Politik

Sicher ist sicher: In der Wahlkabine oder auch bei einer Briefwahl sind Manipulationen so gut wie ausgeschlossen. (Foto: dpa/Angelika Warmuth)

13.12.2024

Die Stimmabgabe soll sicher sein

Digitalminister Mehring (Freie Wähler) wirbt für die Einführung digitaler Wahlen – Estland praktiziert es bereits. Was bringt das?

Die Warnung vor fehlendem Papier bei einem zu frühen Neuwahltermin hat in Deutschland die Forderung nach digitalen Wahlen befeuert. Als Vorbild gilt Estland. In dem technisch sehr aufgeschlossenen Staat können die Wahlberechtigten seit 2005 bei allen politischen Wahlen auch digital ihre Stimme abgeben. Es ist weltweit das einzige Land, in dem das flächendeckend geht. Das System gilt als sicher, aber man muss dem Staat schon sehr viel Vertrauen entgegenbringen. Und was es bringt, ist unklar.

Der Organisationsaufwand bleibt nämlich derselbe. Zwar wählt in Estland inzwischen mehr als die Hälfte online. Doch für die anderen braucht es trotzdem Wahllokale und Briefwahlunterlagen. Und anders als erwartet, hat sich die Wahlbeteiligung trotz Online-Option nicht erhöht. Um das Wählen weiter zu erleichtern, hat die estnische Regierung die Einführung einer Handy-Wahl-App beschlossen. Dazu lädt man sich eine Software auf den Computer, identifiziert sich mit dem Ausweis und gibt dann seine Stimme ab, die elektronisch verschlüsselt auf einen staatlichen Server übertragen wird. Der Clou: Bis zur Schließung der Wahllokale kann man seine Stimme noch korrigieren.

Die Wahlaufsicht bestätigt am Ende, dass alles ohne Manipulationen abgelaufen ist. „Und das muss man dann glauben“, sagt Simone Ehrenberg-Silies vom Berliner Institut für Innovation und Technik, eine Expertin für digitale Wahlsysteme. Denn physische Stimmzettel kann man nachzählen. Eine elektronische Stimmabgabe können dagegen nur Menschen mit guten Kenntnissen in Informatik und Datenverschlüsselung überprüfen.

Grundgesetz ändern

Ohne Grundgesetzänderung wird es daher in Deutschland keine digitalen politischen Wahlen geben. Hier darf man ohne Anmeldung die Abläufe im Wahllokal und bei der Auszählung mitverfolgen, nur die Stimmabgabe selbst ist geheim. 2009 untersagte das Bundesverfassungsgericht den Einsatz von Wahlcomputern in Wahllokalen mit dem Argument, dass man alle wesentlichen Schritte der politischen Wahl zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis öffentlich überprüfen können müsste.

Die Bedenken gibt es auch 15 Jahre später: Derzeit sei ihnen kein Wahlgerät und kein Online-Wahlverfahren bekannt, das den Vorgaben des Gerichts standhalte, teilt die Pressestelle der Bundeswahlleiterin mit. Und eine Sprecherin des bayerischen Innenministeriums erklärt, dass sich eine Manipulation selbst bei Systemen mit modernster Sicherheitstechnik nie ganz ausschließen ließe. Das sieht auch Datenschützer Joachim Selzer vom Chaos Computer Club so: Um eine Papierwahl zu manipulieren, müssten sich die Wahlhelfer*innen in großer Zahl verschwören. „Das ist nicht unmöglich, aber ein ganz anderer Aufwand, als eine Handvoll Programmiererinnen, Hardwaredesignerinnen und Prüferinnen zu bestechen.“ Um das Ergebnis einer Wahl zu diskreditieren, würde zudem schon der Verdacht einer Manipulation reichen.

Bayerns Digitalminister Fabian Mehring (Freie Wähler) wirbt trotzdem für einen Versuch, und zwar wie in Estland als Ergänzung zur Urnen- und zur Briefwahl. Er zeigt sich überzeugt davon, dass dadurch die Wahlbeteiligung und die Akzeptanz der Demokratie erhöht würden. Sein Vorschlag: Man startet bei Bürgerentscheiden – und probiert es dann bei der Kommunalwahl in ausgewählten Landkreisen. Dafür müsste er allerdings zunächst Innenminister Joachim Herrmann (CSU) überzeugen.

Vorreiter Aschaffenburg

Das unterfränkische Aschaffenburg, ein Vorreiter der digitalen Bürgerbeteiligung in Bayern, würde mitmachen. Die digitale Wahl wäre schnell, unkompliziert und könnte zudem Menschen mit Behinderungen einen barrierefreien Zugang bieten, glaubt Bürgermeister Eric Leiderer (SPD).

Auf Vereinsebene und bei Hochschulwahlen ist die digitale Stimmabgabe seit 2023 möglich. Dass digitale Wahlen in Deutschland auch auf großer Ebene funktionieren können, zeigte die Sozialwahl 2023. Erstmals konnten Millionen Krankenversicherte als Modellprojekt ihre Stimme auch digital abgeben. Technisch lief die Wahl ohne Probleme ab. Doch die Wahlbeteiligung war deutlich niedriger als sechs Jahre zuvor. Am Hauptproblem, dass viele den Anlass der Wahl nicht kennen, konnte auch das neue System nichts ändern.

Wer eine Wahl manipulieren will, würde es nicht bei der Sozialwahl versuchen, sondern bei der Bundestagswahl. Die Tragweite wäre ungleich größer.
(Thorsten Stark)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll es ein gesetzliches Mieterhöhungsverbot geben?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.