29 sogenannte Sondervermögen gibt es bereits in Deutschland – nun kommt ein weiteres mit 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur hinzu. Das finden nicht alle gut. Der Bundesrechnungshof etwa fordert dringend, derlei Schattenhaushalte zu verringern.
Es war eine deutliche Analyse: Bereits 2019 bezifferten Forscher des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) den Investitionsbedarf in die deutsche Infrastruktur auf rund 460 Milliarden Euro. Doch die damalige GroKo blieb weitgehend untätig – wie die Ampel: Brücken, Straßen, Schienen und W-Lan-Netz gammelten weiter vor sich hin. Im vergangenen Jahr bezifferte das arbeitgebernahe IW den „zusätzlichen öffentlichen Investitionsbedarf“ für die kommenden zehn Jahre dann bereits auf knapp 600 Milliarden Euro. Die Forscherinnen und Forscher empfahlen, diesen „durch zusätzliche Kreditaufnahme abzudecken“. Auch andere Institute wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) blasen seit Jahren in dasselbe Horn – auch deshalb, weil ein Infrastrukturprogramm die Wirtschaft massiv ankurbelt.
Doch es dauerte bis zu diesem Frühjahr, bis sich SPD, Union und Grüne auf das größte Investitionspaket der Bundesrepublik einigten. Seit am vergangenen Freitag auch der Bundesrat zustimmte, steht fest: Eine halbe Billion Euro sollen in den kommenden zwölf Jahren für Infrastruktur und Klimaschutz verwendet werden. Als Sondervermögen kommt die Summe ins Grundgesetz und ist von der Schuldenbremse ausgenommen.
100 Milliarden von diesen 500 Milliarden Euro werden den Ländern für Investitionen zur Verfügung gestellt – in der Praxis werden diese wohl große Teile an die Kommunen weitergeben. Weitere 100 Milliarden Euro fließen in den Klima- und Transformationsfonds.
Das Geld darf nicht zum Stopfen von Haushaltslöchern verwendet werden. Es müssen zusätzliche Investitionen getätigt werden, wie es nun im Grundgesetz heißt. Auf das Geld soll den Regularien zufolge erst zugegriffen werden, wenn die Ausgaben für Investitionen 10 Prozent des Bundeshaushalts überschreiten. Ausgenommen von der Zusätzlichkeitsklausel sind die Mittel, die den Ländern zur Verfügung gestellt werden.
Wofür das Geld aus dem Infrastrukturpaket konkret eingesetzt wird, soll der Bundestag per einfachem Gesetz beschließen. Darüber, dass mehr Geld in Schienen, Straßen, Wasserwege, Brücken, Schule, den Bau von Kitas oder in kommunale Wärmenetze gesteckt werden muss, besteht unter Parteien und Experten weitgehend Einigkeit – doch die Finanzierung über Schulden bereitet nicht wenigen Bauchschmerzen.
Die neuen Schulden werden nach und nach aufgenommen. Deshalb sind die Zinszahlungen anfangs gering und steigern sich jährlich. Für das Jahr 2035 beläuft sich die Zinsbelastung dann auf 37 Milliarden Euro, wie der Bundesrechnungshof schätzt. Darin enthalten sind auch die Zinsen für die voraussichtlichen zusätzlichen Verteidigungsausgaben im dreistelligen Milliardenbereich. Demnach müsste Deutschland dann jährlich so viele Zinsen bezahlen, wie der Staat derzeit in einem Monat an Steuern einnimmt. Allerdings ist in der Schätzung nicht einberechnet, dass die Investitionen das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und damit letztlich auch die Staatseinnahmen steigern werden. Zumindest ein Teil der Ausgaben wird sich laut Ökonomen amortisieren.
Sondervermögen gibt es seit den 1950er-Jahren
Der Begriff Sondervermögen klingt dennoch erst einmal gut. Doch letztlich bedeutet er nichts anderes als neue Schulden – an der Schuldenbremse vorbei. Denn dieser zufolge darf sich der Bund jährlich nur mit maximal 0,35 Prozent des BIP neu verschulden. Lediglich nach Feststellung einer Notlage – etwa bei Naturkatastrophen oder Krieg – darf der Bund von dieser Regelung abweichen.
Ausgenommen von der Schuldenbremse sind die meisten Sondervermögen. Davon gab es zuletzt 29 – das älteste ist mehr als sieben Jahrzehnte alt: Das Treuhandvermögen für den Bergarbeiterwohnungsbau wurde 1951 eingerichtet. Ebenfalls aus den 1950er-Jahren stammt das Sondervermögen aus dem European Recovery Program (ERP = Marshallplan) zum Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft. Das ERP-Sondervermögen finanziert sich allerdings schon lange aus eigener Kraft. Denn mit dem ERP-Kapital verleiht die KfW-Bank Geld an Unternehmen. Durch die Zinsen und weil die USA der BRD einen Teil des Kapitalstocks schenkten, wuchs das Vermögen rasant.
