Politik

Bei den Kommunalwahlen werden 39 500 Mandatsträger gewählt – auch für den Marktgemeinderat von Garmisch-Partenkirchen. (Foto: dpa/Andreas Geber)

10.01.2020

"Politiker brauchen ein dickes Fell"

Kommunalexpertin Ramona Fruhner-Weiß von der Hanns-Seidel-Stiftung über den Umgang mit Stammtischparolen, Bürgerprotesten und persönlichen Angriffen

In der Kommunalpolitik gibt es viele Stolperfallen. Die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) bereitet angehende Mandatsträger in speziellen Kursen für die Kommunalwahl am 15. März und die Zeit danach vor. Viele wissen nicht, worauf sie sich einlassen, sagt Ramona Fruhner-Weiß vom Institut für Politische Bildung der HSS.

BSZ: Frau Fruhner-Weiß, Sie bringen angehenden Kommunalpolitikern in Vorbereitungskursen bei, worauf sie sich mit der Kandidatur eingelassen haben. Wie fallen die Reaktionen aus?
Ramona Fruhner-Weiß: Gemischt. Die meisten haben sich bereits mit dem Thema auseinandergesetzt. Anderen wurde angetragen, sich um ein Mandat zu bewerben. Die haben dann oft noch nicht vertieft darüber nachgedacht und sind überrascht, was alles auf sie zukommt. Bisher hat aber meines Wissens noch keiner auf eine Kandidatur verzichtet (lacht).

BSZ: Welches Wissen benötigt zum Beispiel ein Gemeinderat?
Fruhner-Weiß: Im Kommunalrecht sollte er wissen, wie der Gemeinderat funktioniert. Also, wie läuft eine Sitzung ab, wie verhält es sich mit den Tagesordnungspunkten, wie mit der Geschäftsordnung oder wie stelle ich einen Antrag. Die Basics lassen sich in einem Tagesseminar vermitteln. Wer im Bauausschuss oder Finanzausschuss sitzt und tiefer einsteigen möchte, sollte sich mehr Zeit nehmen. Wir bauen gerade ein Serviceportal auf, wo wir für neu gewählte Kommunalpolitiker ein gewisses Know-how anbieten, zum Beispiel Schulungen und Leitfäden.

BSZ: Sie bieten auch Wahlkampfmanagementkurse an. Wie kandidiert man erfolgreich?
Fruhner-Weiß: Der Wähler muss wissen, wofür der Kandidat steht. Er oder sie sollte also auch einmal hinter dem Infostand hervorkommen und mit den Leuten sprechen. Dazu bieten wir Rhetorikkurse an. Gleiches gilt für Social Media. Das ist eine kostenlose Möglichkeit, um vor allem mit den jüngeren Wählern in Dialog zu kommen. Wer sich aber in den sozialen Kanälen nicht wohlfühlt, braucht natürlich nicht alle zu bespielen. Lieber einen und den aktuell halten. Facebook wäre aber im Jahr 2020 schon ganz gut, weil dort sehr viele Altersgruppen vertreten sind.

BSZ:
Was raten Sie Kandidaten, wenn sie mit Populismus und Stammtischparolen konfrontiert werden?
Fruhner-Weiß: Da gibt es leider keine Musterlösung, aber natürlich ist das bei uns auch Thema. Populismus muss man entlarven – am besten mit gezielten Fragen dagegen antworten. Natürlich ist es schwierig, die Person vom Gegenteil zu überzeugen. Daher sollte man hinterfragen, warum sie so denkt. Also, werden Stammtischparolen einfach nur nachgeplappert oder steckt vielleicht ein persönliches Schicksal hinter einer Aussage?

BSZ: Immer wieder haben Kommunalpolitiker Ärger mit Bürgerprotesten. Wie lässt sich das vermeiden?
Fruhner-Weiß: Bürgereinbindung lautet das Schlagwort. Es ist durchaus sinnvoll, wenn die Stadt oder Gemeinde Bürger umfassend informiert. Wenn der Informationsfluss nicht zu 100 Prozent funktioniert, entstehen Gerüchte. Und die Bürger fühlen sich nicht ernst genommen. Kommunikation ist der Schlüssel. Noch besser ist es, wenn die Politik die Bürger bei der Entscheidung möglichst früh mit einbezieht – dann fühlen sich alle wohl.

BSZ: Welche Auswirkungen hat ein Mandat auf Partner, Kinder und Freizeit?
Fruhner-Weiß: Es muss jedem bewusst sein, dass man vor und nach der Wahl im Fokus steht. Wir empfehlen, dass die Familie die Kandidatur mitträgt, weil das Amt wie jedes Ehrenamt zeitintensiv ist. Bürgermeister sollten delegieren können. Hilfreich ist es, sich ein, zwei Tage in der Woche herauszupicken, die man bewusst mit der Familie verbringt. Ein wichtiger Faktor ist auch Kritik, die man aushalten muss. Die ist meist sachbezogen, kann aber auch persönlich werden. Gerade dann braucht man den Rückhalt der Familie.

