Jamila Schäfer (Grüne)
„Total dankbar!“ war sie nicht nur am Wahlabend. Auch Tage später erklärt Jamila Schäfer: „Ich bin noch immer dabei, das zu realisieren.“ Die 28-Jährige hat etwas geschafft, was es bei einer Bundestagswahl in Bayern noch nie gab: Sie holte für die Grünen ein Direktmandat – im Wahlkreis München-Süd.
Zeit zum Durchschnaufen blieb der jungen Politikerin bisher kaum. Als Mitglied des Grünen-Parteivorstands ist sie nämlich auch in die anstehenden Sondierungsgespräche eng eingebunden. „Gerade fühlt sich jeder Tag an wie zwei Wochen“, sagt sie lachend. Von Ermüdung aber keine Spur. Energisch erklärt sie, welche Punkte ihr bei den Verhandlungen besonders wichtig sind. Klimaschutz natürlich: „Wir haben nur noch wenig Zeit!“ Dazu kommt der Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen. Außerdem brauche es eine gezielte Förderung von kommunalen Investitionen, sagt sie. „Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist das brennende Thema, mit dem die Menschen in München im Wahlkampf immer wieder auf mich zukamen.“
Schäfer hat bei den Grünen bereits eine steile Karriere gemacht. Eingetreten ist sie nach dem Abi. Am Gymnasium lernte Schäfer bei Schulstreiks gegen die bayerische Bildungspolitik die Grüne Jugend kennen. „Die Einführung des achtjährigen Gymnasiums war über den Köpfen der Schülerschaft entschieden worden. Wir fühlten uns damals richtig ohnmächtig“, erklärt Schäfer. Ihre Hartnäckigkeit und Eloquenz fielen auf: Schäfer wurde 2012 Sprecherin der Grünen Jugend, erst in Bayern, dann auf Bundesebene. Seit 2018 ist sie Vizeparteivorsitzende.
Was sie konkret vorhat im Bundestag, mag sie noch nicht verraten. Dafür aber, was sie im Sommer 2022 vorhat: Schäfer, die Soziologie und Philosophie studiert hat, will in der nächsten parlamentarischen Pause ihre Abschlussarbeit schreiben. „Dafür blieb mir in den vergangenen dreieinhalb Jahren neben der Politik einfach keine Zeit.“
Ates Gürpinar (Linke)
„Klar, gefreut habe ich mich schon“, sagt Ates Gürpinar. „Die politischen Probleme sind aber größer als meine persönliche Freude.“ Knapp war der Einzug in den Bundestag nicht nur für den 37-Jährigen aus Rosenheim, sondern für die gesamte Partei, die lediglich 4,9 Prozent der Stimmen bekam. Nur dank der Sonderregel, dass drei gewonnene Direktmandate die Fünfprozenthürde aufheben, dürfen nun 39 Linke in den Bundestag einziehen. Dennoch: „Das Ergebnis ist nicht nur für uns als Partei desaströs“, so Gürpinar. „Sondern vor allem auch deshalb, weil zentrale Fragen wie die Verteilung von Armut und Reichtum nun kein so großes Gewicht haben werden.“
Die Linke hat es in Bayern traditionell sehr schwer, besonders jenseits der größeren Städte. Gürpinar zog deshalb sogar von München nach Rosenheim. „Das war eine politische Entscheidung, um dort links von der CSU etwas aufzubauen“, sagt er und schiebt nach: „Die Stadt ist aber auch sehr schön.“
Gürpinar ist seit 2016 Landessprecher der Linken. Viele schreiben es auch ihm zu, dass die Mitglieder seitdem mehr und jünger geworden sind. Im Februar 2021 wurde er gar Vize der Bundespartei. Gürpinar, dessen Vater aus der Türkei kommt, ist in Darmstadt aufgewachsen. Zum Studium der Theater- und Medienwissenschaften zog es ihn nach Erlangen, über die damaligen Bildungsproteste kam er zu den Linken, 2010 trat er in die Partei ein. Eine politische Alternative gab es für ihn, dem vor allem soziale Gerechtigkeit und Frieden wichtig sind, nie. „Schließlich haben ja auch SPD und Grüne die gesellschaftlichen Verhältnisse mitgeprägt.“
Im Bundestag hofft er nun aber, sich um Gesundheits- und Pflegethemen kümmern zu dürfen. So wie sein Vorgänger Harald Weinberg, der nicht mehr zur Wahl antrat. In seiner Freizeit läuft Gürpinar viel – und guckt alte Filme. Vor allem Italo-Western. Jetzt steht in Berlin aber erst einmal die schwierige Wohnungssuche an. Dass die Berlin.er*innen am Tag der Bundestagswahl mehrheitlich für die Enteignung von Wohnungskonzernen gestimmt haben, freut Gürpinar. „Aber mir persönlich wird das wohl noch nicht viel bringen“, seufzt er.
