Politik

Welche Fraktionen im Bundestag ringen sich zu einer Koalition durch? Einiges deutet nun doch auf Schwarz-Rot hin. (Foto:dpa)

24.11.2017

Neuwahlen? Bloß nicht!

Immer mehr SPD-ler kritisieren Martin Schulz’ Strategie

Kommt jetzt doch die Große Koalition? Oder eine Minderheitenregierung? Immer mehr SPD-ler sind sauer auf Parteichef Martin Schulz, der nach dem Jamaika-Aus sein Nein zu Schwarz-Rot bekräftigt hat. Die Staatszeitung hat sich umgehört bei SPD-Leuten aus Bund, Land und Kommunen. Marianne Schieder, Bundestagsabgeordnete aus Weiden:
„Es kann nicht sein, dass sich die SPD Gesprächen über eine Große Koalition verweigert! Natürlich ist es demokratietheoretisch schwierig, wenn es jahrelang große Koalitionen gibt. Aber wenn es, so wie derzeit, keine Regierungsbildung gibt, muss man darüber reden. Ich denke, dass diese Erkenntnis sich durchsetzen wird. Sicher, die Parteibasis ist gegen die GroKo, aber sie will auch keine Neuwahl. In der Fraktionssitzung am Montag haben sehr viele Kollegen für Gespräche mit der Union plädiert. Ich hatte dazu auch ein Gespräch mit Martin Schulz. Und siehe da: Er konnte meine Argumente nachvollziehen.“ Ewald Schurer, Bundestagsabgeordneter aus Erding-Ebersberg:
„Nach dem Scheitern des Jamaika-Deals hat sich eine andere Situation ergeben. Das sieht die überwältigende Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion so, auch wenn die meisten nach wie vor gegen die GroKo sind. 90 Prozent der Abgeordneten haben in der Fraktionssitzung kritisiert, dass der Parteivorstand ohne Rücksprache mit der Fraktion für Neuwahlen plädiert hat. Man muss aber schon mit den betroffenen Menschen reden!“ Florian Töpper, Landrat von Schweinfurt:
„Die SPD sollte sich unter den gegebenen Umständen offen für Verhandlungen und damit handlungsfähig für das Land zeigen. Der Bundespräsident hat Recht, wenn er an die gemeinsame Verantwortung appelliert, Neuwahlen tunlichst zu vermeiden. Sie könnten die Extremen abermals stärken. Ein erneuter Urnengang kann also nur Ultima Ratio sein – an diesem Punkt ist man nach meiner Wahrnehmung noch lange nicht angekommen. Sicher wäre es nicht leicht, der AfD die Rolle der Oppositionsführung zu überlassen. Mindestens genauso schwer sollte es aber fallen, jetzt Gespräche mit den Parteien zu verweigern, mit denen man in der vergangenen Legislaturperiode das Land sehr solide regiert hat.“ Heinrich Trapp, Landrat von Dingolfing-Landau:
„Es ist nicht gut, dass sich die SPD jetzt ins Abseits und in den Schmollwinkel stellt. Wenn man sich um das Wählervotum bemüht, dann steht man auch in einer gesamtstaatlichen Verantwortung. Und meine Partei sollte mal darüber nachdenken, warum sie so viele Wähler verloren hat – speziell an die AfD.“ Jürgen Dupper, Oberbürgermeister von Passau:
„Die SPD hat ab 1998 insgesamt 15 Jahre lang Verantwortung in der Bundesregierung übernommen. Am Ende standen bei der letzten Bundestagswahl 20,5 Prozent. Dies ist ein deutliches Signal der Wählerinnen und Wähler und mit Sicherheit kein Regierungsauftrag.“ Andreas Lotte, Landtagsabgeordneter aus München:
„Es war richtig, nach der Bundestagswahl, zu sagen: Wir haben verstanden und gehen in die Opposition. Jetzt aber stehen wir vor einer völlig neuen Situation. Alle demokratischen Parteien, und damit auch die SPD, stehen in der Verantwortung, eine stabile Regierung hinzubekommen. Neuwahlen sollten immer die letzte Option sein. Eine Neuauflage der GroKo ist nicht mein Wunsch, aber die kategorische Ansage von Schulz war vorschnell. Die SPD muss bereit sein, Verantwortung zu tragen. Deswegen sollten nicht Funktionäre, sondern die Mitglieder entscheiden, ob sie für oder gegen eine Große Koalition sind.“ Harald Güller, Landtagsabgeordneter aus Neusäß bei Augsburg:
„Bei der Bundestagswahl sind wir ganz klar abgestraft worden für die Politik der vergangenen Jahre. Wir haben keinen Auftrag bekommen für eine Große Koalition – momentan sehe ich keinen Weg dahin.“ Martin Güll, Landtagsabgeordneter aus Dachau:
