Es waren teils beängstigende Schlagzeilen, die zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise zu lesen waren: „Flüchtlinge: Der Kampf um Wohnungen beginnt“, titelte etwa „Die Zeit“. Und rechte Online-Medien verbreiten seither ein ums andere Mal, dass die gut 1,2 Millionen Menschen, die von 2015 bis 2018 einen Asylantrag gestellt haben, ärmeren Deutschen die Wohnungen wegnähmen. Die Staatszeitung hat sich umgehört.
Die Staatszeitung fragte als erstes Medium überhaupt bei den acht bayerischen Großstädten nach, wie viele Sozialwohnungen tatsächlich von Flüchtlingen bewohnt werden und ob deren Zahl seit dem Höhepunkt der Flüchtlingszuwanderung gestiegen ist. Auch an ausgewählte Kommunen im Großraum München ging ein entsprechender Fragenkatalog.
Die Antworten fallen zwar nicht eindeutig aus. Doch klar ist: Die Flüchtlinge verschärfen zwar den Mangel an bezahlbaren, vom Staat mitfinanzierten Wohnungen, aber in einem weit geringeren Ausmaß, als es rechte Rattenfänger glauben machen wollen.
Gerade einmal 223 Sozialwohnungen in Nürnberg gingen seit 2016 an Flüchtlinge
Die Zahl der Geflüchteten in Sozialwohnungen ist in manchen Städten durchaus beachtlich. Doch von einer massenhaften Zunahme aufgrund der Flüchtlingswelle 2015 und 2016 kann – zumindest bislang – keine Rede sein. Hauptursache für die oft jahrelangen Wartezeiten auf Sozialwohnungen in Bayerns Metropolen ist nicht die Zuwanderung von Schutzsuchenden, sondern schlicht das Versagen von Bund, Freistaat und manchen Kommunen. Schließlich hatte der Staat in den vergangenen drei Jahrzehnten den Bau von geförderten Wohnungen massiv zurückgefahren. Die Zahl der Sozialwohnungen im Freistaat sank seit 1988 von gut einer halben Million auf zuletzt rund 137.000.
Beispiel Nürnberg. In der Frankenmetropole gibt es aktuell nur mehr etwa 18.100 sozial gebundene Wohnungen. „Seit 2016 sind 293 Flüchtlingshaushalte in öffentlich geförderten Wohnungen untergekommen“, sagt Dieter Maly, Dienststellenleiter des städtischen Sozialamts. Für die Vorjahre gibt es keine Zahlen. Da die Schutzsuchenden in der Regel bis zur Anerkennung ihres Flüchtlingsstatus in Gemeinschaftsunterkünften leben und die Bearbeitung von Asylanträgen gerade in den Jahren 2014 und 2015 oftmals sehr lange dauerte, ist aber davon auszugehen, dass in den Jahren zuvor relativ wenige Flüchtlinge in Sozialwohnungen eingezogen sind. Ihr absoluter Anteil dürfte also relativ gering sein. „Einen Verdrängungswettbewerb sehe ich nicht“, sagt jedenfalls Behördenleiter Maly.
Klar ist: Anders als rechte Kreise gerne behaupten, ist es für anerkannte Flüchtlinge – zumindest in Nürnberg – sogar noch schwerer als für viele Deutsche, eine geeignete Wohnung zu finden. Viele Schutzsuchende, die einen sicheren Bleibestatus haben, dürften zwar in eigene Wohnungen ziehen, finden aber schlicht nichts. Sie bleiben in den Asylbewerberheimen und anderen Sammeleinrichtungen. „Unsere Unterkünfte sind derzeit noch mit 5100 Bewohnern belegt, davon sind etwa 40 Prozent Fehlbeleger, also Auszugsberechtigte mit Bleiberecht“, so Maly. Viele versuchen es nicht einmal. Nur jeder 13. der 12.000 Wohnungssuchenden auf der städtischen Warteliste für eine Sozialwohnung ist ein Flüchtlingshaushalt.
Auch in München ist der Einfluss der Flüchtlingswelle auf die Wohnungsmisere überschaubar. So zählte die Stadt Ende Juni fast 86.100 Sozialwohnungen. An der Isar ist zwar die Zahl der Flüchtlinge unter den Mietern nicht erfasst, jedoch seit 2016 die Staatsangehörigkeit. Ein ungefähres Lagebild lässt sich erhalten, wenn man die Zahl der Haushalte in den geförderten Wohnungen aus den neun wichtigsten Fluchtstaaten sowie die Zahl der Staatenlosen analysiert.
