Politik

Eine Demonstration unter dem Motto «AfD Verbot prüfen - jetzt!» fand am vergangenen Freitag vor dem Bundeskanzleramt statt. Darauf zu sehen: Björn Höcke. Er gilt als sehr einflussreicher AfD-Politiker und wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Rechtsextremist eingestuft. Eine Petition fordert nun die Aberkennung der Wählbarkeit des Thüringer Politikers. (Foto: dpa/Carstensen)

15.01.2024

Petition fordert, Höcke Grundrechte zu entziehen

Weit mehr als eine halbe Million Unterzeichner*innen sprechen sich in einer Petition dafür aus, dem rechtsextremen Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, der auch in bayerischen AfD-Kreisen seine Anhänger hat, die Wählbarkeit abzusprechen. Tatsächlich kann das Bundesverfassungsgericht Grundrechte aberkennen

Es gibt wohl fast keinen aktiven deutschen Politiker, der zumindest in der Vergangenheit ungestraft als „Faschist“ bezeichnet werden durfte – im Fall von Björn Höcke ist das anders. Kein Wunder: Schließlich schwadronierte der Landeschef Thüringer AfD bereits vom „bevorstehenden Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch“ und bezeichnete das Holocaust-Mahnmal in Berlin als ein „Denkmal der Schande“. Groß ist die Angst deshalb bei vielen aufrichtigen Demokraten, dass der Rechtsextreme angesichts der Spitzen-Umfragewerte der AfD nach der Landtagswahl im September sogar Ministerpräsident von Thüringen werden könnte.

Geht es nach dem Düsseldorfer Indra Ghosh soll Höcke deshalb baldmöglichst sein passives Wahlrecht entzogen werden, damit er künftig nicht mehr bei Wahlen antreten darf. Seine Petition richtet sich an den Bundeskanzler und mehrere im Bundestag vertretenen Fraktionen. Denn auf Antrag des Bundestages, der Bundesregierung oder einer Landesregierung kann das Bundesverfassungsgericht einzelnen Verfassungsfeinden gemäß Artikel 18 des Grundgesetzes gewisse Grundrechte aberkennen. Laut Verfassung können Menschen, die die Demokratie bekämpfen, etwa das Recht auf freie Meinungsäußerung, oder Versammlungsfreiheit verlieren.

Im Zuge der Grundrechtsverwirkung kann dem Betroffenen auch die Wählbarkeit und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter aberkannt werden. „Und genau dies muss passieren, damit Björn Höcke der freiheitlichen Demokratie keinen weiteren Schaden zufügen kann“, so Ghosh in der von der links-liberalen Kampagnenplattform Campact unterstützten Petition. „Dieser Mann ist ein wahrhaft gefährlicher Feind der freiheitlichen Demokratie“, heißt es in der Petition, die bis Montagabend über 850.000 Menschen unterzeichnet haben.

Bundestag muss sich mit der Petition beschäftigen

Bereits ab 50.000 Unterschriften muss sich der Bundestag mit der Petition beschäftigen. Da immer mehr Politiker*innen aus den Reihen der der SPD, Grünen und Linken, aber auch von CDU und FDP offen für ein Parteiverbotsverfahren sind, ist es möglich, dass die Bundesregierung oder Teile des Parlaments einen solchen Schritt zumindest prüfen könnte. Ein wichtiger Grund: Die Erfolgsaussichten sind besser als bei einem kompletten Parteiverbot.

Der Experte für Verfassungsrecht Walther Michl räumt Anträgen auf einen Entzug bestimmter Grundrechte wie der Versammlungsfreiheit oder dem passiven Wahlrecht bei einzelnen rechtsextremen AfD-Spitzenpolitikern durchaus Erfolgschancen ein. „Wenn jemand Umsturzfantasien mitträgt, dann ist ein solches Verfahren eine realistische Möglichkeit“, sagt der Professor für Öffentliches Recht an der Bundeswehr-Uni München, der Staatszeitung. Er verweist darauf, dass die Väter und Mütter des Grundgesetzes die deutsche Demokratie wehrhaft ausgestalten wollten.

 „Das Problem ist im Einzelfall zwar nachzuweisen, dass ein AfD-Politiker bestimmte Grundrechte missbraucht“, sagt Michl. Im Vergleich zu einem generellen Parteiverbotsverfahren, sei der Entzug bestimmter Grundrechte einzelner Politiker jedoch „deutlich einfacher durchzusetzen“.

Bislang hat es Michl zufolge vier Verfahren beim Bundesverfassungsgericht zur Aberkennung der Grundrechte gegeben – keines sei erfolgreich gewesen. Dies habe allerdings schlicht daran gelegen, dass die betreffenden Politiker entweder bereits vor Beginn des Verfahrens ihre politischen Aktivitäten eingestellt hätten, oder das Gericht bereits verhängte strafrechtliche Sanktionen in den jeweiligen Fällen als ausreichend angesehen hätte. Mitunter war auch deren Partei zwischenzeitlich verboten worden. Daher erschien Karlsruhe ein Entzug von Grundrechten nicht mehr nötig, so der Experte.

Fachleute: Vorgehen "durchaus aussichtsreich"

Auch die Ex-Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff hält die Grundrechtsverwirkung laut Artikel 18 gegen einzelne Akteure für wirksamer. Ihr zufolge lasse sich verfassungsfeindliches Verhalten einzelner Politiker, wie etwa von Höcke, viel leichter nachweisen. "Einzelne Personen aus dem Spiel zu nehmen, indem ihnen in einem Verfahren der Grundrechtsverwirkung die Wählbarkeit entzogen und politische Betätigung untersagt wird", würde, wie Lübbe-Wolff dem ZDF sagte, "deutlicher machen als ein Parteiverbot, dass es wirklich um den Schutz der Verfassung und nicht darum geht, politische Konkurrenz grundsätzlich auszubooten".

Fabian Wittreck, Professor für Öffentliches Recht an der Uni Münster, hält ein Vorgehen, das auf den Entzug einzelner Grundrechte bei bestimmten AfD-Politikern gerichtet ist, ebenfalls für möglich – im Fall Höckes sogar für „durchaus aussichtsreich“. Eine BSZ-Anfrage bei Höckes Wahlkreisbüro und dem AfD-Landesvorstand am Sonntagvormittag blieb bis Montagabend unbeantwortet.

Einen Haken hat das Verfahren gemäß Artikel 18 jedoch: In allen bisherigen Verfahren vergingen mindestens vier Jahre von der Antragstellung bis zur Entscheidung. Dass eine Entscheidung bis zur Thüringer Landtagswahl fallen könnte, ist daher fraglich. (Tobias Lill)

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