Politik

Die Kinderkrankenpflege hat Nachwuchsprobleme. Viele befürchten, dass sich diese mit der Ausbildungsreform in der Pflege weiter verschärfen. (Foto: dpa/Henning Kaiser)

04.01.2023

Nachwuchssorgen in der Kindermedizin

In der Pädiatrie fehlen nicht nur Betten – es gibt vor allem auch zu wenig Ausbildungsplätze

Ein Kind im Krankenhaus? Das bedeutet immer Kummer. In diesem Winter sind die Sorgen größer denn je. Es fehlt an Betten und an Personal. Das Problem fängt schon beim Nachwuchs an: Es gibt zu wenig Ausbildungsmöglichkeiten. Die Politik ist jetzt gefragt.

„Über die letzten Wochen war die Situation sehr schwierig, da wir im Haus praktisch immer voll beziehungsweise meist sogar überbelegt waren“, sagt Johannes Hübner, der Leiter der pädiatrischen Infektiologie am Haunerschen Kinderspital des LMU Klinikums. Viele Kleinkinder sind gerade mit dem RS-Virus infiziert. Der Krankenstand ist auch beim Personal der insgesamt 43 Kinderkrankenhäuser und pädiatrischen Stationen in Bayern hoch. Ende Dezember hat sich die Lage ein wenig verbessert, wenn auch auf niedrigem Niveau, wie Hübner erklärt: „Im Moment ist es so, wie wir das auch aus den Jahren vor der Pandemie kennen – sicherlich eine angespannte Situation, vor allem wegen der vielen Ausfälle beim ärztlichen und pflegerischen Personal, aber insgesamt beherrschbar.“

Dass die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen derart unter Druck geraten konnte, hat verschiedene Ursachen. Zum einen hat das Aussetzen der allermeisten Corona-Maßnahmen bekanntlich eine heftige Welle verschiedener Atemwegserkrankungen angeschoben. Die Folge: mehr Patient*innen, weniger Personal. Zudem unterliegt die Kindermedizin stärker den jahreszeitlichen Schwankungen als die Erwachsenenmedizin, wie Hübner erklärt. „Die verschiedenen Infektwellen bringen die Kindermedizin jedes Jahr an ihre Grenzen. Das heißt überspitzt: übervolle Kliniken im Winter, teilweiser Leerstand im Sommer.“ Weite Transporte von kranken Kindern in andere Kliniken seien da nicht außergewöhnlich. Vor allem aber macht Hübner die Politik für die Misere verantwortlich, nämlich „Fehlanreize des Gesundheitssystems mit daraus resultierender Benachteiligung der Kinderheilkunde“.

„Rein ökonomisch betrachtet sind Kinder ein Verlustgeschäft“

Bettina Rödig, Präsidiumsmitglied von Verdi Bayern und Kinderkrankenpflegerin an der Klinik Schwabing in München, sieht das ähnlich. „Pflege erwirtschaftet keine Erlöse, sie ist ein reiner Kostenfaktor, darum wurde sie gekürzt und eingespart“, sagt Rödig. „Rein ökonomisch betrachtet sind Kinder ein Verlustgeschäft. Denn Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Man muss sie wickeln und füttern, nach ihnen schauen, sich mit ihnen beschäftigen, außerdem führen wir viele Elterngespräche. Das ist eine zwischenmenschlich sehr anspruchsvolle Aufgabe. Und damit verdient man im System der diagnosebezogenen Fallpauschalen kein Geld.“

Dabei ist die medizinische Versorgung bei Kindern besonders zeitintensiv. Bei einem Erwachsenen, der eine Infusion bekommen soll, genügt ein kurzes Aufklärungsgespräch. „Einem Kleinkind klebe ich erst mal ein Betäubungspflaster auf. Dann gebe ich vielleicht dem Teddybären einen Piks. Und beruhige das Kind und seine Eltern. Das sind Tätigkeiten, die Zeit kosten, aber nicht einkalkuliert werden. Dabei gilt doch: Je weniger Angst ein Kind hat, desto besser ist der Heilungsverlauf.“

Was die Misere komplett macht, ist der eklatante Mangel an Kinderpflegekräften. So fehlen etwa laut Alfred Holderied, Pflegedirektor am Haunerschen Kinderspital, am LMU Klinikum insgesamt 90 Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen.
Hoffnung setzt die Politik auf die deutschlandweite Ausbildungsreform zum Pflegefachmann oder zur Pflegefachfrau, die im Bund vor zwei Jahren in Kraft trat. Rund 12 400 junge Leute haben sich in Bayern für die Ausbildung entschieden, die eine Spezialisierung erst im dritten Ausbildungsjahr vorsieht; der erste Jahrgang wird in diesem Jahr verabschiedet.

Eine Evaluation der Maßnahme steht darum noch aus, Einfluss auf die derzeitige Situation hat die Reform noch keine. In München hätten sich 2021/22 lediglich zwei Auszubildende weniger für die Vertiefung Pädiatrie entschieden als vor der Reform, so Holderied. Rödig, die vor knapp zehn Jahren im Rahmen eines Erprobungsversuchs selbst eine generalistische Ausbildung gemacht hat, findet die Reform „nicht verkehrt“, die Verteilung allerdings „unfair“. „Man hat einen hohen Anteil an Alten- und einen geringen Anteil an Kinderkrankenpflege.“ Der Grund: In der Kindermedizin fehlen nicht nur Betten, sondern auch Ausbildungsmöglichkeiten.

„Wer den Wunsch hat, in die Kinderkrankenpflege zu gehen, muss sich einen Träger suchen, der eine vertiefte Ausbildung anbietet. Das ist aufwendig. Denn es gibt zu wenige Kinderstationen und Kinderkrankenhäuser.“ Für alle, die bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz leer ausgehen, bleibt nur der Pflichteinsatz von 120 Stunden – „sehr, sehr kurz“ findet das Rödig.

Zumal die Pädiatrie als besonders anspruchsvoll gilt. „Ich kenne viele, die gern in den Kinderbereich gingen, sich aber die Kinderkrankenpflege nicht richtig zutrauen. Es ist schwierig, einen Fuß reinzukriegen. Auf den Stationen begegnet einem Misstrauen, wenn man sein Fach nur bei den Erwachsenen gelernt hat. Kinderkrankenpflege wird als hochspezialisiert und professionell wahrgenommen.“

Rödig plädiert für verbesserte Arbeitsbedingungen, höhere Bezahlung, eine bedarfsgerechte Finanzierung des Gesundheitssystems – und eine Fachweiterbildung im Bereich Kinder, wie es sie etwa bereits als Spezialisierung in der Palliativmedizin und der Onkologie gibt. „Das wäre ein ganz wichtiger Schritt, um Leuten, die keine Vertiefung Pädiatrie gemacht haben, nach der Ausbildung den Einstieg in die Kinderkrankenpflege zu ermöglichen.“ (Monika Goetsch)
 

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