München: Der Großteil der neuen Sozialwohnungen ging nicht an Flüchtlinge
Zahlen des Bundes zufolge gehört der weit überwiegende Großteil aller in Deutschland zuletzt angekommenen Flüchtlinge dieser Gruppe an. Es handelt sich dabei um: Syrer, Iraker, Nigerianer, Türken, Afghanen, Iraner, Georgier, Somalier, Eritreer sowie Staatenlose. Von über 70.200 Wohnungen an der Isar ist aktuell die Staatsbürgerschaft der Mieter erfasst: In fast 13.100 dieser Wohnungen lebten Menschen aus den Hauptfluchtstaaten. Allerdings waren darunter auch mehr als 8200 Türken, von denen der Großteil schon lange in Deutschland lebt; von diesen wiederum war nur ein äußerst geringer Anteil Asylbewerber. Das bedeutet: 4851 Haushalte stammen aus den Hauptfluchtstaaten – ohne Türkei: Im Jahr 2016 waren es 3428. So nahm etwa die Zahl der Iraker seit 2016 um gut die Hälfte von 987 auf 1486 zu, die der Afghanen um gut ein Drittel auf rund 1400 und die der Syrer verdreifachte sich auf 450.
Klar ist: Die These, dass Geflüchtete seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise massenhaft Deutsche aus den Sozialwohnungen drängen, lässt sich auch in der Landeshauptstadt nicht halten. Seit Ende 2015 entstanden in München fast 9800 zusätzliche Sozialwohnungen. Der Mehrbedarf an Wohnungen für Flüchtlinge aus den wichtigsten Fluchtstaaten (ohne Türkei) in der gleichen Zeit belief sich jedoch nur auf 1400.
Doch klar ist auch: Steuert die Stadt nicht durch den Bau von noch viel mehr Sozialwohnungen als bisher gegen, könnte sich die Situation bald verschärfen. Denn rund ein Viertel der laut Sozialreferat gut 13.000 Haushalte auf der Warteliste für eine Sozialwohnung kommt aus einem der Hauptfluchtstaaten – ohne Türkei.
Haben es Migranten bei der Vergabe von Sozialwohnungen leichter?
Zur Wahrheit gehört freilich: Jede von einem Flüchtling bezogene Sozialwohnung fehlt einem Einheimischen. Da laut Münchner Sozialreferat die Staatsangehörigkeit „für die Wohnungsvergabe nicht relevant ist“, sondern die Bedürftigkeit zählt, kann in der Praxis eine afghanische Familie im Einzelfall den Vorzug vor einem deutschen Single erhalten.
Zudem bauten städtische Wohnungsbaugesellschaften Sozialwohnungen speziell für Flüchtlinge, was für Unmut sorgte. Von einer generellen Bevorzugung von Migranten kann aber keine Rede sein. Denn es gibt ein Punktesystem, bei dem eine Vielzahl von Faktoren wie die Gesundheit, Familienstatus oder die wirtschaftlichen Verhältnisse der Wohnungssuchenden miteinfließt.
Dass es Migranten nicht leichter haben, belegen folgende Zahlen: Demnach sind zwar etwa vier von zehn registrierten Haushalten ausländisch, bei der Vergabe kommt im Durchschnitt aber dennoch auf jeden Haushalt mit fremdem Pass (52 Prozent) ein Deutscher (48 Prozent).
In anderen bayerischen Kommunen verhält es sich oft ähnlich. Dies liegt auch daran, dass bei gleicher Dringlichkeit vielerorts – wie etwa in Augsburg – miteinfließt, wie lange ein Mensch bereits in einer Stadt lebt. Stephan Dünnwald, Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats, behauptet, dass Flüchtlinge von zahlreichen Sozialbehörden bei der Vergabe gezielt benachteiligt werden. Diese bestreiten das.
Viele Kommunen haben keine Statistik
Zwar wird im statistikbegeisterten Deutschland oft jede noch so belanglose Zahl erfasst. Dennoch gaben sechs der acht bayerischen Großstädte ebenso wie diverse kleinere Kommunen an, dass sie die Nationalität ihrer Mieter ebenso wenig kennen wie die Zahl der in den Wohnungen lebenden anerkannten Flüchtlinge. Da aber zumindest die Zahl der Flüchtlinge auf den Wartelisten für die Sozialwohnungen vielerorts registriert ist, lässt sich sagen, dass es zwar mancherorts spürbare Konkurrenz durch Flüchtlinge auf dem geförderten Wohnungsmarkt gibt, von einer Verdrängung in größerem Umfang jedoch zumindest in den meisten Kommunen keine Rede sein kann.
Auf der Warteliste für eine Sozialwohnung in Augsburg hat etwas mehr als jeder fünfte Haushalt einen Pass aus einem der zehn Hauptfluchtländer. In Fürth ist es dagegen nur jeder 15. Auf die gut 3600 Würzburger Sozialwohnungen warteten zuletzt fast 700 Würzburger – gut jeder vierte kam aus einem der wichtigsten Fluchtstaaten. 2016 war dies allerdings noch fast jeder dritte.
Und auch, wenn Geflüchtete dank eines Jobs in Großstädten auf dem freien Markt eine Wohnung finden, fehlt diese bei einem äußerst angespannten Wohnungsmarkt de facto für Einheimische. Konflikte können nur durch intensive Anstrengungen beim öffentlich geförderten Wohnbau vermieden werden. Und hier gab es zuletzt zumindest mancherorts ein Umdenken. Bayernweit stieg die Zahl der Sozialwohnungen 2018 leicht an. Nicht nur bei der Stadt Nürnberg hofft man deshalb auf ein „Licht am Ende des Tunnels“. (Tobias Lill)
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