Muhanad Al-Halak (FDP)
Er zählt zu den jüngsten Neuzugängen im Bundestag: der 32-jährige Niederbayer Muhanad Al-Halak. Dass er es geschafft hat, erfuhr der aus dem Irak stammende Abwassermeister erst am Morgen nach der Wahl. Geschlafen hat er in der Wahlnacht vor lauter Aufregung eh nicht.
Mit seiner Biografie sei er nicht der typische Liberale, sagt Al-Halak. Er sieht das als Chance. Und will sich im Bundestag vor allem um die Themen Migration und berufliche Bildung kümmern. „Ich kann durch meine Biografie ein Vorbild sein“, stellt er klar. Dafür, dass „weder Hautfarbe noch Elternhaus eine Rolle spielen müssen, wenn es darum geht, seine Ziele zu erreichen“.
Al-Halak kam im Jahr 2001 mit seinen Eltern von Bagdad nach Grafenau. Ohne deutsche Sprachkenntnisse. In der Schule, erinnert er sich, „wurde ich sehr herzlich aufgenommen und nicht anders behandelt“. So lernte er schnell Deutsch, engagierte sich ehrenamtlich und begann, sich für Politik zu interessieren. Durch Zufall begegnete er 2016 zur Hoch-Zeit der Flüchtlingskrise dem örtlichen FDP-Bundestagsabgeordneten. Dieser freute sich über das Interesse des jungen Mannes, nahm ihn mit zum Politischen Aschermittwoch – wo Al-Halak den FDP-Chef Christian Lindner traf. Der sagte zu Al-Halak, er sei „das beste Beispiel für gelungene Integration“. Lindner fragte: „Sind Sie schon FDP-Mitglied?“ Antwort von Al-Halak: „Ab heute!“
Und so begann sein Engagement bei den Liberalen. Im Jahr 2020 kandidierte er für den Stadtrat und den Kreistag Freyung-Grafenau. Bei der Kommunalwahl fuhr er „ein super Ergebnis“ ein, sagt Al-Halak. In der FDP hatte man längst sein Potenzial erkannt, er wurde gefragt, ob er für den Bundestag kandidieren wolle. Da musste er nicht lang überlegen: „Ich hab gleich Ja gesagt.“
Dass er es nun geschafft hat, erfüllt ihn und vor allem auch seine Eltern mit Stolz. „Das Gefühl war unglaublich für uns.“
Trotz seiner Blitzkarriere hat sich Al-Halak vorgenommen, nicht abzuheben. Der unverheiratete Neuabgeordnete will weiterhin in Grafenau wohnen bleiben, in Berlin im Hotel schlafen und immer „schnell von der Hauptstadt in den Wahlkreis zurückkommen“. Auf kommunalpolitischer Ebene möchte der begeisterte Jogger und Golfer weiterhin aktiv bleiben. Für einen wie ihn gibt’s überall viel zu tun.
Christoph Schmid (SPD)
Dass er es schaffen würde in den Bundestag, war mit Blick auf die Wahlprognosen absehbar. Überwältigt war Christian Schmid (45) trotzdem. „Es ist ein erhebendes Gefühl, diesem Parlament anzugehören“, sagt der schwäbische SPD-Politiker. Man erwischt ihn am Handy zwischen zwei Terminen. Mit den neuen Abläufen muss sich der verheiratete Vater zweier Töchter im Alter von acht und elf Jahren noch vertraut machen: „Es geht hier komplett durch“, staunt er. Zwei Fraktionssitzungen hat er in Berlin bereits hinter sich gebracht, bei einer präsentierten sich die parlamentarischen Neuzugänge. Auch Kanzlerkandidat Olaf Scholz habe sich hier ganz bescheiden als „neu gewählter Bundestagsabgeordneter“ vorgestellt, berichtet Schmid.
Noch ist er Bürgermeister im heimischen 1700-Einwohner-Ort Alerheim – dieses Amt wird er nun, nach 13 Jahren, niederlegen. Sein Kreistagsmandat behält er.
Schmid hat Politikwissenschaft studiert; seine Magisterarbeit schrieb er über die Inszenierung von Wahlparteitagen. Weil die Job-aussichten damals nicht rosig waren, entschied er sich für eine Karriere beim Lebensmitteldiscounter Lidl, wo er rasch zum Verkaufsleiter aufstieg. Er blieb zwei Jahre, wechselte dann als Arbeitsvermittler zur Bundesagentur für Arbeit.