Anders der Finanzmarktstabilisierungsfonds (FMS), der aufgrund der Finanzkrise 2008 ins Leben gerufen wurde. Er ist kreditfinanziert. Denn die Bankenkrise kostete Milliarden. Insbesondere seit 2020 kamen diverse weitere Sondervermögen hinzu: so etwa während der Corona-Krise der milliardenschwere Wirtschaftsstabilisierungsfonds oder ein Stabilisierungsfonds aufgrund der Energiekrise. Das vor dem jetzigen Infrastrukturpaket letzte Sondervermögen wurde 2022 eingerichtet. Die Ampel hatte wegen des Ukraine-Krieges ein Budget von 100 Milliarden Euro außerhalb des Haushalts beschlossen.
Sondervermögen wurden in der Vergangenheit häufig kritisiert, weil sie von Regierungen auch eingesetzt worden sind, um neue Schulden und eine schlechte Haushaltslage zu verschleiern. Sie werden daher auch als Schattenhaushalte bezeichnet. Denn bis Ende des Jahres 2010 ermöglichte Artikel 115 Absatz 2 des Grundgesetzes, dass Sondervermögen nicht zum Haushalt gerechnet wurden. Sie konnten als sogenannte Nebenhaushalte mit eigener Kreditermächtigung geführt werden. Sondervermögen, die bis Ende 2010 aufgenommen wurden und eine eigene Kreditermächtigung haben, sind bis heute nicht von der Schuldenbremse betroffen.
Seit 2011 greift in der Regel die Schuldenbremse. Mit einer Grundgesetzänderung kann die Schuldenbremse für Sondervermögen außer Kraft gesetzt werden – so wie beim Bundeswehrvermögen 2022 oder jetzt beim Infrastrukturpaket geschehen.
Der Bundesrechnungshof konstatierte im August 2023: „Sondervermögen haben in der Haushaltswirtschaft des Bundes eine erhebliche Bedeutung.“ Das Verschuldungspotenzial der Sondervermögen habe Ende 2022 bei insgesamt über 520 Milliarden Euro gelegen. Der Rechnungshof sieht die vielen Sondervermögen kritisch. Diese seien größtenteils entweder ausgelagerte Schuldentöpfe oder hingen finanziell am „Tropf des kreditfinanzierten Bundeshaushaltes“. Es sei daher zutreffender, von „Sonderschulden als von Sondervermögen zu sprechen“, heißt es in einem Bericht der Behörde.
Für den Rechnungshof ist klar: „An die Errichtung und auch die Weiterführung von Sondervermögen als budgetflüchtige Einrichtungen sollte deshalb ein restriktiver Maßstab angelegt werden.“ Kernaufgaben des Staates sollten aus dem Kernhaushalt finanziert werden. Längst sei der Bundeshaushalt „aus den Fugen geraten“. Die Behörde fordert eine Verringerung der Sondervermögen.
SPD-Mann fordert Reform der Schuldenbremse
Stattdessen beschlossen Bundestag und Bundesrat nun ein Riesen-Schuldenpaket. FDP-Haushaltsexperte Karsten Klein, der gerade aus dem Bundestag ausgeschieden ist, kritisiert: „Die immense Höhe an Schulden nimmt künftigen Generationen die Handlungsfähigkeit.“ Die Zinslast sei enorm. Zudem sei eben anders als bei anderen Sondervermögen nur sehr vage festgelegt worden, wofür das Geld verwendet werden müsse.
Der Liberale ist nicht grundsätzlich gegen Sondervermögen. „Es muss jedoch wie beim Bundeswehrvermögen 2022 ganz klar sein, für was es verwendet werden darf“, sagt der Franke der BSZ.
Der bisherige finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Schrodi, hält erwartungsgemäß dagegen: „Die Verkehrsinfrastruktur, Digitalisierung, die Bildungsinfrastruktur und der Wohnungsbau sind die großen, wichtigen Themen, die wir angehen müssen.“ Dafür brauchte es die 500 Milliarden.
Doch auch Schrodi will künftig die Zahl der Sondervermögen verringern. „Wir wollen überflüssige Sondervermögen abbauen, und es ist Teil des Koalitionsvertrags, dass wir uns dies vornehmen“, sagt der Bundestagsabgeordnete. Zugleich fordert der Oberbayer „eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse“. (Tobias Lill)
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