Eine Art Politischer Aschermittwoch im Kleinformat: So lässt sich der Wachsmarkt im niederbayerischen Tann beschreiben. Vormittags war Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) vor Ort, am frühen Nachmittag ist Vizeministerpräsident Hubert Aiwanger da. Er hält eine atemlose Rede mit beträchtlichem Wutfaktor.
Hubert Aiwanger trägt seine übliche Kampfkleidung: dunkle Hose, weißes Hemd, die Ärmel hochgekrempelt. Gut, dass er den Hemdkragen offen gelassen hat: Bereits nach kurzer Zeit glitzern Schweißtropfen auf seiner Nase. In null Komma nix hat sich der Freie Wähler-Chef in Rage geredet.
Es ist drei Wochen vor der Bundestagswahl, und Aiwanger ist fest entschlossen, diesmal den Sprung nach Berlin zu schaffen. Dass er die dafür nötige Fünf-Prozent-Hürde knackt, hat er sich abgeschminkt. Die günstigste Umfrage sah die Freien Wähler kürzlich bei 2 Prozent; bei der Bundestagswahl im Jahr 2021 kamen sie auf 2,4 Prozent.
Riesenwut auf die Grünen: „Schweinefleisch verbieten, aber Cannabis erlauben“
Aiwangers Strategie lautet deshalb, drei Direktmandate für seine FW zu erringen. Gelingt das, können sie in zweistelliger Zahl in den Bundestag einziehen. Und dort, so Aiwangers kühner Traum, soll es dann für eine „bürgerliche Koalition“ aus Union, FW und FDP reichen.
Er selbst tritt im Stimmkreis Rottal-Inn an. Einst war das rabenschwarzes CSU-Terrain, mit Wahlergebnissen von 50 plusplus Prozent für die Christsozialen. Die Dinge haben sich geändert. Bei der Landtagswahl 2023 erzielten die FW dort ein sensationelles Ergebnis von 32,5 Prozent – und überrundeten damit die CSU. Hubert Aiwanger errang in seinem Heimatstimmkreis Landshut das Direktmandat. Das hat ihn ermutigt, das Gleiche jetzt in einem anderen Stimmkreis, nämlich Rottal-Inn, zu packen. In Aiwangers Heimatlandkreis Landshut bewirbt sich der dortige Landrat Peter Dreier ums Direktmandat.
„Wir müssen diesmal mit dabei sein“, schmettert Aiwanger beim Tanner Wirtshausauftritt ins Mikro. „Deutschland braucht die Freien Wähler.“ Man wolle „gesunden Menschenverstand reinbringen in dieses rot-grüne Narrenschiff“. Aiwanger listet auf, wo er überall reingrätschen will: in die Wirtschaftspolitik, die Sozial- und Gesellschaftspolitik samt „Genderwahn“ und Bürgergeld sowie – natürlich – die Migrationspolitik. Der 54-Jährige spricht wie immer frei, nicht mal einen Stichwortzettel hat er bei sich. Im Landtag gilt Aiwanger wegen seiner Sprachgewalt als einer der besten Redner.
Der Bürgermeister von Tann stimmt Aiwanger zwar zu, will aber natürlich seinen eigenen Kandidaten nach Berlin schicken
Rund 250 Leute fasst der große Saal im Gasthaus Grainer Bräu. Auch der Bürgermeister des 4000-Einwohner-Ortes ist gekommen. Wolfgang Schmid (CSU) ist wenig begeistert von Aiwangers Kandidatur. Er fürchtet, dass Rottal-Inn keinen direkt gewählten Abgeordneten mehr hat, sollte Aiwanger gewählt werden, aber den Einzug in den Bundestag verpassen – weil es die Freien Wähler insgesamt nicht schaffen. „Das wäre nicht gut“, stöhnt der CSU-Mann. Wobei, inhaltlich ist er „voll“ bei Aiwanger, gibt er zu.
Klar, fast alles, was Aiwanger rauspfeffert, entspricht der CSU-Linie. Markus Söder will ebenfalls das Bürgergeld abschaffen, die Unternehmen entlasten, das Heizungsgesetz kippen, die Cannabislegalisierung zurückdrehen und, vor allem, die Migration begrenzen. Auch wenn Söder das nicht in so drastische Formulierungen kleidet wie Aiwanger. Der zetert ungeniert von „Taugenichtsen, die Kindern in den Städten Drogen andrehen“ – und von Grünen, die den Leuten vorschreiben wollten, wie sie zu heizen hätten, was sie essen sollten und überhaupt, einfach alles.
So geht das nicht, ruft Aiwanger: „Schweinefleisch verbieten, aber Cannabis erlauben!“ Riesenbeifall, der Saal tobt. Erst recht beim Thema Zuwanderung. „Diese Messerstechereien“, erregt sich Aiwanger, gingen schließlich „nicht von Trachtenvereinen aus, sondern von Milieus gescheiterter Zuwanderung“. Aiwanger setzt noch eins drauf: In Afghanistan würden „schon kleine Kinder mit Drogen ruhiggestellt“. Kein Wunder also, wenn die dann später „Psychosen entwickeln und gewalttätig werden“.
Beim Publikum kommen die Tiraden an, es wird viel geklatscht. Ein Garantieschein dafür, dass die Leute ihr Kreuzerl am Wahltag bei Hubert Aiwanger setzen, ist es nicht. Ein älterer Mann sagt: „Die großen Parteien überzeugen mich nicht.“ Gewählt hat er zuletzt aber die ÖDP. Ein Konditormeister aus der Gegend dagegen outet sich als glühender Aiwanger-Fan. An einem anderen Tisch kommt es fast zum Streit, weil sich der von zwei Frauen begleitete Mann als AfD-Anhänger zu erkennen gibt. Er verteidigt sich: „Ich bin nicht rechtsradikal und auch nicht ausländerfeindlich.“ Früher fand er mal die SPD gut, lang ist’s her. Helmut Schmidt, schwärmt der Mann, sei „der allerbeste Bundeskanzler“ gewesen. Und Aiwanger, was hält er von ihm? Geredet, räumt der AfD-Sympathisant ein, „hat er gut“. Aber, winkt er ab, „reden tun’s alle gut“.
Aiwanger schreitet nach seiner 60-minütigen Rede beglückt durch den Saal und schüttelt Hände. Der nächste Auftritt wartet schon. Es werden noch drei harte Wochen.
(Waltraud Taschner)
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