von Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet im Flutgebiet drehte die Stimmung. Die SPD gewann am 26. September schließlich mit 25,7 zu 24,1 Prozent gegen die Union. Scholz wurde Ampel-Kanzler.
Mit der Erzählung des Triumphs von 2021 macht sich die SPD jetzt Mut - und hofft auf Fehler von Merz. Und die anderen? Die Grünen können nach aktuellem Stand mit 11 bis 12 Prozent rechnen. Die FDP kratzt in den Umfragen an der 5-Prozent-Hürde, die Linke liegt klar darunter. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) könnte mit Werten von aktuell 5 bis 9 Prozent den Einzug in den Bundestag schaffen und die AfD ist mit 15 bis 19,5 Prozent die Nummer 2.
Pistorius als Alternative?
Erstmals wird es in einem Wahlkampf vier Kanzlerkandidaten geben. Nur beim amtierenden Kanzler Scholz ist noch nicht klar, wann er sich offiziell Kanzlerkandidat nennen darf. Die Parteispitze beteuert zwar, dass er es zweifellos werde. Der Vorstand verzichtete aber in seiner ersten Sitzung nach dem Ampel-Aus am Montag darauf, ihn formell zu nominieren - und ließ damit die innerparteiliche Debatte weiterlaufen, ob er der richtige Kandidat ist.
Es gäbe da eine aussichtsreiche Alternative: Verteidigungsminister Boris Pistorius ist seit Monaten in den Charts der beliebtesten Politiker unangefochten die Nummer eins. So mancher in der Partei denkt, dass es nur noch mit ihm eine Chance gibt, den Rückstand zur Union aufzuholen. Bisher trauen sich das aber nur einzelne aus der dritten und vierten Reihe zu sagen.
Aber selbst der sehr loyale Fraktionschef Rolf Mützenich registriert die Unruhe - und spricht darüber. "Ja, Grummeln ist da. Natürlich gibt es auch diese Stimmen", sagte Mützenich am Dienstagabend im ZDF-"heute journal" zu den Zweifeln an Scholz. Am Ende wisse die Partei aber, dass sie nur gemeinsam gewinnen könne, fügte er hinzu. Auf die Nachfrage, ob dies mit Olaf Scholz passieren werde, antwortete Mützenich: "Da bin ich fest von überzeugt."
Baerbock warnt vor "plumpen Schuldzuweisungen"
In der Antwort auf die Regierungserklärung des Bundeskanzlers hatte sich auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zu Wort gemeldet. Baerbock warnte vor einem Lagerwahlkampf mit "plumpen Schuldzuweisungen" und gegenseitigen Beschimpfungen. "Wir alle, wir sind tief verunsichert", sagte die Grünen-Politikerin in der Debatte über die Regierungserklärung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) eine Woche nach dem Scheitern der Ampel-Regierung im Bundestag. "Deswegen geht es jetzt darum, Sicherheit in unsicheren Zeiten zu geben. Sicherheit für uns, für unser Europa und unsere Nachbarn", fügte sie hinzu.
Baerbock verteidigte die Arbeit der früheren Ampel-Regierung und attackierte die Union. Diese habe sich nicht getraut, "in einfacheren Zeiten die großen Strukturreformen in unserem Land anzugehen". Baerbock war für den wegen einer Flugzeugpanne in Portugal gestrandeten Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eingesprungen. Auf entsprechende Zwischenrufe entgegnete sie: "Das nennt man übrigens Teamplay. Noch so eine alte Tugend, die Sie offensichtlich in der Union noch nicht mal mehr buchstabieren können."
Lindner: "Forderung nach politischer Unterwerfung"
FDP-Chef Christian Lindner mchte unterdessen Bundeskanzler Scholz nach seinem Rauswurf heftige Vorwürfe. Scholz sei es in Wahrheit gar nicht darum gegangen, die Schuldenbremse zur Unterstützung der Ukraine auszusetzen. "Es ging um etwas anderes: Das war die Forderung nach politischer Unterwerfung oder provoziertem Koalitionsbruch", sagte Lindner in seiner Antwort auf Scholz' Regierungserklärung.
Scholz hatte in der vergangenen Woche von Lindner verlangt, die Schuldenbremse des Grundgesetzes auszusetzen und so unter anderem mehr Hilfen für die Ukraine zu ermöglichen. Lindner weigerte sich, kurz danach kam es zum Bruch und Scholz schmiss seinen Finanzminister aus der Regierung.
Manchmal sei so eine Entlassung auch eine Befreiung, sagte der FDP-Chef. Die Neuwahl sei nun eine Chance. "Ich bin überzeugt, unser Land muss jetzt von links in die Mitte geführt werden", erklärte Lindner.
Weidel greift Scholz und Merz an
Auch AfD-Chefin Alice Weidel machte Scholz in der Aussprache schwere Vorwürfe: "Das, was Ihre Regierung diesem Land und seinen Bürgern angetan hat, ist beispiellos", sagte sie. Die Ampel habe wie keine Regierung zuvor Wohlstand zerstört und das Land geschädigt.
Weidel sprach von einer "aberwitzige(n) Politik der grünen Transformation" und einer Deindustrialisierung und griff die Regierung wegen ihrer Migrationspolitik an. "Auf den Straßen toben sich importierte Judenhasser aus", sagte Weidel.
Sie griff auch Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) scharf an und warf ihm Heuchelei vor. Er wolle keine Politikwende für Deutschland. "Ihnen geht es ganz allein um sich selbst, um Ihre Macht um Parteitaktiererei und vor allen Dingen um ihre Eitelkeit. Mit Ihnen als "Ersatz-Scholz" kommt Deutschland nicht voran."
Merz sei keine Alternative zu dieser Regierung und diesem Kanzler, sagte Weidel und attackierte Merz wegen der Absage der Union an eine Zusammenarbeit mit der AfD. "Sie stellen die Brandmauer über Deutschland, was für ein Ausbund an demokratischer Unkultur!" (dpa)
Kommentare (1)