Politik

Blick aufs fränkische Schloss Werneck. Es beherbergt auch eine forensische Klinik. (Foto: dpa/Daniel Karmann)

09.03.2025

Psychiatrie statt Knast

BSZ-Exklusiv: Die Zahl der Forensik-Insassen mit ausländischem Pass hat sich bayernweit verdoppelt. Das sagen Experten und Politiker

Ein abgelehnter afghanischer Asylbewerber ersticht im Januar in Würzburg zwei Menschen. Laut medizinischem Gutachten ist er wegen einer psychischen Erkrankung wohl schuldunfähig. Auch der Auto-Attentäter von München wurde mittlerweile auf die psychiatrische Station der JVA Straubing verlegt. Der 24-jährige Afghane fuhr zwei Menschen tot und rief dabei „Allahu Akbar“. Ein saudischer Flüchtling, der mit einer Amokfahrt in Magdeburg sechs Menschen tötete, gilt ebenfalls als psychisch gestört, ebenso wie der deutsche Amokfahrer von Mannheim. Gewiss sind derlei Verbrechen extreme Ausnahmen. Nur ein sehr kleiner Teil der psychisch Kranken wird laut Studien kriminell.

Dennoch: Immer mehr Täter im Freistaat werden von Richtern in eine forensische Klinik eingewiesen. Das ergab eine Anfrage der Staatszeitung beim bayerischen Sozialministerium. Demnach stieg die Zahl der im Maßregelvollzug untergebrachten Straftäter zwischen 2015 und 2023 um ein Fünftel auf 3075 Fälle an.

Über 28 Prozent der Insassen haben keinen deutschen Pass

Der sogenannte Maßregelvollzug erfolgt, wenn Täter nicht schuldfähig, aber gefährlich sind. Psychisch Kranke sitzen dann in der forensischen Abteilung der Psychiatrie ein, Süchtige in einem Extratrakt, der Entziehungsanstalt. Anders als bei einem Gefängnisaufenthalt geht es dabei nicht um Strafe, sondern darum, eine Therapie zu ermöglichen und die Bevölkerung zu schützen.

Auffällig ist der massive Anstieg an Unterbringungen von ausländischen Straftätern in den Forensiken. 2015 hatten laut Sozialministerium 432 Menschen im bayerischen Maßregelvollzug eine nichtdeutsche Staatsbürgerschaft – 16,8 Prozent aller Insassen. Bis 2023 verdoppelte sich die Zahl der Forensikpatienten auf 869. Damit stieg ihr Anteil an allen Personen im Maßregelvollzug auf 28,3 Prozent. Der Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung stieg im gleichen Zeitraum dagegen nur von 11,5 auf 16 Prozent. Eine BSZ-Anfrage, warum der Ausländeranteil so rasant gewachsen ist, ließ das CSU-geführte Sozialministerium unbeantwortet, weil dies nicht in den Zuständigkeitsbereich des Ministeriums falle.

Fachleute sehen die immens gestiegene Zahl an Flüchtlingen als Hauptursache für den Trend. „Überdurchschnittlich viele haben Gewalterfahrungen gemacht, sind traumatisiert und haben psychische Probleme“, sagt Jürgen Köhnlein, Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Bei Einsätzen seien Polizisten immer häufiger mit Menschen in psychischen Ausnahmezuständen konfrontiert, die mitunter schlecht Deutsch sprächen. Dies sei eine „enorme Herausforderung“.

30 Prozent der ankommenden Flüchtlinge leiden unter psychischen Erkrankungen

Die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund, die in einer forensisch psychiatrischen Klinik untergebracht sind, habe zugenommen, sagt auch der Göttinger Professor für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, Jürgen Müller. Darunter gebe es Menschen mit einer Schizophrenie oder anderen psychischen Erkrankungen. Diese könnten häufig aus verschiedenen Gründen schlechter entlassen werden, da die Resozialisierungsbedingungen ungünstiger seien. "Es fehlen Sprachschulungsangebote, geeignete Wohn- und Beschäftigungsmöglichkeiten sowie resozialisierungsfördernde Aufenthaltsregelungen", so Müller. Er ist Sprecher des Referats Forensische Psychiatrie der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN).

Laut Studien leiden etwa 30 bis 40 Prozent der ankommenden Flüchtlinge an psychischen Erkrankungen. Zwar sind psychisch Kranke generell nicht gefährlicher als gesunde Menschen. „Bei einzelnen Diagnosen kann es aber, insbesondere im Zusammenhang mit Drogenmissbrauch, vermehrt zu aggressivem Verhalten und Straftaten kommen“, heißt es bei der DGPPN. Umso wichtiger wären ausreichend Therapieplätze – doch auch Einheimische müssen darauf teils jahrelang warten.

Ein Problem aus Sicht der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist, dass viele traumatisierte Flüchtlinge in Massenunterkünften lebten. „Da fehlt eine ausreichende Betreuung“, sagt Andreas Roßkopf vom GdP-Bundesvorstand. Und: Nicht immer ist gewährleistet, dass psychisch kranke Flüchtlinge ihre Medikamente nehmen.

Weniger Süchtige in der Forensik

Um die Forensiken zu entlasten, beschloss der Bund Ende 2023 eine Novellierung des Strafgesetzbuchs. Seither sitzen mehr Drogen- und Alkoholsüchtige in Gefängnissen statt in der Forensik. Diese Verschiebung könne für die Gesellschaft „erhebliche Folgekosten“ haben, warnt der Tübinger Kriminologe Jörg Kinzig. Klar ist: In Bayern sank die Zahl der Unterbringungen im Maßregelvollzug in der Folge laut Sozialministerium im vergangenen Jahr etwas – auf 2757. Exakt 764 Personen, also mehr als jeder vierte Insasse, haben keinen deutschen Pass. Während die Zahl der untergebrachten Süchtigen 2024 abnahm, ist die Zahl der Unterbringungen aufgrund psychischer Erkrankungen weiter gestiegen.

Die Zahl der Menschen, die wegen fehlender oder verminderter Schuldunfähigkeit gemäß Paragraf 63 von einem Richter in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wurden, stieg von 2015 bis 2023 von 999 auf 1141. Im vergangenen Jahr legte sie den vorläufigen Zahlen zufolge erneut auf 1182 zu. Hinzu kommt eine zuletzt ebenfalls gestiegene Zahl an einstweiligen Unterbringungen nach Paragraf 126a.

„Wir müssen die Menschen hier schützen“

Beide Polizeigewerkschaften fordern, Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive konsequent abzuschieben – auch, wenn diese psychisch krank sind. „Wir müssen die Menschen hier schützen“, betont DPolG-Mann Köhnlein.

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Evelyn Schötz lehnt dies ab und warnt vor "populistischer Stimmungsmache". Ebenso wie Fachleute setzt sie auf „bessere Prävention und niederschwellige Therapieangebote“. Der AfD-Landtagsabgeordnete Gerd Mannes sagt dagegen: Straffällige Asylbewerber müssten „schnellstmöglich abgeschoben werden, statt sie wegen psychischer Erkrankungen in die forensische Psychiatrie einzuweisen“. Mehrere CSU-Politiker ließen Anfragen zu dem Thema unbeantwortet. (Tobias Lill)

 

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.