BSZ: Ein Drittel der kommunalen Mandatsträger im Freistaat hat bereits Erfahrung mit Hass und Gewalt gemacht. Einige davon treten aus Angst bei der diesjährigen Wahl nicht mehr an. Können Sie das verstehen?
Fruhner-Weiß: Ja. Hasspostings werden durch die Anonymität im Netz einfacher. Viele Autoren sind sich auch der Ausmaße ihres Beitrags nicht bewusst. Klar, in der Politik braucht man ein dickes Fell. Aber solche Beiträge muss man öffentlich thematisieren und notfalls zur Anzeige bringen. Manche glauben, das sei eine Schwäche. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Außerdem sollte man sich bewusst machen, dass man nicht alleine ist. Das ist wie mit dem Hashtag #meToo, aus dem eine Bewegung wurde.

„Manche Gemeinden suchen händeringend nach Kandidaten“

BSZ: In den letzten drei bayerischen Kommunalwahlen ist der Frauenanteil kaum gestiegen. In Gemeinderäten liegt er weiterhin bei unter 20 Prozent. Wie lässt sich das ändern?
Fruhner-Weiß: Ich persönlich habe den Eindruck, dass bei dieser Wahl viel mehr und vor allem jüngere Frauen antreten. Da scheint sich etwas zu bewegen. Ich weiß nicht, ob das an der Diskussion über Frauenquoten liegt oder weil viele Kommunalpolitiker altersbedingt ausscheiden. Generell sollten sich Frauen aber auch mehr trauen und zutrauen. Und auch der Mann sollte seinen Part leisten, zur Kandidatur stehen und auch hier seine Frau unterstützen.

BSZ: Die Landtags-SPD forderte jetzt, die Sitzungszeiten in den Kommunalparlamenten sitzungsfreundlicher zu gestalten.
Fruhner-Weiß: Natürlich macht es einen Unterschied, ob eine Sitzung bis 23 Uhr dauert oder man den Familien mit kürzeren, besser gelegenen Sitzungen entgegenkommt. Im Münchner Stadtrat hat die CSU-Stadtratsfraktion einen Antrag auf Elternzeit für Stadträte eingebracht. Gerade der Generation Y ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie extrem wichtig. Auch Arbeitgeber sollten flexibler sein und so die Mandatsausübung erleichtern. Und die gesellschaftliche Wertschätzung für das Amt sollte wieder mehr Gewicht bekommen – das ist lange vernachlässigt worden.

BSZ: Fordern Sie ein verpflichtendes Mitspracherecht für Jugendliche in den Kommunen, um so für mehr Nachwuchs zu sorgen?
Fruhner-Weiß: Grundsätzlich kann man für die Jugend nicht genug tun, damit sie sich in die Politik einbringt. Wir bieten Planspiele für Schulen oder die Kommunalpolitik an. Oder Kurse im Ferienprogramm. Ich kenne auch einige Gemeinden, die ein Jugendparlament haben. Dort trifft man sich alle zwei Monate und diskutiert über aktuelle Themen, das ist quasi die Vorstufe zum Gemeinderat.

BSZ: Im Sommer gab es in über 100 Gemeinden in Bayern noch keinen Bürgermeisterkandidaten. Wie sieht es jetzt aus?
Fruhner-Weiß: Im Oktober und November gab es noch viele Nominierungsversammlungen. Ich sehe die Tendenz, dass es in manchen Gemeinden sechs oder sieben Kandidaten gibt und andere händeringend nach einem suchen. Das liegt aber aus meiner Sicht nicht am mangelnden ehrenamtlichen Engagement. Hier spielen viele Faktoren eine Rolle. Manche haben zum Beispiel einfach Bedenken, dass sie beispielsweise nach einer Amtsperiode mit Mitte 50 nicht mehr wiedergewählt werden und dann keinen Job mehr finden.

BSZ: Wie hoch sind die Verdienstmöglichkeiten und welche Aufstiegsmöglichkeiten gibt es?
Fruhner-Weiß: Gemeinderäte oder Stadträte erhalten für ihr Ehrenamt eine Aufwandsentschädigung, je nach Einwohnerzahl der Kommune in unterschiedlicher Höhe. Bei Bürgermeistern hängt der Verdienst davon ab, ob sie ehrenamtlich oder hauptamtlich angestellt sind. Auch hier variiert die Höhe mit der Einwohnerzahl der Kommune, zwischen circa 5000 und 10 000 Euro verdienen die meisten. Man hat aber auch keine 40-Stunden-Woche. Planbar ist so eine Politikerkarriere nur bedingt. Natürlich kann man sich einen Fahrplan erstellen. Wenn jetzt aber jeder Bürgermeister das Bestreben hat, Landrat, Landtags- oder Bundestagsabgeordneter zu werden, geht das schon rein rechnerisch nicht. Außerdem hat der Wähler das letzte Wort.

BSZ: Sie waren bis Sommer 2019 selber Stadträtin in Puchheim. Warum haben Sie sich von Ihrem Mandat entbinden lassen?
Fruhner-Weiß: Weil ich umgezogen bin und die Satzung dann ein Ausscheiden aus dem Stadtrat vorsieht. Ich bin aber schon für den Gemeinderat und den Kreistag an meinem neuen Wohnort aufgestellt worden. Als Neuling schätzt man seine Chancen allerdings realistisch ein. Wer sich einmal für Kommunalpolitik begeistert hat, tut das meist auch weiterhin. Man lernt wahnsinnig viel für alle Lebensbereiche dazu, lernt, für seine Meinung einzustehen, und kann selber Projekte vor der eigenen Haustür mitgestalten. Ich kann es nur jedem empfehlen! (Interview: David Lohmann)

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