SPD-Mitglied ist er seit 2002, in der Partei aktiv wurde er erst 2008. Er kandidierte ohne jede politische Erfahrung für eine freie Liste als Bürgermeister in Alerheim – und kegelte den langjährigen Amtsinhaber von der CSU aus dem Amt. Doch nach 13 Jahren suchte er eine neue Herausforderung als Bundestagsabgeordneter. Seine Interessenschwerpunkte sind die Bereiche Arbeit und Soziales sowie die Außen- und Sicherheitspolitik. Als wichtigstes Anliegen nennt er die schnelle Anhebung des Mindestlohns.
Zuvor muss er sich in Berlin noch eine kleine Wohnung suchen. Eine Riesenumstellung sei das nun alles, für ihn, seine Frau und die Kinder, sagt Schmid. „Da müssen wir uns als Familie jetzt reinfinden.“
Jonas Geissler (CSU)
Die Fußstapfen, in die Jonas Geissler steigt, sind riesengroß. Im Wahlkreis Coburg tritt der 37-Jährige die Nachfolge von Hans Michelbach als direkt gewählter CSU-Abgeordneter an. Michelbach gehörte dem Bundestag seit 1994 an, war dort Obmann der Unionsfraktion im mächtigen Finanzausschuss und leitete über Jahre die CSU-Mittelstandsunion. Geissler weiß um das schwere Erbe. Er trete es „demütig und mit Respekt“ an.
Ein heuriger Hase ist Geissler aber auch nicht. Er kennt Michelbach, seit er als 18-Jähriger in dessen Bundestagsbüro ein Praktikum gemacht hat. Außerdem war Geissler erst Bezirkschef der Schüler-Union, später zehn Jahre lang der Jungen Union in Oberfranken. Aktuell ist er Vorsitzender der CSU-Fraktion im Stadtrat von Kronach. Während seines Politik- und Geschichtsstudiums arbeitete Geissler als Referent im Stimmkreisbüro des damaligen Umweltministers Werner Schnappauf, nach dem Studium leitete er das Abgeordnetenbüro des späteren Bauministers Hans Reichhart.
Im bayerischen Bauministerium arbeitete er zuletzt als Fachreferent. Wegen dieser beruflichen Vorbelastung würde Geissler im Bundestag gerne den Schwerpunkt Bauen und Verkehr bearbeiten, zumal es dafür auch zahlreiche Anknüpfungspunkte in seinem Wahlkreis gebe.
Dass er nun womöglich als Oppositioneller in sein Abgeordnetenleben starten muss, hatte sich Geissler Mitte 2020 bei seiner Entscheidung, ein Bundestagsmandat anzustreben, natürlich nicht vorgestellt. Wie sich das anfühlt, könnte er sich von Michelbach erzählen lassen, den dieses Schicksal während der rot-grünen Regierungsjahre ereilte.
Gerrit Huy (AfD)
Mit 68 Jahren startet Gerrit Huy für die AfD eine zweite Karriere im Bundestag. Als Kandidatin im oberbayerischen Wahlkreis Weilheim schaffte sie es als einzige Neue in die Riege der zwölf verbliebenen AfD-Abgeordneten aus dem Freistaat. Huy will, so hat sie es im Wahlkampf erklärt, Erfahrung als Frau in die männerdominierte Bundestagsfraktion bringen – und die hat die Mutter dreier Kinder nach einem langen Berufsleben reichlich. Nach dem Mathematik- und Volkswirtschaftsstudium in Hamburg und den USA stieg Huy 1986 bei der Daimler-Benz AG ein, wo sie bis in die oberen Management-Ebenen aufstieg. Es folgten Führungsjobs im Medienimperium des Leo Kirch und beim Computerhersteller Compaq. Zuletzt beriet sie in München Start-up-Unternehmen.
Zeit für das bereits länger angestrebte politische Engagement sei da nicht geblieben, berichtete sie. Erst im Ruhestand schloss sich Huy 2017 der AfD an, es war eine Art solidarischer Akt. Denn dass ausgerechnet der sich in der Partei engagierende frühere Industrieverbandspräsident Hans-Olaf Henkel, den sie von früher beruflich kannte, als „Nazi“ beschimpft worden sei, habe sie nicht tatenlos akzeptieren wollen. In der AfD ist Huy dann ebenfalls schnell eingebunden gewesen, sie hat maßgeblich am Rentenkonzept der Partei mitgeschrieben. Im Bundestag will sie die Sozial- und Rentenpolitik zu ihrem Schwerpunkt machen. Am Flügelkampf der AfD mag sich Huy nicht beteiligen. Sie stehe in der Mitte, sagt sie.
(Angelika Kahl, Waltraud Taschner, Jürgen Umlauft)
(Fotos: dpa, BSZ, A. Jaksch)
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