Gibt es Situationen, in denen man aus reiner Menschlichkeit einer Person, die ihr Leben als qualvoll empfindet, helfen sollte, zu sterben? Die Frage bewegt die Gemüter, seitdem das Bundesverfassungsgericht 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe für verfassungswidrig erklärt hat. Der Bundestag wird voraussichtlich im Juli bei einer Schlussabstimmung über zwei konkurrierende Gesetzentwürfe eine Neuregelung der Sterbehilfe verabschieden.
In anderen Ländern, zum Beispiel in Belgien, ist Sterbehilfe längst normal. Seit 2002 prüft dort eine Kommission für die Kontrolle und Bewertung der Euthanasie, ob die Voraussetzungen für eine Freitodbegleitung eingehalten wurden. Laut der „Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland“ erhalten in Belgien derzeit 2,4 Prozent aller Verstorbenen Sterbehilfe.
Dass man unter absoluten Qualen nicht mehr weiterleben möchte, ist ein leicht nachvollziehbarer Gedanke. „Ich kenne Menschen, die für ihre Entscheidung, es weiter mit dem Leben aufzunehmen, unbedingt die Gewissheit brauchen, dass sie sich jeden Tag auch anders entscheiden können“, sagt dazu Ruth Belzner, Leiterin der Würzburger Telefonseelsorge. „Diese Gewissheit zu nehmen hieße, den letzten Ausweg aus einem Leben zu verriegeln, das immer wieder als schmerzvolles Gefängnis erlebt wird“, sagt die Psychologin.
Nun gibt es aber nicht nur Menschen, die aus völlig freiem Willen ihrem harten Schicksal durch tödliche Mittel zu entfliehen suchen. So sehr Ruth Belzner die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts begrüßt, warnt sie denn auch: „Die Suizidassistenz muss so geregelt werden, dass sie keinesfalls als Druckmittel auf pflegebedürftige Menschen missbraucht werden kann.“ Sie hält es auch für unbedingt erforderlich, parallel dazu die Suizidprävention auszubauen. Dazu gehöre unter anderem größtmögliche gesellschaftliche Teilhabe für psychisch Kranke.
Wie begegnet man der Angst der Menschen?
Ist es möglich, Schwerstkranke so zu begleiten, dass sie nie die Hoffnung aufgeben, bis zum Schluss zumindest ein Minimum an Lebensqualität zu haben? Josef Mayr, Vorsitzender des Hospizvereins Kempten-Oberallgäu, setzt sich dafür ein. „Wir schenken Zeit, gute Begleitung, Gespräche und viel Mitmenschlichkeit“, sagt er. Durch Zuwendung gelinge es, die Angst vor Einsamkeit und Schmerzen zu nehmen: „Wir erleben in unserer Arbeit zufriedene schwerstkranke Menschen.“ Sterbehilfe sei mit der Haltung der Hospizbewegung nicht zu vereinbaren.
Um eine Entemotionalisierung des Themas bemüht sich Gudrun Mirlein, Seelsorgerin im Hospiz des Würzburger Juliusspitals. „Von der Schlussabstimmung im Bundestag erhoffe ich mir, dass das Karlsruher Grundsatzurteil von 2020 umgesetzt wird“, so die Pfarrerin. Nach ihrer Einschätzung wird es dadurch keine Suizidwelle geben: „Menschen hängen zu sehr am Leben.“ Es gebe allerdings Leiden, zum Beispiel die zu Muskellähmungen führende Krankheit ALS, die den Wunsch, „menschenwürdig zu sterben“, verständlich machten. Sie selbst glaube an einen Gott, der „sowohl ein würdiges Leben als auch ein würdiges Sterben“ wolle.
Der Würzburger Palliativmediziner Heribert Joha verweist auf eine Studie aus Oregon. „Hauptmotivationen für den Suizidwunsch sind Autonomieverlust, die schwindende Fähigkeit, an schönen Aktivitäten teilzuhaben, sowie Würdeverlust“, erklärt der Arzt. In dem nordamerikanischen Küstenstaat, wo 2007 der „Oregon Death with Dignity Act“ in Kraft trat, führen schätzungsweise zwischen 40 und 60 Prozent derjenigen, die ein Rezept für ein tödliches Mittel erhalten, den Suizid tatsächlich durch.
Claudia Bausewein, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) und Palliativmedizinerin am Uniklinikum München, fordert Qualifikationsvoraussetzungen bei verschreibenden Ärzten. „Nach unserer Einschätzung reicht das alleinige Vorliegen einer ärztlichen Approbation nicht aus, um derart folgenschwere Entscheidungen mitzutragen.“
Klar wird, dass man das Thema Sterbehilfe nicht isoliert betrachten kann. „Es umfasst viele Facetten“, sagt Wega Wetzel, Pressesprecherin der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS). Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts habe die DGHS Strukturen aufgebaut, um ihren zurzeit 27 000 Mitgliedern eine ärztliche Freitodbegleitung auf Wunsch vermitteln zu können: „Dafür entwickelten wir Sorgfaltskriterien und einen Ablauf.“ Der sieht zum Beispiel vor, dass jeder Fall durch ein vom DGHS vermitteltes Zweierteam, bestehend aus einem Juristen und einem Arzt, betreut wird.
Tötung auf Verlangen, also eine aktive, direkte Sterbehilfe wie in den Beneluxländern, ist mit deutschem Recht nicht kompatibel. „Dies wird auf unabsehbare Zeit auch so bleiben“, sagt Wetzel. Seit 2020 dürfen Vereine, Ärzte oder Menschen anderer Profession jedoch Hilfe zum Freitod leisten. Derzeit werde dafür oft ein Narkosemittel in Überdosis verwendet: Das muss der Sterbewillige selbst aufdrehen, nachdem ihm eine Kanüle gelegt wurde. In der Schweiz werde Natrium-Pentobarbital verwendet, das hierzulande aber mit dem Betäubungsmittelgesetz kollidiert.
Die DGHS macht sich für eine Sterbehilfedebatte ohne Vorurteile stark. „Wir verstehen uns als Patientenschutzorganisation, die ihren Mitgliedern bei Fragen rund ums Lebensende beistehen will“, sagt Wega Wetzel. 229 Menschen nahmen 2022 eine von der DGHS vermittelte ärztliche Freitodbegleitung in Anspruch. Suizidhilfe gibt es hierzulande außerdem bei Dignitas Deutschland und beim Verein Sterbehilfe. Nach DGHS-Schätzung starben im zurückliegenden Jahr in Deutschland rund 350 Menschen selbstbestimmt mit Suizidhilfe. (Pat Christ)
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