Politik

Künftig sollen Grundschulen Kinder zur „Sprachstandserhebung“ einladen müssen. (Foto: dpa/Peter Kneffel)

09.08.2024

Pflicht-Sprachtests für Vierjährige geplant

Weil immer mehr Kinder bei der Einschulung kaum Deutsch können, sollen ab kommendem Frühjahr die Sprachkenntnisse bei allen Kindern vorab geprüft werden

Ab dem kommenden Frühjahr müssen alle Vierjährigen, die im September des Folgejahrs in die erste Klasse kommen, zum verpflichtenden Sprachtest. Diesen Beschluss fasste die Staatsregierung kurz vor der Sommerpause. Ausgenommen sind nur die Kinder, die von ihrer Kita für einen Schulbesuch ausreichende Deutschkenntnisse bestätigt bekommen. So sieht es der Gesetzentwurf vor, den die Staatsregierung über die Sommerferien in die Verbändeanhörung gegeben hat. Der Landtag soll das Gesetz möglichst noch in diesem Jahr beraten und beschließen.

Damit „kein Kind durchs Raster fällt“, wie Staatskanzleileiter Florian Herrmann (CSU) kürzlich erklärte, werden die Einwohnermeldeämter erstmals nach Inkrafttreten des Gesetzes die örtlichen Grundschulen darüber informieren, wer zum Schuljahr 2026/27 zur Einschulung ansteht. Damit soll sichergestellt werden, dass auch die Kinder erfasst werden, die keine Kita besuchen. Nach Angaben des Sozialministeriums sind das rund 6 Prozent der Vier- und Fünfjährigen.

Angst vorm „Kindergartenabitur“

Die Schulen schreiben auf Grundlage dieser Daten die Eltern an und laden die Kinder zur „Sprachstandserhebung“ – wie der Test offiziell heißt – vor. Wer diesen besteht oder eine Sprachbescheinigung der Kita vorweisen kann, ist ein Jahr später automatisch zur Einschulung zugelassen. Alle anderen müssen in einen verpflichtenden Sprachkurs.

Das Kultusministerium geht derzeit davon aus, dass von den gut 120 000 Kindern jedes Jahrgangs rund ein Drittel – also etwa 40 000 – die Kurse besuchen muss. Das Ministerium beruft sich bei dieser Schätzung auf Erfahrungswerte aus den vergangenen Jahren. Durchgeführt werden sollen die Kurse im Regelfall an der örtlichen Kita in Kooperation mit der Grundschule. Zur Anwendung kommt der bereits etablierte „Vorkurs Deutsch 240“, der 240 Stunden umfasst. Im Rahmen der ein Jahr später stattfindenden Einschulung müssen die Kurskinder einen zweiten Sprachtest absolvieren. Bestehen sie auch diesen nicht, wird die Einschulung bei weiterer Sprachförderung um ein Jahr verschoben.

Knackpunkt bei der Umsetzung des Konzepts ist das Personal. Das Kultusministerium geht davon aus, dass für die Durchführung der Sprachkurse rund 1000 Vollzeitstellen benötigt werden. Die Kurse sollen zu gleichen Teilen von Lehrkräften als auch speziell geschultem Kita-Personal übernommen werden. Schulseitig dürfte das Personal zur Verfügung stehen, nachdem sich die Lehrkräfteversorgung an den Grundschulen zusehends entspannt. Für die Bereitstellung von ausreichend Kita-Personal sind nach Angaben des Sozialministeriums die Kommunen zuständig. Vom Freistaat gibt es dafür Zuschüsse. Allerdings klagen die Kommunen und Kita-Träger schon heute, kaum mehr Personal für den Betrieb der Einrichtungen zu finden.

Klar ist jedoch schon jetzt, dass die verpflichtenden Sprachkurse den Mangel an freien Kita-Plätzen wohl verstärken werden. Zum einen werden Kinder in die Einrichtungen kommen, die bislang ausschließlich zu Hause betreut werden, zum anderen belegen wegen fehlender Sprachkenntnisse für die Einschulung zurückgestellte Kinder ihre Plätze ein Jahr länger. In der Folge werden vermutlich noch mehr jüngere Kinder aus Platz- oder Personalmangel abgewiesen werden müssen.

Aufgrund der vielfach großen Unterschiede bei den Sprachkenntnissen in den Klassen sieht der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) die geplanten Tests grundsätzlich positiv. Sie wären ein „Schritt in Richtung mehr Bildungsgerechtigkeit“, erklärt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. „Allerdings nützt auch die präziseste Sprachstandserhebung nichts, wenn daraus nicht die passenden Fördermaßnahmen abgeleitet und durchgeführt werden.“ Doch genau da hake es. „Wir haben Lehrermangel und Personalnotstand in den Kindergärten – wer soll da nach der Diagnose die Förderung übernehmen?“, fragt Fleischmann. Schon jetzt könnten viele Deutsch-Vorkurse nicht gehalten werden. Mit ihrer Ansage, wer nicht Deutsch spreche, komme auch nicht in die Grundschule, hole sich die Staatsregierung „Applaus vom Stammtisch“ ab. Ohne die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Sprachförderung werde sich in der Praxis aber nichts ändern.

Als „falschen Weg“ bezeichnet die Grünen-Abgeordnete Julia Post die Einführung der Sprachtests. Statt eines „Kindergartenabiturs“ brauche es ehrliche und regelmäßige Sprachförderung in den Kitas. Dafür müsse die Staatsregierung die erforderlichen Ressourcen bereitstellen. (Jürgen Umlauft)
 

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