„Dass die SPD-Granden am Tag der Bundestagswahlen die Ansage machten, ohne Wenn und Aber in die Opposition zu gehen, war gut und richtig! Zum damaligen Zeitpunkt. Doch jetzt haben die Vorzeichen sich verändert. Mit dem Rückzug der FDP aus den Sondierungsgesprächen für eine mögliche Koalition können wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen nicht die Verantwortung wegschieben. Da hat unser Bundespräsident Recht. Neuwahlen sehe ich sehr kritisch. Schon aus ganz pragmatischen Gründen: Wie sollen die Ortsvereine jetzt wieder für Wahlkampf mobilisiert werden? Und: Wie sollen wir das finanzieren? Denkbar wäre ein Mitgliederentscheid. Und eine Große Koalition sollte nicht ausgeschlossen werden – aber wenn, dann nur mit neuem Personal, also ohne Merkel und auch ohne Schulz!“ Florian von Brunn, Landtagsabgeordneter aus München:
„Ich glaube, die Mehrheit der SPD-Mitglieder will nicht in eine GroKo. Aber ich finde, dass wir mit den anderen Parteien unbedingt Gespräche führen müssen. Die Frage ist eine echte Zerreißprobe für die SPD. Wir stecken in einem Dilemma. Eine GroKo, in der die SPD faule Kompromisse eingehen muss, ist schlecht für die Partei. Aber mit einem Hurra in Neuwahlen gehen, können wir natürlich auch nicht, vor allem nicht mit der Ansage, in die Opposition zu gehen. Die Entscheidung, welcher Weg der Beste ist, sollte mit der Parteibasis intensiv diskutiert werden.“ Natascha Kohnen, Landtagsabgeordnete, Chefin der Bayern-SPD:
„Die letzten Monate der Großen Koalition haben gezeigt, dass die Gemeinsamkeiten zwischen den Koalitionspartnern restlos erschöpft waren. Die Wählerinnen und Wähler haben dies auch erkannt und diese Koalition mit einem Minus von 14 Prozent abgestraft. Den höchsten Verlust einer Regierungskoalition seit Jahrzehnten. Das ist für uns eine klare Ansage, dass eine Große Koalition nicht mehr gewünscht ist – da sollte man nichts verklären. Der Bundespräsident hat aber nun die Aufgabe, den demokratischen Prozess zu steuern und fordert auch von uns Gespräche in Bezug auf eine Regierungsbildung, denen wir uns als Demokraten nicht verschließen können. Neuwahlen dürfen aber bei diesem Prozess nicht ausgeschlossen werden.“ Ulrich Maly, Oberbürgermeister von Nürnberg, Vizechef des deutschen Städtetags:
„Wenn es die Politik in Berlin nicht schafft, eine Regierung zustande zu bringen, ist das ein Armutszeugnis und ein Beitrag zur Politikverdrossenheit. Das gilt für die, die jetzt sondiert haben, aber auch für uns.“ Andreas Schwarz, Bundestagsabgeordneter aus Bad Berleburg:
„Es kann nicht sein, dass man so lange wählen lässt, bis das Ergebnis passt!Und Martin Schulz kann nicht alleine entscheiden, wie es weitergeht. Ich sehe da verschiedene Möglichkeiten: Neben der Großen Koalition gibt es ja auch die Möglichkeit einer Minderheitenregierung. Jedenfalls müssen Demokraten immer miteinander reden – da hat Steinmeier Recht. Man könnte auch mal die Basis befragen, was sie will. Nach meinem Eindruck bröckelt das Nein der Basis zur Großen Koalition. Außerdem: Die GroKo hat in den vergangenen vier Jahren erfolgreich gearbeitet. Es ist viel passiert: bei den Themen Leiharbeit, Werkverträge, Rente oder bei der finanziellen Entlastung von Ländern und Kommunen. Die Große Koalition war für Deutschland jedenfalls keine Katastrophe.“
( Angelika Kahl, André Paul, Waltraud Taschner)

Kommentare (1)

  1. RotGelb am 24.11.2017
    Warum sollen sich die Sozialdemokraten opfern nur weil sich Frau Merkel unbehaglich fühlt in einer Minderheitsregierung? Die Kanzlerin und ihr Wasserträger Altmaier haben ja nie ein Hehl gemacht aus ihrer Präferenz für die Grünen. Nun soll sie mal loslegen. Umgedreht ist es Zeit, dass such in der gemeinsamen Opposition SPD und FDP nach 35 Jahrenn Zwist wieder einander annähern. Die Jahre unter Helmut Schmidt in der sozial-Liberalen Koalition waren nicht die schlechtesten für Deutschland
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