"Es war ein harter Schritt, der aber unausweichlich war“: Die Aussage von Pflegeheim-Chefin Karin Pfadenhauer im Landkreis Lichtenfels klingt wie eine Kapitulation. Obwohl Menschen bis zu eineinhalb Jahre auf einen freien Pflegeplatz warten müssen, muss ihre Einrichtung jetzt schließen. Der Grund: Fachkräftemangel. Aus demselben Grund gingen auch in einem Pflegeheim für behinderte Menschen im Landkreis Bamberg die Lichter aus. Inzwischen nehmen Betroffene Fahrtwege von 200 Kilometern und mehr in Kauf, um überhaupt einen Platz zu ergattern.
Mehr Unterstützung wäre also dringend nötig: In Bayern werden rund 70 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause von Angehörigen betreut – neben dem regulären Job. Oft müssen sich auch Minderjährige oder Menschen im hohen Rentenalter um die Versorgung kümmern. Das ist nicht nur körperlich eine Belastung, sondern auch psychisch: Über die Hälfte der Befragten klagte laut Bundesgesundheitsministerium bereits 2018 über Depressionen. Corona hat die Situation mangels Entlastungsmöglichkeiten wie Kurzzeitpflege in den letzten drei Jahren noch verschlimmert.
Niemand schiebt Mutter oder Vater gern ins Heim ab. Wenn die häusliche Pflege aber aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich ist, würde eine Pflegeplatzgarantie Angehörigen viel Sicherheit geben. Das hat die Staatsregierung bereits nach der letzten Wahl erkannt und im schwarz-orangen Koalitionsvertrag bis 2023 einen Rechtsanspruch auf einen Pflegeplatz für Pflegebedürftige ab Pflegegrad 2 versprochen. „Damit jeder und jede in Würde alt werden kann“, sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) damals. Doch die Umsetzung droht zu scheitern.
Die Pflegeplatzgarantie wurde „weiterentwickelt“, heißt es aus dem Gesundheitsministerium
Wichtiger als ein einklagbares Recht seien wohnortnahe und passgenaue Pflegeversorgungsstrukturen vor Ort, antwortet jetzt das Haus von Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) auf Anfrage der Staatszeitung. Daher wurde die versprochene Pflegeplatzgarantie „weiterentwickelt“ und durch das Konzept „Gute Pflege. Daheim in Bayern.“ ersetzt. Durch das neue Förderprogramm „Pflege im sozialen Nahraum“ hätten außerdem seit 2020 über 4000 Pflegeplätze mit 200 Millionen Euro unterstützt werden können.
Der Pflegebeauftragte der Staatsregierung, Peter Bauer (Freie Wähler), hat die Einführung der Pflegeplatzgarantie komplett abgeschrieben. „Das werden wir in dieser Legislaturperiode nicht mehr schaffen“, räumt der Abgeordnete ein. Als Grund nennt er die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg. Dabei handele es sich aber nicht um ein gebrochenes Wahlversprechen, sondern lediglich um eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag. „Wir arbeiten kontinuierlich an einem Lösungsweg und werden sogar mehr Plätze schaffen als ursprünglich geplant.“
Die Gewerkschaft Verdi bezweifelt das. „In Bayern reicht die Anzahl der Auszubildenden in der Pflege nicht aus, um auch nur den Bestand der bestehenden Infrastruktur sicherzustellen – geschweige denn, diese auszubauen“, sagt deren Gesundheitsexperte Robert Hinke. Es gebe daher gar keine Alternative, als die Pflegeplatzgarantie auszusetzen. Damit die Pflege nicht gegen die Wand fährt, braucht es laut Hinke mehr staatliche Unterstützung, ein höheres Gehalt, eine zügigere Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen und Anwerbeprogramme für Ex-Pflegekräfte.
"Die Pflegeplatzgarantie war von Anfang an nicht haltbar"
Die Vereinigung der Pflegenden in Bayern begrüßt die Abkehr von der Pflegeplatzgarantie, weil sie wegen des Fachkräftemangels „von Anfang an nicht haltbar war“, sagt deren Sprecherin Anke Röver. Wenn das Geld stattdessen in die pflegerische Infrastruktur fließe, sei das für die Versorgungssicherheit nur förderlich. Um eine stationäre Versorgung zu vermeiden, müsse das Augenmerk vor allem auf Präventionsprogramme wie School Nurses, Community Health Nurses oder professionelle Beratung im häuslichen Umfeld gelegt werden.
Pflegewissenschaftlerin Astrid Herold-Majumdar von der Hochschule München fordert die Staatsregierung auf, vor weiteren Versprechen erst einmal die Zahl der Pflegefachpersonen zu erheben. Laut Gesundheitsministerium erhöht sich der Personalbedarf bis zum Jahr 2030 um über 19 000 Vollzeitstellen. „Derzeit findet aber nur eine lückenhafte, freiwillige Registrierung statt“, sagt die Expertin. Wenn der Teufelskreis zwischen Personalmangel, schlechten Arbeitsbedingungen, Unzufriedenheit und Berufsausstieg nicht durchbrochen werde, werde sich der Fachkräftemangel weiter verschärfen.
Die Opposition im Landtag ist über die geplatzte Pflegeplatzgarantie entsetzt – aber nicht verwundert. Dominik Spitzer (FDP) war schon vor vier Jahren überzeugt, dass sie niemals in die Realität umgesetzt werden kann. „Das ist schlicht Betrug am Wähler.“ SPD-Fraktionschef Florian von Brunn sieht das Thema als weiteres Beispiel für die „Ankündigungspolitik“ von CSU und Freien Wählern, der keine Taten folgen. Mehr Offenheit von der Staatsregierung wünscht sich Andreas Krahl (Grüne). Wenn ein Vorhaben nicht umsetzbar ist, sagt der Abgeordnete, sollte man das auch so kommunizieren. (David Lohmann)
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